Guido Müller

10. Oktober 2020

Ein guter Bekannter von mir, nicht ganz so fußballverrückt wie ich, fragte mich neulich: “Guido, was hat es eigentlich mit dieser Nations League auf sich? Ist die wichtig? Oder muss man die nicht sehen?” Es klang in meinen Ohren wie: “Ist das Kunst - oder kann das weg?”, und ich musste lauthals auflachen. Ich erklärte ihm, dass es eine bessere Art von Freundschaftsspielen sei. “Besser” im Sinne von “lukrativer”. Und wer immer auch über diese - zugegeben - etwas dürre Information hinaus den Modus dieses Wettbewerbs wirklich verstehen und nachvollziehen wolle, dem sei ein mehrtägiges Seminar, finanziert vom imaginären Bund deutscher Fußballfans, empfohlen. Und wenn es tatsächlich jemand schaffen sollte, ihn zu kapieren und auch anderen Leuten (wie mir) verständlich zu erklären, bliebe mir nur noch, ihm gegenüber meinen imaginären Hut zu zücken.

Bis dahin sag ich: Nations-League braucht eigentlich keiner, aber ist ja nunmal da. Aber ob wir hier jetzt Letzter oder Erster werden, hat mit der Frage, ob wir auch bei den nächsten Europa-und Weltmeisterschaften am Start sind, herzlich wenig zu tun. Denn für diese Turnier bleiben die klassischen Qualifikationsgruppen ja weiterhin bestehen. 

Die Nations League mag einen Reiz vor allem für kleinere Staaten, mit eher schwachen Nationalmannschaften haben: Länder wie Georgien, Estland, Moldawien (oder Republik Moldau, wie man jetzt korrekterweise sagt) oder Luxemburg, Liechtenstein und Faröer. Für diese Nationen mag das ganze System mit unterschiedlichen Ligen und der Möglichkeit, auf-und abzusteigen, eine Relevanz haben. Für den vierfachen Welt- und dreifachen Europameister Deutschland hat es das nicht. Das soll jetzt gar nicht so arrogant klingen, wie es sich liest. Sondern vielleicht auch nur mein Unverständnis über diese weitere In Vitro- Züchtung eines Fußball-Events, eine abermalige Aufblähung allseits bekannter Strukturen, ausdrücken. Heute Abend spielen wir also in der Ukraine. Einem Corona-Hotspot, aber das nur am Rande…

Unangenehme déja-vus

Weiß gar nicht, ob ich mir das überhaupt antue. Denn in den letzten Spielen unserer “Mannschaft” überkam mich allzu häufig ein mir wohlbekanntes, aber deswegen nicht minder schmerzhaftes Gefühl. Ein Gefühl von déja-vu. Aber im negativen Sinne. So negativ, dass es wehtut. Und tatsächlich gab es nach dem 3:3 im Testspiel gegen (starke) Türken am vergangenen Mittwoch aus dem virtuellen Raum heraus einen Beitrag, der wie die Faust aufs Auge passte: “Die “Mannschaft” im HSV- Modus!” hatte da jemand getwittert. Die perfekte Umschreibung, so schmerzlich die neuerliche humoristische Spitze auf Kosten meines Vereins auch war.

Zu frappierend sind, bei allen sonstigen logischen Differenzen zwischen unserem nationalen Flaggschiff und meinem Leib-und Seelenklub, die Entwicklungen der vergangenen Spiele der DFB-Elf, vor allem in Bezug auf die letzten Minuten. Gegen Spanien gab es ein Gegentor, das den Sieg kostete, in der fünften Minute der Nachspielzeit. Die Schweizer ließen nicht ganz so lange auf sich warten, und glichen die deutsche Führung schon nach 57 Minuten aus. Und die Türken, vorvorgestern, machten es wie 2008 bei der EM (bevor sie dann auf Deutschland im Halbfinale trafen): in den Schlusssekunden der Nachspielzeit. 

Und alles geschah mit Ansage. Ich hätte bei 86 Minuten und ein paar Zerquetschten alles was ich habe darauf gewettet, dass wir uns noch einen einfangen würden. Weil wir in diesen Momenten der Schlussphase einfach genauso bescheuert agiert haben wie der HSV in den letzten sieben Spielen der vergangenen Saison. Oder in denen der Vorsaison. Kann sich jeder aussuchen. Und man begreift es einfach nicht. Die Spieler selbst wohl auch nicht. Denn eigentlich weiß jeder um die Theorie: wenn ich den Gegner früh störe, macht er (wahrscheinlich) mehr Fehler. Außer er heißt Bayern München. Oder was vergleichbares.  Aber die Gegner, die ich gerade im Kopf habe, sind Mittel-bis Unterklasse-Klubs der Zweiten Bundesliga bzw. ein spanisches Nationalteam im Umbruch und eine B-Mannschaft der Türken. 

Warum also lässt man sich, wie RTL-Experte Steffen Freund am letzten Mittwoch zu recht monierte, kurz vor Schluss, bei knapper Führung, fallen und den Gegner kommen? Zumal einige der zu diesem Zeitpunkt auf dem Platz stehenden Defensivspieler (Tah, Henrichs) bei ihren Klubs momentan allesamt nicht die erste Geige spielen und entsprechend nur mit eher bescheidenem Selbstvertrauen ausgestattet sind. Doch statt die Probleme von diesen Spielern fernzuhalten, lud man den Gegner förmlich ein, sie zu stressen. Und zu Fehlern zu zwingen. Was dann ja auch geschah. Aber egal. War ja nur ein Freundschaftsspiel. 

Alter Wein in neuen Schläuchen

Was es heute - offiziellerweise - nicht ist. Denn es ist Nations League. Selbst wenn die UEFA noch so tolle Namen für ihre Schöpfungen bereithält: es bleibt alter Wein in neuen Schläuchen. Und aus tristen Fußball-Spielen, durch Corona auch noch vor entsprechend trostloser Kulisse abgehalten, machst du per mehr oder weniger einfallsreicher Namensgebung keine aufregenden Events dieses Sports. Aber das Spiel an sich scheint die Herren Funktionäre in Genf oder Basel schon seit Längerem nicht mehr zu interessieren. Anders ist es nicht zu erklären, dass trotz der wegfallenden drei Corona-Monate (von März bis Mai) der internationale Rahmen-Terminkalender bar jeder Vernunft durchgeprügelt wird. Und im Sommer 2021, wenn dann die großen Stars verletzungsbedingt bei der EURO 2020 fehlen werden, machen wir alle wieder dicke Backen und geloben Besserung. Bis zum nächsten Spielplan. Am Ende bekommt halt ein jeder, was er verdient. Und seien es Tore in der Nachspielzeit. 

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