Marcus Scholz

27. April 2020

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie oft wir an dieser Stelle schon das Thema Nachwuchsarbeit beim HSV hatten. Zurecht. Denn dieses Thema sollte für jeden Profiklub, der nicht über endlose finanzielle Ressourcen verfügt, immer essentiell sein. Dementsprechend ganz sicher auch beim HSV, der sich durch jahrelanges Missmanagement nicht nur bis in die Zweite Liga hat durchreichen lassen, sondern auch finanziell schon häufiger am Rande des Exitus stand. „Klaus Michael Kühne hat den HSV in den zurückliegenden Jahren mit seinem Geld mehrmals am Leben gehalten und mir bist bei er Bewertung seiner Person eines ganz wichtig: Es ist nicht sein Verschulden, dass mit seinem Geld nicht gut gearbeitet wurde. Wenn mit den Summen, die er zur Verfügung gestellt hat, besser umgegangen worden wäre , hätte es für ihn auch nie einen Anlass zu negativen Äußerungen gegeben.“ Ein Konjunktiv, den ich einfach mal unwidersprochen so stehen lasse.

Beim Blick nach vorn viel entscheidender ist für mich eh, dass sich der HSV so der Chance beraubt hat, den Profibereich UND den Nachwuchsbereich erstklassig aufzustellen. Bernhard Peters hatte seine Ideen ebenso wie etliche seiner Vorgänger eingebracht und dabei viele vorher beschrittene Wege abgebrochen, um neue zu gehen. Ein sich ebenso wie Trainerentlassungen stetig wiederholendes Szenario der letzten Jahre. Ehrlich gesagt sogar eine der ganz wenigen Konstanten beim HSV. Aber es ist eben auch der Grund, weshalb beim HSV nie eine Struktur entstehen konnte, in der die Nachwuchsarbeit sukzessive und mit einem starken Fundament ausgestattet verbessert werden kann.

Nachwuchsarbeit beim HSV wird neu sortiert

Im Gegenteil, der Abstieg in die Zweite Liga stellte den HSV vor noch deutlich mehr Probleme. Plötzlich war man nicht mehr der Erstligist, der den Youngsters den Sprung in die Erste Liga verschaffen kann. Wobei: Andererseits kann man aktuell natürlich einen Vorteil daraus machen und argumentieren, dass der Sprung vom Jugendspieler in die Zweite Liga nicht mehr so groß ist wie zuvor. Aber grundsätzlich will man den Jungtalenten natürlich sportlich die besten Perspektiven bieten. Und dazu gehört die Erstklassigkeit. Ein weiteres Problem: Plötzlich musste man alle Kapazitäten darauf verwenden, den Abstieg schnellstmöglich wieder zu korrigieren. Ralf Becker als Sportvorstand hatte sich immer wieder mal in der Jungend umgesehen und erkundigt. Er war bei U19- und U21-Spielen präsent. Aber ebenso wie heute Sportvorstand Jonas Boldt blieb ihm nicht die Zeit, sich intensiver um den Neuaufbau zu kümmern. Eine Entwicklung, die weiter in die falsche Richtung lief. Es musste seither sogar Geld eingespart werden. Und einen neuen, hauptamtlichen Nachwuchschef wie Peters hat man auch nicht dazugeholt. Inzwischen ist Sebastian Harms, der schon seit vielen Jahren in anderer Funktion als Sportlicher Leiter beim HSV in der Jugend aktiv war, der neue Nachwuchschef. So spart man Geld und hat einen mit den HSV-Strukturen vertrauten Mitarbeiter an vorderster Front.

Dachte ich. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. „Wir haben uns alles genau angesehen und festgestellt, dass hier viele gute Leute am Werken sind“, so Sportvorstand Jonas Boldt. Man habe sich daraufhin dazu entschlossen, sich das ganze Konstrukt in seiner Wirkung ein Jahr lang anzusehen und im Anschluss alles genau zu analysieren. In diesem Sommer soll dann darüber befunden werden, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss. Boldt dazu: „Wir sind trotzdem immer dabei, zu sehen, wo es Verbesserungspotenzial und -Bedarf gibt. Aber wir werden zu keiner Zeit aktionistisch Dinge verändern, nur um Veränderungen präsentieren zu können.“ Die Nachwuchsarbeit sei kein Tagesgeschäft, sondern benötige einen langen Atem, so Boldt. Klingt nach Veränderungen im Sommer. Und das ist sicher vernünftig.

Wie bei den Kleinen, so bei den Großen

Ich bleibe auch dabei, dass sich Klubs wie der HSV, deren Einnahmen rückläufig sind, umso mehr um den eigenen Nachwuchs bemühen und dort investieren müssen. Beim HSV gab es in den letzten Jahren immer wieder die Diskussion, dass der Gesamtetat Nachwichs eh schon zu hoch ist. In Anbetracht der daraus entstandenen Erfolge ist das ganz sicher gerechtfertigt. Aber grundsätzlich bleibe ich auf dem Standpunkt, dass sich beide Abteilungen nebeneinander nach vorn entwickeln müssen. Auch dann, wenn es die Zeit mal nicht zuzulassen scheint. Denn wenn ich nicht teuer einkaufen kann, dann muss ich günstig teure Spieler ausbilden. Und dafür würde ich tatsächlich eher im Profibereich den Etat kürzen als im Nachwuchs. Erlaubt mir als kleines Beispiel bitte einen kurzen Abstecher zu uns ins beschauliche Niendorf, wo ich das aus eigener Erfahrung im Kleinen miterlebe, was ich mir für den HSV wünschen würde. Denn hier in Niendorf haben wir in den letzten Jahren erkennen müssen, dass wir nicht in der Lage sind (und auch auf Sicht nicht sein werden) finanziell mit den Schwergewichten der Oberliga mithalten zu können. Deshalb haben mein Kompagnon und ich als Ligamanager vor vielen Jahren angefangen, uns intensiver auch mit der Struktur im Nachwuchs zu beschäftigen und dafür auch ein paar Euro locker gemacht - auch, wenn uns das im Etat der Oberliga-Mannschaft durchaus wehgetan hat.

Aber letztlich hat es wie erhofft Früchte getragen. Wir haben zusammen mit unserer Jugendabteilung in den letzten Jahren viele entscheidende Positionen stark besetzen und finanziell den U19-Bereich als direkten Unterbau immer wieder unterstützen können. Wir haben heute ein funktionales Team mit klar verteilten Aufgabenbereichen aufgestellt und können uns ob unser heutigen Verantwortlichen tatsächlich fast ausschließlich auf die Oberliga-Mannschaft konzentrieren. Nebenbei: Bei Sponsoren nach Geldern für den Nachwuchs zu fragen, ist im Zweifel auch deutlich leichter als Geld für bezahlte Spieler einzuwerben. Vor allem aber haben wir es als vergleichsweise kleine Nummer tatsächlich seit 2017 bis in die U19-Bundesliga geschafft. Wir waren zudem in der B-Bundesliga und der C-Jugend-Regionalliga damit in den drei höchsten Spielklassen Deutschlands vertreten. Auch wenn wir als „Nur-Oberligist“ immer wieder tolle Talente gen HSV, St. Pauli und andere NLZ’s ziehen lassen mussten, besteht unser Ligakader dadurch zu einem ligaweit unvergleichbar großen Anteil aus Eigengewächsen. Trotzdem spielen wir seit geraumer Zeit immer wieder im oberen Drittel der Liga mit.

Das allein würde dem HSV sicher nicht reichen. Klar. Er muss aufsteigen, um seinen  Ansprüchen gerecht zu werden. Aber darum geht es mir bei diesem Beispiel auch gar nicht. Ich wollte damit noch einmal verdeutlichen, weshalb es Sinn machen würde, alles daran zu setzen, den Geldgebern die Bedeutung des Nachwuchses zu verdeutlichen. So, wie es im kleinen funktioniert, kann es hier auch im Großen laufen. Einem Kühne ein funktionierendes Nachwuchskonzept inklusive aller dafür nötigen Kosten zu unterbreiten, das wäre schon vor langer Zeit mein erster Schritt gewesen. Und dabei hätte ich ebenso wenig Angst vor dem Einfluss des Investors wie Boldt es heute noch einmal betonte: „Die Frage, wie viel Einfluss Herr Kühne hat, ist mir ebenfalls viel zu populistisch. Ich orientiere mich an den Fakten: Marcell Jansen hat einen engen Draht zu Herrn Kühne, daraus macht er keinen Hehl, und das finde ich auch gut. Aber es gibt nicht eine Situation, seit ich hier bin, in der Herr Kühne ins operative Geschäft eingegriffen hat. Und das ist auch das Entscheidende beim Thema Transparenz: Die Entscheidungen werden im Volkspark getroffen.“

HSV muss den Nachwuchs mehr fördern

Von daher wäre meine Bitte an die Verantwortlichen des HSV: Ladet Euch doch die richtigen Investoren ein, um den Nachwuchs entsprechend Eurer Analysen auszurichten und langfristig besser aufzustellen. Jeder Euro, der hier reingesteckt wird, kann am Ende das zigfache davon Wert werden. Und nur, um hier jeglicher populistischer Diskussion vorzugreifen: Nicht Jonas Boldt persönlich muss bei jedem Juniorenspiel und bei der U21 auf der Tribüne scouten. Nein, es muss nicht immer der Chef sein, der die Entscheidungen im Nachwuchs trifft. Im Gegenteil: Das würde nicht lange gutgehen, da es hier einen (und noch mehr!) Verantwortlichen geben muss, der sich ausschließlich mit dem Thema Nachwuchs beschäftigt. Dafür ist der Aufwand im Profibereich dann doch zu groß. Aber wie sagte mein Opa mir immer, wenn er über sich als Firmenchef sprach? „Der beste Chef ist nie der, der am besten arbeitet - sondern immer der, der am besten delegieren kann.“ Soll heißen: Eine One-Man-Show ist hier wie in allen anderen Bereichen auch nicht angebracht. Im Gegenteil, wenn es am Ende im Ganzen funktioniert, profitieren alle davon. Im Kleinen wie im Großen.

Und dabei sollte den Verantwortlichen tatsächlich fast jedes Mittel recht sein. Das heißt, auch jede Hilfe sollte man annehmen - sofern sie denn auch eine solche ist. Dass sich heute Ivica Olic äußerte, der HSV würde zu wenig auf die Expertise seiner ehemaligen Stars setzen, die ihrerseits über ein großes Netzwerk verfügen, ist interessant. Denn gerade bei Olic gab es diese Gedanken, ihn dazu zu nehmen. Allerdings ist das schwerlich mit dessen Job als Cotrainer der kroatischen Nationalmannschaft vereinbar. Wobei Olic auch nur ein Beispiel ist. Außer Olic gibt es noch viele andere Ex-Stars, die für den HSV interessant sein könnten. Aber ich warne an dieser Stelle noch einmal dringend davor, gute Fußballspieler automatisch auch zu guten Fußballfunktionären bzw. Scouts zu erklären. Das ist mitnichten so. Von daher ist die Frage der Woche, die wir Euch heute gestellt haben, für mich ganz eindeutig mit dem zweiten Lösungsvorschlag zu beantworten. Allerdings glaube ich sehr wohl, dass sich der HSV in den letzten Jahren zu selten um deren Expertise bemüht hat und es hier noch einiges an Optimierungspotenzial gibt…

 

Und bevor ich diesen Blog für heute beschließe, noch einmal was Neues aus dem Kabinett der Fußballzerstörer: Die FIFA will Teams wegen der Coronavirus-Krise vorübergehend bis zu fünf statt drei Auswechslungen pro Partie erlauben. Dadurch sollen die Profis ob der Belastung bei dem extrem engen Spielplan besser geschont werden. Der International Football Association Board (Ifab) muss zwar erst noch darüber entscheiden, eine Zustimmung gilt aber als sehr wahrscheinlich. Mit anderen Worten: Ein Wettbewerb wird grundlegend verändert, um beendet zu werden? Nein - was für ein Bullsh…. Und auch wenn diese Regeländerung dem HSV mit seinem breiten Kader eher entgegen kommen würde - irgendwann ist es einfach zu viel des Guten. Dann sollen die Spielserien doch einfach ein paar Wochen nach hinten erweitert werden, wenn denn die Belastung tatsächlich so unzumutbar ist…

In diesem Sinne, bis morgen! Da melde ich mich pünktlich um 7.30 Uhr wieder mit dem MorningCall bei Euch

In diesem Sinne bis morgen!

Scholle

 

P.S.: Gute Nachrichten von der DFL für den HSV. Wie die DFL nun mitteilte, wurde keinem der insgesamt 49 Bewerbern für die Erste und Zweite Liga die Lizenz verwehrt. „Manche Bewerber müssen bis Mitte Juni noch Bedingungen erfüllen, um im Falle der sportlichen Qualifikation die Spielberechtigung zu erhalten“, schrieb die DFL in der Mitteilung. Der HSV zählt nicht zu diesen Klubs und erhält die Lizenz ohne Auflagen.

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