Christian Hoch

21. Oktober 2019

In der ausverkauften Schüco-Arena (26.515 Zuschauer) trennten sich Arminia Bielefeld und der HSV im Zweitliga-Topspiel leistungsgerecht 1:1 (0:1). Im ersten Durchgang verpasste es ein starker HSV, frühzeitig das Spiel zu entscheiden. Nach dem umstrittenen Ausgleichstreffer in der zweiten Halbzeit waren es aber die Bielefelder, die die besseren Gelegenheiten hatten und sich den Punkt am Ende nachträglich verdienten. Der HSV muss sich den Vorwurf gefallen lassen, im ersten Abschnitt zu wenig aus seinen Chancen gemacht zu haben. Auch die Gründe für das passive Auftreten in Halbzeit zwei müssen deutlich analysiert werden.

Der Frust saß nach dem Abpfiff sowohl bei den Spielern als auch den Verantwortlichen tief. Natürlich auch deswegen, weil der HSV nach einer richtig starken ersten Halbzeit noch die Führung aus der Hand gegeben hat, vor allem aber wegen der Szene, die mit zum Ausgleich geführt hat. In der 49. Minute war Josha Vagnoman auf der rechten Abwehrseite nahe der Torauslinie in einen Zweikampf mit Andreas Voglsammer verwickelt. Vagnoman wollte den Ball abschirmen, dabei bekam er von Voglsammer einen klaren Stoß verpasst. Schiedsrichter Frank Willenborg entschied auf Eckstoß. Eine Entscheidung, die mindestens fragwürdig war.

Für HSV-Trainer Dieter Hecking war sie sogar komplett falsch: „Das war ein klares Foul, die Szene muss der Schiedsrichter abpfeifen. Aber wir haben danach auch zu lange mit der Entscheidung gehadert - sowohl auf dem Platz als auch daneben.“ Auch Sportvorstand Jonas Boldt hatte beim Zweikampf zwischen Vagnoman und Voglsammer ein klares Vergehen des Bielefelders gesehen: „Das musst du abpfeifen und dann ist Ruhe. Voglsammer bringt Vagnoman aus dem Tritt. Er würde den Ball sonst nie in der Szene extra ins Aus spielen.“ Selbst Arminia-Trainer Uwe Neuhaus sprang dem HSV auf der Pressekonferenz nach der Begegnung zur Seite: „Ich habe auch ein Foul gesehen und hätte die Entscheidung an der Stelle des HSV auch beklagt. Ich gebe aber zu bedenken, dass es im gesamten Spiel ähnliche Situationen auf beiden Seiten gegeben hat, die in ihren Entscheidungen nicht immer nachzuvollziehen waren.“

Hecking kritisiert Spielleitung vom Schiedsrichter-Gespann

Dieser Satz traf wiederum bei Hecking, der sich während des Spiels immer wieder mit der Vierten Offiziellen unterhielt, auf volle Zustimmung. Der erfahrene HSV-Trainer kritisierte Willenborg und sein Gespann: „Diese Spielleitung geht so nicht, sie war dem Spiel nicht angemessen. Es waren so viele Entscheidungen in beiden Richtungen dabei, die nicht klar waren. Uwe (Neuhaus) und ich haben uns während des Spiels schon unterhalten. Wir hatten bei vielen Szenen kein gutes Gefühl in Sachen Spielleitung.“

In der HSV-Analyse dieses Spiels dürfen sowohl Spieler (Leiboldt: „Für mich bekommt Vagnoman einen klaren Schubser von hinten, das war ein Foul“) als auch Verantwortliche jedoch nicht vergessen, dass das Unentschieden auf der Alm letztlich verdient war. Denn der HSV verpasste es, während der guten ersten Halbzeit, die Führung weiter auszubauen. Die Ecke zum Ausgleichstreffer von Klos verteidigte der HSV dann zudem schlecht. Timo Letschert war klar für ihn zugeteilt, wie Kapitän Rick van Drongelen bestätigte, doch der Holländer verlor das Duell und Klos konnte einköpfen. Van Drongelen sprang seinem Teamkollegen zur Seite: „Klos ist sehr robust und ein guter Spieler. Du kannst gegen ihn nicht alles verteidigen.“

Absolut richtig waren die Worte von Boldt und Hecking nach dem Abpfiff, die sich nicht nur wegen der strittigen Szene vor dem Ausgleich echauffierten, sondern auch die Passivität und die Chancenverwertung der eigenen Mannschaft bemängelten. Hecking: „Wir haben eine fantastische erste Halbzeit gespielt, wir haben toll kombiniert und uns viele Großchancen herausgearbeitet. Da hätten wir den Sack zumachen können. In der zweiten Halbzeit hatte Arminia viele Chancen, das Unentschieden ist deswegen gerecht. Beide Mannschaften haben aber insgesamt gezeigt, warum sie zurecht oben in der Tabelle stehen.“ Boldt: „Wir haben eine starke erste Halbzeit absolviert. Da müssen wir uns vorwerfen lassen, dass wir unsere Chancen nicht genutzt haben.“

Gänsehaut-Atmosphäre vor dem Anpfiff

Rund zwei Stunden vor dem Anpfiff war die Stimmung zwischen den Anhängern von Arminia Bielefeld und denen des HSV harmonisch und entspannt. Exemplarisch: In einer Weinbar, die knapp zwei Kilometer entfernt von der Bielefelder Schüco-Arena liegt, verweilten einige HSV- und Bielefeld-Fans zusammen, tranken Wein und hörten Musik. Dann ging es zu Fuß in Richtung Stadion, welches natürlich ausverkauft war. Und auch hier war die Stimmung prächtig. Flutlicht, Topspiel, über 26.515 Zuschauer - Gänsehaut vor dem Anpfiff vorprogrammiert.

Sportlich setzte HSV-Trainer Dieter Hecking etwas überraschend auf Timo Letschert anstelle des wiedergenesenen Gideon Jung. Im Sturm durfte Lukas Hinterseer trotz des kleinen Weckrufs seines Trainers unter der Woche („Er kann ein bisschen besser spielen“) ran. Bobby Wood saß zunächst auf der Bank.

Lukas Hinterseer war es dann auch, der in der vierten Minute die erste Großchance der Partie hatte. Nach feiner Kopfballablage von Martin Harnik knallte Hinterseer den Ball aus 17 Metern auf das Tor von Stefan Ortega - der Bielefelder Schlussmann parierte jedoch stark. Insgesamt verzichteten beide Teams in den ersten zehn Minuten auf die berühmt berüchtigte Abtastphase. Stattdessen ging es von Beginn an in den Zweikämpfen zur Sache und auch mit Tempo auf beiden Seiten nach vorne. Die Folge: Dieses Spiel machte richtig Spaß. Die Arminia meldete sich mit einem Distanzschuss von Andreas Voglsammer (8.) auch in Sachen Chancen ebenfalls früh an. Aber dann das.

Hinterseer bleibt cool und hat den Druck vorher nicht gespürt

Im eigenen Ballbesitz wollte Bielefelds Joan Edmundsson einen Rückpass zu seinem Torwart spielen. Dabei vergaß er aber vorher, nach möglichen Gegenspielern in seinem Rücken zu schauen und legte deswegen unfreiwillig für HSV-Stürmer Hinterseer auf. Der Österreicher, um den nach zwei torlosen Spielen in Folge und den Hecking-Aussagen tatsächlich eine kleine Diskussion entstanden war, blieb eiskalt und traf in der 15. Spielminute zur 1:0-Führung für den HSV. Wie groß die Erleichterung über diesen Treffer des Stürmers bei den Verantwortlichen war, ließ der Jubelschrei von Co-Trainer Tobias Schweinsteiger erahnen, der auf der Tribüne ein lautes und lang gezogenes: „Luke“ in Richtung Rasen brüllte.

Hinterseer selbst hatte laut eigener Aussage den Rummel um seine Person unter der Woche nicht mitbekommen: „Ich war bei der Nationalmannschaft und habe deswegen gar nicht so viel mehr Druck gespürt. Ich habe zwei Spiele nicht getroffen und vielleicht auch nicht so gut gespielt, das stimmt schon. Aber wenn ich dann auch mal auf der Bank sitze, würde ich das akzeptieren und weiter alles für die Mannschaft geben. Wir haben einen breiten Kader und Bobby (Wood) hat es in der Länderspielpause wohl auch gut gemacht. Das freut mich für ihn.“ Beim Führungstor habe Hinterseer für sein eigenes Empfinden fast zu viel Zeit gehabt: „Ich habe mir viele Fragen gestellt: Soll ich den Ball lupfen? Wohin soll ich schießen? Ich habe dann die kleine Lücke entdeckt und den Ball mit voller Überzeugung reingehauen.“

Die verdiente Führung des HSV brachte bis dahin mutige Bielefelder zunächst völlig aus dem Konzept. Die Mannschaft von Trainer Uwe Neuhaus hatte enorme Abstände zwischen dem eigenen Mittelfeld und der Abwehrkette. Immer wieder hatte der HSV gefährliche Umschaltmomente und hätte nach 38 Minuten mindestens mit 2:0 führen müssen. Doch der Treffer von Martin Harnik zählte nicht - Abseits. Eine korrekte Entscheidung, doch auch dieser Angriff zeigte: Der HSV war in der ersten Halbzeit in allen Bereichen überlegen - und Bielefeld spielte dabei offensiv noch nicht einmal ungefährlich. Dennoch war es die Hecking-Elf, die schon vor dem Abseitstor von Harnik hätte treffen können, wenn nicht sogar müssen. Erst scheiterte Kittel (32.) aus kurzer Distanz deutlich, dann schob Dudziak den Ball freistehend vor Ortega am linken Pfosten vorbei (34.). Mit einer hochverdienten - aber zu niedrigen - 1:0-Führung ging es für den HSV also in die Halbzeit.

Strittige Szene mit Vagnoman - Klos köpft zum schmeichelhaften Ausgleich ein

So kam es dann wie es anders nicht kommen konnte. Nach 49 Minuten wurde Vagnoman von Voglsammer an der Torauslinie von hinten gestoßen - Schiedsrichter Frank Willenborg entschied nicht auf Foul, sondern auf Ecke. Nach der anschließenden Ecke verlor Letschert den Zweikampf gegen Klos, der DSC-Stürmer köpfte aus fünf Metern ein - das schmeichelhafte 1:1. An dieser Stelle darf aber nicht nur die strittige Szene mit Vagnoman beleuchtet werden, das gesamte Abwehrverhalten des HSV bei der Ecke war mehr als schlafmützig. Der Ausgleich hätte verhindert werden können.

In der Folge tat sich der HSV auf einmal zunehmend schwerer in dieser Begegnung. Die Bielefelder waren extrem aggressiv in den Zweikämpfen - und gingen dabei auch immer wieder über die Grenzen des Erlaubten hinaus. Vor allem Adrian Fein musste extrem viel einstecken in diesem Spiel. Der Spielfluss des HSV war nach dem Ausgleich und durch die harten Zweikämpfe dahin, Bielefeld verteidigte kompakter und selbstsicherer in den eigenen Aktionen nach vorne. Und der HSV? Die Rothosen hatten in der zweiten Halbzeit überhaupt keine Torchance mehr, weil sie im Spielaufbau urplötzlich Fehler machten, die im ersten Durchgang noch nicht zu sehen waren und auch sonst viel zu passiv agierten. Spätestens nach etwas mehr als einer Stunde war es nur noch die Arminia, die gefährlich in der Offensive war und sich Chancen herauspielte. In der 72. Minute klärte Letschert in höchster Not gegen Klos - das Unentschieden mittlerweile sogar verdient.

 

HSV zu passiv - doch dann Dudziak an die Latte

HSV-Trainer Hecking reagierte und brachte nach 75 Minuten erst Khaled Narey für den sehr umtriebigen, aber insgesamt glücklosen Harnik. Drei Minuten später ersetze David Kinsombi noch Kittel, der im ersten Durchgang an vielen gefährlichen Aktionen beteiligt gewesen war, aber in der zweiten Halbzeit komplett abtauchte. Doch besser wurde das HSV-Spiel an diesem Abend nicht mehr, weil die Rothosen keinerlei mehr Kontrolle über die Partie hatten und keinen Druck mehr aufbauen konnten. Vielmehr waren es weiterhin die Bielefelder, die die gefährlichen Aktionen hatten. In der 80. Minute scheiterte Klos völlig frei an Heuer-Fernandes, der den zu zentralen Kopfball ohne Probleme halten konnte. Die obligatorische eine letzte Gelegenheit für den HSV sollte fünf Minuten vor dem Schlusspfiff aber doch noch kommen.

Aus 20 Metern knallte Dudziak einen Volley-Hammer an die Latte - Ortega hätte im Bielefelder Tor nicht den Hauch einer Chance gehabt. Letztlich blieb es aber beim - am Ende dann doch - leistungsgerechten Unentschieden im Zweitliga-Topspiel. Durch das 1:1 bleibt der HSV mit 21 Punkten an der Tabellenspitze, Bielefeld rangiert weiter zwei Zähler dahinter auf Relegationsrang drei. Am kommenden Samstag geht es für den HSV mit dem nächsten Knaller-Spiel zuhause gegen den VfB Stuttgart weiter. Drei Tage danach wartet das nächste Duell mit den Schwaben im DFB-Pokal.

Christian

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