Tobias Escher

25. Mai 2020

Als „Mexican Standoff“ bezeichnet man eine Filmszene, in der sich Kontrahenten mit gezückter Waffe gegenüberstehen, sich aber nicht trauen abzudrücken aus Angst, selbst erschossen zu werden. Der Hamburger SV lieferte sich am Sonntagnachmittag mit Arminia Bielefeld ein solches Standoff. Beide Teams ließen den Ball lange in den eigenen Reihen laufen, ohne allzu viel zu riskieren. Das folgerichtige Ergebnis war ein 0:0, mit dem vor allem die Gäste aus Nordrhein-Westfalen leben können.

Die Ausgangslage vor der Partie war verzwackt: Einerseits brauchte der Hamburger SV (45 Punkte) einen Sieg, um zu Spitzenreiter Arminia Bielefeld (52 Punkte) aufzuschließen. Andererseits steht bereits am Donnerstag das Spiel gegen die drittplatzierten Stuttgarter an. Diese hätten bei einer Hamburger Niederlage vorbeiziehen können. Genötigt zu siegen, aber gleichzeitig verdammt, nicht zu verlieren: Dieses Spannungsfeld spürte man dem Auftritt der Hamburger an.

Ballkontrolle, aber hauptsächlich in der eigenen Hälfte

Dieter Hecking hatte seine Startelf im Vergleich zum 2:2 gegen Fürth auf drei Positionen verändert. Martin Harnik und Sonny Kittel bildeten die neue Flügelzange, Bakary Jatta und Jairo Samperio mussten auf der Bank Platz nehmen. In der Abwehr kam Rick van Drongelen für Jordan Beyer zum Einsatz. Seine Kopfballstärke sollte helfen, Arminias Top-Torjäger Fabian Klos zu bändigen. Taktisch nahm Hecking damit kaum Änderungen vor. Sein HSV agierte erneut in einer Mischung aus 4-2-3-1 und 4-3-3. Jeremy Dudziak rückte im Spiel gegen den Ball immer wieder auf eine Höhe mit Stürmer Joel Pohjanpalo.

Der auffälligste Unterschied im Vergleich zum Fürth-Spiel war die hohe Dominanz, welche der HSV von der ersten Minute an ausstrahlte. Das lag nicht zuletzt am Gegner: Bielefeld konzentrierte sich zunächst darauf, defensiv stabil zu stehen und keine Räume zu öffnen. Ihr nominelles 4-2-3-1 wurde im Spiel gegen den Ball zum 4-4-2. Sie ließen Hamburgs Innenverteidiger das Spiel aufbauen, erst in der eigenen Hälfte suchten sie den Zugriff. Sie spielten ein klassisches Mittelfeldpressing. Für sie stand eine hohe Kompaktheit zwischen Abwehr- und Mittelfeldkette im Fokus, nicht so sehr der Zugriff auf Hamburgs Innenverteidiger.

Der HSV begann das Spiel mit viel Geduld. Im Spielaufbau fiel auf, wie aktiv sich Torhüter Daniel Heuer Fernandes in das Passspiel integrierte. Er verließ den Strafraum und agierte fast auf einer Höhe mit den Innenverteidigern. Diese konnten weiter nach außen rücken. Dank Heuer Fernandes hatte der HSV mit drei Aufbauspielern stets eine Überzahl gegen Bielefelds Zwei-Mann-Angriff. In den ersten Minuten gelang es dem HSV, gleich drei Chancen zu erarbeiten. Das lag weniger an der Struktur im Spielaufbau, sondern eher an den Fehlern, die Bielefeld machte. Ihre neu formierte Viererkette brauchte einige Zeit, ehe sie eingespielt waren. Doch weder Pohjanpalo noch Harnik konnten beste Chancen verwerten.

Taktische Aufstellung HSV - Arminia Bielefeld
Taktische Aufstellung HSV - Arminia Bielefeld

 

Viel Ballbesitz, wenig Torgefahr

Nach der Hamburger Anfangsoffensive verflachte das Spiel zusehends. Da auch der HSV in der Folge auf ein hohes Pressing verzichtete, ließ Bielefeld den Ball ebenfalls lange in den eigenen Reihen laufen. Die Ostwestfalen setzten auf ein geduldiges Passspiel, wie es Trainer Uwe Neuhaus bevorzugt: Immer wieder ging der Ball zurück zum Torhüter, immer wieder hofften sie darauf, dass der HSV zum Pressing übergeht und dabei Lücken lässt. Das taten Heckings Mannen aber nicht; sie setzten wie Bielefeld auf eine hohe Kompaktheit zwischen den Viererketten.

Dass beide Teams in der Folge kaum zu Chancen kamen, lag allerdings nicht nur an der kompakten Defensivleistung der Viererketten. Beide Teams gingen kaum Risiko während der eigenen Ballbesitz-Phasen. Beim HSV drückte sich dies darin aus, dass nicht nur die Außenverteidiger vergleichsweise tief blieben, sondern auch Sechser Adrian Fein. Er ließ sich häufig fallen, obwohl mit Heuer Fernandes bereits ein dritter Akteur in der Zentrale freistand.

Dass die Bielefelder mit etwas höherem Risiko durchaus zu knacken waren, bewies der HSV nach der Pause. Vor allem die Innenverteidiger gingen nun stärker in die Offensive: Van Drongelen und Timo Letschert stießen mit dem Ball am Fuß in die Lücken, die sich vor ihnen fanden. Sie zwangen Bielefelds Mittelfeld dazu, die eigene Position zu verlassen. Diese kurzen, aber effektiven Dribblings brachen die kompakte Defensive der Gäste auf.

Nun nahm das Hamburger Spiel Fahrt auf. Mit schnellen Ein-Kontakt-Kombinationen und Doppelpässen würfelten die Angreifer Bielefelds enge Defensive durcheinander. Nicht immer sprangen dabei Torchancen heraus; zumindest aber drückte der HSV die Bielefelder weit in die eigene Hälfte. Das öffnete die Möglichkeit, auch einmal mit Flanken den Ball in den Strafraum zu erzwingen. Bis zur 70. Minute hatten die Hamburger mehrere Möglichkeiten, selbst größte Chancen vergaben sie aber leichtfertig.

HSV wackelt kurz nach Bielefelder Umstellung

In der Schlussviertelstunde gingen die Bielefelder ins Risiko. Neuhaus brachte mit Ex-HSV-Angreifer Sven Schipplock einen zweiten Strafraumstürmer für Sechser Fabian Kunze. Da Marcel Hartel im zentralen Mittelfeld weiter offensiv agierte, pressten die Bielefelder nun mit einem 4-1-3-2. Der HSV brauchte einige Minuten, sich auf das aggressivere Pressing der Arminia einzustellen. In den Schlussminuten fanden sie aber die freien Außenspieler hinter Bielefelds erster Pressinglinie. Für Torgefahr sorgten die Hamburger aber nun kaum mehr. Es blieb beim 0:0.

Viele Pässe, wenig Risiko: So lässt sich das Spitzenspiel der Zweiten Liga zusammenfassen. Die Bielefelder wirkten nach der Partie befreiter als die Hamburger. Sie konnten ihren Vorsprung halten. Und die Hamburger? Diese müssen sich trotz einer defensiv wie offensiv disziplinierten Leistung über die mangelhafte Chancenverwertung ärgern. Ob das Unentschieden für den HSV zu wenig war, entscheidet sich aber erst am Donnerstag. Dann kommt es zum Duell mit dem VfB Stuttgart, dem ernstesten Konkurrenten um den zweiten Platz. Ob der HSV dann mehr Risiko wagt?

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