Lars Pegelow

8. März 2018

Eines vorweg, nachdem in den vergangenen Tagen immer wieder beklagt wurde, der Aufsichtsrat würde Dinge laufen lassen: Im Sinne der Konsequenz ist es richtig, dass Heribert Bruchhagen und Jens Todt nun freigestellt wurden, denn es herrscht jetzt Klarheit. Auch wenn es nur der erste Schritt war und der zweite, nämlich die Neubesetzung der vakanten Positionen, dringend folgen muss. Und zwar anders als Bernd Hoffmann („Wir haben keine Eile.“) sagte, muss dieses so schnell wie möglich geschehen – auch wenn es nachvollziehbar ist, dass der neue Aufsichtsrats-Vorsitzende sich verbal nicht zusätzlich selbst unter Druck setzen möchte.

Nichtsdestotrotz ist der heutige Donnerstag mal wieder ein Beben für den HSV. Gut ein Jahr nach der Trennung von allen möglichen Führungsfiguren nun erneut ein „Neustart“, wie Bernd Hoffmann sagte. Ganz pointiert sagte der Präsident des HSV e.V.: „Das ist der Neustart, und wir arbeiten alle gemeinsam entweder am Wunder oder an der Zweiten Liga.“ Dieser Satz fasst die Situation gut zusammen, aber natürlich bleiben einige ganz elementare Fragen offen. Aber zunächst zu denjenigen Fragen, die beantwortet sind.

Frank Wettstein ist aktuell der letzte verblieben Mohikaner, derjenige, der alle Beben der vergangenen drei Jahre überstanden hat. Er als Vorstands-Vorsitzender – das ist vorübergehend. „Ich erhebe keinen Anspruch auf dieses Amt, dabei bleibt es“, so Wettstein. Darüber hinaus wurden weitere Interims-Lösungen geschaffen, so eine Art Löcher-Stopfen. Sportliche Verantwortung tragen Bernhard Peters, der Sportdirektor, und Johannes Spors, der Chefscout. Bernd Hoffmann sieht dadurch kein Vakuum: „Es wird nicht so sein, dass hier die Räder stillstehen. Wir haben einen funktionierenden Bereich. Der Manager ist nicht mehr da, aber das wird nicht dazu führen, dass irgendeine Entscheidung, die ansteht, nicht gefällt wird.“ Hoffmann bemüht das Beispiel VfB Stuttgart vor zwei Jahren, als ein ähnlicher personeller Kahlschlag beim Abstieg in die Zweite Liga erst spät aufgefangen wurde – und trotzdem konnte der VfB am Ende aufsteigen in die Bundesliga.

Neben den genannten sportlichen Experten erfährt Bernd Wehmeyer ein „Upgrade“. Der bisherige Team-Manager, kurioserweise enger Vertrauter des geschassten Heribert Bruchhagen, wird nah an die Mannschaft heran rücken und als Absprechpartner beispielsweise mitfahren zum Auswärtsspiel bei den Bayern am Sonnabend.

Das diese Konstellation nicht ausreicht, um alle Fragen der Kader- oder sonstigen Planungen, die die Mannschaft betreffen, voranzutreiben, liegt auf der Hand. Zumal auch die Trainerfrage unbeantwortet geblieben ist. Zwar sagte Frank Wettstein, angesprochen auf das Szenario eines erneuten Trainerwechsels noch in dieser Saison: „Stand heute halte ich das nicht für möglich. Bernd Hollerbach hat Vertrauen bekommen und die Mannschaft eine Entwicklung gezeigt. Wir werden die sportliche Entwicklung als Team entscheiden – und Bernd Hollerbach ist Bestandteil dieses Teams.“ Bleibt er das mit seinem bis 2019 laufenden Vertrag, Herr Wettstein? „Das ist momentan zu weit gegriffen. Wir haben damals entschieden, dass für diesen Fall Bernd Hollerbach ein geeigneter Kandidat ist. Dadurch hat sich Stand heute nichts geändert. Nur dadurch, dass wir im Vorstand einen Wechsel haben, wechseln wir nicht unsere Richtung.“

Dessen ungeachtet wird Bernd Hollerbach eins und eins zusammenzählen können. Er wurde geholt von Jens Todt und Heribert Bruchhagen, der Aufsichtsrats-Vorsitzende war Jens Meier. Alle sind weg, neue Leute sind da oder werden kommen. „Ich weiß nicht, wie der HSV plant – es war ja eine Menge los heute“, sagte Hollerbach dazu. Ihm bleibt die fragwürdige Ehre, den HSV womöglich in die Zweite Liga führen zu müssen. Weshalb sollten Hoffmann oder Wettstein jetzt noch einen neuen Trainer holen, und diesen dann mit dem wahrscheinlichen Abstieg auch noch verbrennen und darüber hinaus Geld zum Schornstein rauspusten? Das macht keinen Sinn – das weiß Hollerbach, dem gute Miene zum bösen Spiel bleibt.

Mal abgesehen von den ganzen einzelnen Entscheidungen des Tages bleibt unter dem Strich Bernd Hoffmann als die zentrale Figur übrig. Er hat das Kommando im Aufsichtsrat übernommen. Michael Krall, zuletzt noch gepriesen als starker Mann im Hintergrund, ist nicht mal mehr stellvertretender Vorsitzender des Kontrollgremiums. Hat er gezögert bei der Demission von Bruchhagen/Todt? „Man hat mir mit meiner Erfahrung offenbar zugetraut, jetzt den Aufsichtsrats-Vorsitz zu übernehmen“, sagte Hoffmann. „Das war das Ergebnis unserer Gespräche, die sich in den vergangenen Tagen ergeben haben.“ Krall ist nun nur noch „normales“ Aufsichtsratsmitglied – alle Macht für Hoffmann.

Er wird in den kommenden Tagen versuchen müssen, vor allem schnell eine überzeugende Lösung auf dem Sportvorstand-Stuhl zu finden. Erste Namen werden gehandelt. Jonas Boldt von Bayer Leverkusen, die rechte Hand Rudi Völlers. Das Dementi aus dem Westen kam zügig. „Völliger Blödsinn“, sagte Völler. „Boldt wird noch viele Jahre in Leverkusen bleiben.“ Dies bleibt ebenso abzuwarten wie die Personalie Ralf Becker (Holstein Kiel) oder Michael Meeske. Der ehemalige Geschäftsführer des FC St. Pauli, der jetzt beim 1. FC Nürnberg arbeitet, soll laut „Sport-Bild“ ein Kandidat für den Vorstands-Vorsitz sein. Auf jeden Fall wird ein sportlich Verantwortlicher, wer auch immer es sein wird, ganz schnell seine Arbeit aufnehmen müssen. Denn die Spieler und die Berater von heute wissen jetzt lediglich, dass sie sich aber auch wirklich nicht mehr an Jens Todt wenden müssen. Wer stattdessen ihr Ansprechpartner ist – das bleibt unbekannt. Keine personelle Entscheidung beim HSV sollte sinnigerweise getroffen werden, ohne den neuen starken Mann im sportlichen Bereich einzubinden – wie immer er auch heißen mag.

Einige andere Alternativ-Kandidaten haben dem HSV mittlerweile mehr oder weniger deutlich abgesagt. Am deutlichsten hat dies Felix Magath getan. Um es auf den Punkt zu bringen: Eine Zusammenarbeit Hoffmann/Magath ist einfach nicht möglich. Bei „Sky“ sagte Magath: „Ich werde dem HSV selbstverständlich helfen, wenn ich kann. Aber ich sehe da keine Möglichkeit mit den Personen, die beim HSV sind.“ Gleichzeitig rechnete Magath hart mit der Arbeit von Bruchhagen und Todt ab. „Die Entscheidung war überraschend aber auch überfällig“, urteilte Magath. In den vergangenen Tagen war er in Hamburg und habe sich gefragt: „Passiert denn hier nie etwas, gibt es denn nie eine Entscheidung?“ Die heutige Personalentscheidung sei die einzige Chance gewesen, Bruchhagen und Todt hätten „nichts bewegt“.

Außerdem wurden Horst Heldt und Jörg Schmadtke – wie üblich – zu ihrem Kontakt mit dem HSV befragt. Die Antworten, auch wie üblich: aktuell kein Kontakt.

Stark war heute der Abgang von Heribert Bruchhagen, das muss man ihm lassen. Er verabschiedete sich stilecht, räumte die Fehleinschätzungen der vergangenen Monate ein und schickte dem HSV die besten Wünsche hinterher ohne nachzukarten.

Ein turbulenter HSV-Tag geht zu Ende. Wieder einmal wurde tabula rasa gemacht. Der HSV stellt sich komplett neu auf, versucht es wieder einmal verzweifelt, durch Gegensteuern das untergehende Schiff von den Klippen fernzuhalten. In der Vergangenheit sind alle derartigen Versuche gescheitert. Der HSV ist nicht in ruhige Wasser gekommen. Jetzt soll es Bernd Hoffmann schaffen. Aber was heißt „soll“ – er muss es schaffen. Der HSV, sowohl der e.V. als auch die Fußball AG, haben all ihre Entscheidungen auf Bernd Hoffmann zugeschnitten. Er wollte diese Konstellation haben, das hat er in den vergangenen Wochen häufig genug gesagt. Nun ist er am Ruder, aber leicht wird es mit Sicherheit nicht. Hoffmann muss das versuchen, woran alle Amtsinhaber in den vergangenen Jahren – teils kläglich – gescheitert sind: Die Rettung des HSV.

 

Bis morgen.

Lars

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