Christian Hoch

16. Oktober 2019

Es ist die Meldung des Tages: Kyriakos Papadopoulos (27) wird mit sofortiger Wirkung nur noch bei der U21-Mannschaft (Regionalliga Nord) trainieren, im Winter soll das Kapitel HSV mit einem Vereinswechsel in der Karriere des ehemaligen Top-Talents vollständig geschlossen werden. Eine Trennung in Etappen, die normalerweise enormes Explosionspotenzial besitzt. Weil jedoch alle Beteiligten klug handelten und offen miteinander umgegangen sind, wird sie geräuschlos, ohne Schlammschlacht und ohne die eigentlich gewohnte HSV-Posse auskommen. Ein Hintergrundbericht.

11. Februar 2017, 16:15 Uhr, Leipzig. Im hellblauen HSV-Trikot geht Kyriakos Papadopoulos in Richtung der Katakomben der Red-Bull-Arena von RB Leipzig. Der damals akut abstiegsbedrohte HSV führt zur Pause vollkommen überraschend mit 2:0 gegen den turmhohen Favoriten RB Leipzig. Papadopoulos legt seinen Arm um 10-Millionen-Neuzugang Walace, greift mit der Hand um seine Schulter, zieht ihn zu sich und küsst ihn auf den Kopf. Papadopoulos und Walace strahlen um die Wette. Beide haben mit ihren beiden Kopfballtoren den HSV in Führung geschossen, das Spiel geht am Ende mit 3:0 an die Hamburger, die letztlich mit einem Last-Minute-Sieg am letzten Spieltag gegen den VfL Wolfsburg die Klasse retten.

Papadopoulos, im Winter auf Leihbasis von Bayer 04 Leverkusen zum HSV gekommen, wird ein prägendes Gesicht der Wunder-Rettung. Nach dem Leipzig-Spiel gab ihm die Hamburger Morgenpost (MOPO) eine Eins als Note und schrieb: „Ein Hammer, dieser Typ. In jeder Hinsicht. Sollte er gesund bleiben, muss und wird der HSV alles daran setzen, die Leihgabe nach der Saison zu kaufen. Und wenn dafür alle Kühne-Millionen des kommenden Sommers nötig sind.“ Gesagt, getan. Für rund 7 Millionen Euro kaufte ihn der damalige Sportvorstand Dietmar Beiersdorfer von Bayer 04 Leverkusen. Damaliger Sportdirektor im Westen: Jonas Boldt, der heutige Sport-Verantwortliche des HSV.

Transparenz, Offenheit, Klarheit - für diese Trennung können alle Beteiligten nur gelobt werden

Hamburg, zweieinhalb Jahre später. Das Ende der Zeit des Griechen beim HSV ist besiegelt. Die „Papa“-Euphorie ist im Volkspark ohnehin längst großer beidseitiger Ernüchterung über die gemeinsame Zeit gewichen. „Aufgrund der für ihn sportlich unbefriedigenden Situation ist Papa mit dem Wunsch an uns herangetreten, den Verein im Winter verlassen zu können. Da wir die Spannung im aktuellen Wettkampf hochhalten wollen, sind wir gemeinsam zu dem Entschluss gekommen, dass er sich so lange bei der Regionalliga-Mannschaft fit halten wird“, wird Sportvorstand Boldt auf der vereinseigenen Homepage zitiert. Auch Papadopoulos äußert sich: „Wer mich kennt, der weiß, dass ich immer spielen und dabei alles geben möchte. Die Verantwortlichen haben mir deutlich aufgezeigt, dass dies derzeit nicht möglich ist. Diese Entscheidung habe ich zu akzeptieren.“ Auch wenn der 27-Jährige mit diesen vorgefertigten Worten an dieser Stelle auftaucht, sieht es in ihm persönlich anders aus.

Fakt ist: Hinter Rick van Drongelen, Gideon Jung, Timo Letschert, Ewerton und zuletzt auch Talent Jonas David ist Papadopoulos die aktuelle Nummer sechs in der Innenverteidigung des HSV. Ein Zustand, der dem Selbstbild des ehrgeizigen und stolzen Griechen vollkommen widerspricht und nicht in die eigene Realitätsauffassung passt. Im Normalfall hätte ich zum Thema Papadopoulos und dem HSV schon längst eine hoch emotionale und öffentliche Schlammschlacht erwartet. Spätestens jetzt nach der Rückkehr von Timo Letschert und Ewerton. Die Protagonisten, die mir immer vorschwebten: Er selbst, der gegen die HSV-Verantwortlichen schießt. Mit Reaktionen dieser und Sanktionen sowie Suspendierungen gegen den eigenen Spieler. Mit den Fans und ihren Kommentaren via Social Media. Mit Klaus-Michael Kühne, der den berühmten „Luschen“-Ausdruck doch noch einmal aus der Kiste kramt und von Pierre-Michel Lasogga nun auf Papadopoulos überträgt. Dieser Zyklus, dieser Ablauf, diese Mechanismen - in den vergangenen Jahren gewohnte Realität in Hamburg. Doch die Zeiten beim HSV scheinen nunmehr andere zu sein: Für die Papadopoulos-Trennung können alle Beteiligten nur gelobt werden.

Papadopoulos sollte schon im Sommer weg - Wechsel nun im Winter

Schon im vergangenen Sommer planten der damalige HSV-Sportchef Ralf Becker sowie Sportdirektor Michael Mutzel nicht mehr mit Papadopoulos. Auch der aktuelle Trainer Dieter Hecking, der noch von Becker kontaktiert wurde, war später in diese Planungen eingebunden. In einem offenen Gespräch wurde Papadopoulos schon vor der Saison sowohl von Hecking und Boldt zusammengefasst mitgeteilt: Ja, jeder Spieler wird gleich behandelt und bekommt eine Chance, aber aktuell spielst du in unseren Planungen eine untergeordnete Rolle. Es wird schwierig. Für „Papa“ ging es in dieser Phase aber noch primär darum, nach seinem Knorpelschaden (fehlte fast eine komplette Spielzeit, insgesamt 229 Tage und 27 Spiele) wieder fit zu werden.

Am ersten Spieltag der aktuellen Saison begann Papadopoulos in der Innenverteidigung - und spielte extrem schwach. Tempodefizite kaschierte er durch riskante Grätschen, die größtenteils gut gingen, aber auf Dauer sicherlich auch mal nicht funktioniert hätten. Dieses Spiel war eine erneute Initialzündung für Hecking und Boldt. Sie erkannten: Papadopoulos ist ein Risiko- und Unsicherheitsfaktor in unserem Spiel. Er passt mit seiner aggressiven und riskanten Spielweise nicht in unser System. Hecking machte in der Folgezeit öffentlich nie einen Hehl daraus, dass er auf die Grätschen des Griechen nicht steht. Bezeichnend dafür sein Lob nach dem Testkick gegen Bundesligist Wolfsburg, in dem der HSV defensiver agieren musste und viele Zweikämpfe geführt wurden: „Das war sein Spiel.“

Großverdiener Papadopoulos bekommt rund 4 Millionen Euro Gehalt

Doch zur HSV-Ausrichtung in der Zweiten Liga passt diese Art einfach nicht. Im Spielaufbau hat auch das gesetzte Innenverteidiger-Duo van Drongelen und Jung noch Entwicklungspotenzial, aber bei Papadopoulos ist mittlerweile überhaupt keine konstruktive Idee mehr zu erkennen. Darüber hinaus fehlen ihm Spritzigkeit und Tempo. Kurzum: Der Großverdiener Papadopoulos, Jahresgehalt rund 4 (!) Millionen Euro, ist nicht mehr gut genug für die zweite deutsche Bundesliga. Das haben ihm Boldt und auch Hecking in vertraulichen Gesprächen auch offen gesagt, wie der Trainer in der Medienrunde selbst anmerkte: „Papa und ich haben offene Gespräche geführt und unsere jeweiligen Standpunkte ausgetauscht. Dabei habe ich ihm offen seine Perspektive bei uns aufgezeigt. Durch die Rückkehr von Timo Letschert und Ewerton ist es für ihn noch einmal schwieriger bei uns geworden. Wir haben auch gesehen, dass Gideon Jung und Rick van Drongelen es sehr, sehr gut gemacht haben in der Anfangsphase der Saison.“ Hecking weiter: „Papa hatte mit unserer aufgezeigten Perspektive natürlich Probleme, weil er immer spielen möchte und sich auch mittlerweile wieder zu 100 Prozent fit fühlt nach seiner langen Verletzung. Von ihm kam deswegen klar der Wunsch, dass er den Verein im Winter verlassen möchte. Dafür haben wir eine Lösung gesucht. Es ist wichtig, dass er zufrieden ist. Wir dürfen aber auch unsere Ziele nicht damit gefährden, dass wir jemanden in der Kabine haben und denken: ‚Da könnte vielleicht mal Unruhe aufkommen.´ Wir brauchen den vollen Fokus und der ist bei Papa einfach nicht mehr gegeben, wenn er den Verein im Winter verlassen möchte.“ Doch nicht nur die HSV-Bosse handelten weitsichtig, professionell und offen. Auch die Spielerseite kann an dieser Stelle nur gelobt werden.

Der Grieche wechselte sein Management, wird nun von der Agentur Seven United betreut, um seinen Transferwunsch zu forcieren und zu untermauern. Seine Berater erkannten: Öffentliche Äußerungen und Schlammschlachten wären in der aktuellen Situation des Griechen nicht förderlich, um einen neuen Verein mit Ambitionen zu finden. Aus Selbstschutz vor den emotionalen Ausbrüchen und der eigenen Unzufriedenheit haben Papadopoulos und seine Berater dem HSV vorgeschlagen, ihn in die U21 versetzen zu lasse - die bestmögliche Lösung. Papadopoulos kann sich fithalten, unter Umständen in der Regionalliga Spielpraxis sammeln und ist nicht mehr mit der Situation tagtäglich konfrontiert, die sein Selbstvertrauen immer wieder aufs Neue erschüttert. Und auch der HSV ist in seinen täglichen Abläufen vor negativer Energie geschützt, der Fokus bleibt im Team oben und der Konkurrenzkampf weiter geschürt.

An dieser Stelle muss aber auch betont werden: Die HSV-Kabine verliert in Papadopoulos einen insgesamt absolut guten Charakter. Negative Äußerungen tätigt er im Grunde nicht mit bösen Absichten, sondern weil es seinem emotionalen Naturell entspricht. Papadopoulos ist ein Vulkan, der in solchen Situationen regelmäßig kurz vor dem Ausbrechen steht. Große Teile der Mannschaft und auch in der Führungsebene schätzen Papadopoulos familiäre und freundschaftliche Art sehr. Ein Spieler hat ihn mir gegenüber mal als „den lustigsten Spieler“ im ganzen Team bezeichnet. Seinen Abgang zur U21 finden deswegen auch weite Teile des Teams insgesamt sehr schade. Nachvollziehbar und unvermeidbar ist dieser Schritt dennoch.

Top-Talent, Verletzungen, Probleme - der Fall des Papadopoulos

„Papa ist sehr emotional, ein familiärer und loyaler Typ, der für seinen Verein alles gibt. Es muss schon viel passieren, dass er die Flinte ins Korn wirft“, sagt einer, der ihn mittlerweile ziemlich gut kennt. Kevin Scheuren ist Podcast-Moderator bei meinsportpodcast.de (Starting Grid) und großer Bayer 04 Leverkusen-Anhänger. Papadopoulos hat er während seiner Zeit bei Bayer kennengelernt. Beide haben immer wieder persönlichen Kontakt. Der Grieche hat Scheuren sogar ein getragenes HSV-Trikot geschenkt: „Natürlich hat er seine gewissen Ecken und Kanten, er ist auch etwas eigen. Aber im Grunde ist er ein ganz normaler Junge, der einfach nur Fußball spielen möchte.“

Vom Angebot von Manchester City und einem Marktwert von 18 Millionen Euro zum vorzeitigen Regionalliga-Spieler. Der Fall von Papadopoulos seit seinem Durchbruch 2010/2011 beim FC Schalke 04 ist extrem tief und für Scheuren ein weiteres Beispiel für das teilweise brutale Geschäft Profifußball: „Ich glaube, dass er rückblickend zu früh ins Profigeschäft geschmissen worden ist. Der ganze Hype damals auf Schalke hat ihm nicht gut getan. Es sind damals auch Berichte über private Probleme aufgetaucht, die zwar bis heute nicht bewiesen sind, aber natürlich Fragen aufgeworfen haben.“

Verletzungen als ständiger Wegbegleiter - teures Missverständnis

Insgesamt 686 Tage fehlte Papadopoulos in seiner Karriere aufgrund von Verletzungen - das sind fast zwei Jahre. Diese verhinderten seine Weiterentwicklung und machten seinen Körper Stück für Stück kaputt. Scheuren: „Seine Verletzungen haben ihn immer wieder zurückgeworfen, mittlerweile überwiegen seine spielerischen Schwächen und lassen die Stärken im Hintergrund verschwinden. Ich denke, er muss zu einem Verein wechseln, der ihn so nimmt wie er ist und ihn einfach nur Fußball spielen lässt.“

Kyriakos Papadopoulos. Ein teures Missverständnis und ein weiterer Spieler, der nach einer kurzfristig guten Phase überhastet und ohne Weitblick sowie aufgrund Druck von außen von ehemaligen HSV-Verantwortlichen verpflichtet worden ist. Ein konkretes Angebot ist beim HSV für Papadopoulos noch nicht eingegangen. Mit dieser Aufgabe wird nun sein Management vertraut gemacht. Seine Berater müssen bis zum Winter potenzielle Kandidaten finden, wenn sie Papadopoulos an anderer Stelle unterbringen wollen. Klar ist: Er muss gehörige Abstriche beim Gehalt machen. Die Zeichen stehen momentan auf Abschied im Winter. Im Sommer läuft der Vertrag von Papadopoulos ohnehin aus. Spätestens dort ist dann Schluss in Hamburg und beim HSV.

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