Marcus Scholz

15. Juni 2020

Ich hatte es gestern im Blog schon geschrieben: Jetzt zählt nichts mehr - außer der Sieg. Und genau so präsentierte sich heute auch Trainer Dieter Hecking. Einsilbig, fokussiert, und immer darum bemüht, dem ganzen Saisonendspurt nicht mehr psychologischen Background zu liefern, als nötig ist. Er sei am gestrigen Sonntag, während der VfB Stuttgart beim Karlsruher SC mit 1:2 verlor und dem HSV den zweiten Tabellenplatz überließ, sogar einfach an der Alster spazieren gegangen. Zwar hätten ihm Passanten, die ihn erkannten, die Spielstände durchgegeben. „Aber das war mir egal. Ich muss mir auch meine Auszeit nehmen. Und die Ausgangslage hat sich null verändert. Wir haben noch nichts gewonnen“, warnte der Coach am Montag.

Hecking lenkt die Konzentration seiner Spieler auf die eigene Leistung. Wird die zu 100 Prozent abgerufen, gewinnt der HSV auch seine letzten drei Spiele. Davon bin ich überzeugt. Und das predigt auch Hecking. Sollte man aber irgendwo im Spielverlauf einmal nachlässig werden, kann es genauso schnell schiefgehen. „Wir müssen unser Ding machen, dann können die anderen spielen, wie sie wollen. "Wir müssen zusehen, dass wir unsere Spiele gewinnen. Dann können wir den Aufstieg aus eigener Kraft schaffen“, sagte Hecking. Und als hätte er gestern meinen Blog gelesen, fügte er hinzu: „Wir können die anderen Ergebnisse nicht beeinflussen. Mir ist es auch scheißegal.“

Hecking interessiert die Konkurrenz „null"

Da war es, dieses ungehörige Wort, das ich gestern etwas inflationär im Blog genutzt hatte. Aber es beschreibt die Situation eben auch am besten. Denn die Tabelle sagt alles. Sie gibt den Takt vor. Es gibt keine Alibis mehr. Auch nicht für den morgigen Dienstag, wenn der VfL Osnabrück im Volksparkstadion zu Gast ist – und bezwungen werden muss. Die Mannschaft, die dem HSV in der Hinrunde die zweite Niederlage beschert hatte. Mit 2:1 unterlag der HSV beim VfL an der Bremer Brücke gegen den Aufsteiger, der überraschend stark in die Saison gestartet war. Für den HSV war es der Anfang einer Trendwende weg von der Tabellenführung, während die Lila-Weißen ihre bärenstarke Hinrunde auch danach fortsetzten.

Inzwischen aber ist das Team von Sportchef Benjamin Schmedes wieder in die Gefahrenzone gerutscht. Auch für den VfL geht es also um viel. Dennoch sieht der ehemalige Chefscout des HSV, für den Schmedes zwischen 2014 und 2017, den VfL weniger unter Druck als den HSV. „Der Druck für dieses Spiel ist relativ klar verteilt. Auch wenn unsere Situation ebenfalls etwas angespannt ist, lastet schon deutlich mehr auf dem HSV. Ich glaube zumindest, dass der Aufstieg für den HSV eher erwartet wird als der Klassenerhalt für den VfL. Ein Punkt morgen wäre sicher wertvoller für uns als für den HSV“, so Schmedes, der noch weiter geht und den Umstand, auf ein Topteam zu treffen, sogar als Vorteil für seine abstiegsbedrohten Osnabrücker sieht: „Gegen die Top-3-Teams haben wir nur ein Spiel gegen Bielefeld verloren, ansonsten immer mindestens gepunktet. Wir gehen trotz der Niederlage zuletzt gegen Bochum durchaus selbstbewusst in die Partie beim HSV.“

 

Und auch Hecking hat den morgigen Gegner im Blick. Er betonte heute auf der Pressekonferenz noch einmal, dass der VfL von nur neun schwachen Punkten insgesamt in der Rückrunde bis hin zum Favoritenschreck alles abliefern kann. Berechenbar klingt anders. Eine Erklärung für den Einbruch in der Rückrunde hat Schmedes so richtig auch nicht. „Leider haben wir in der Rückrunde bislang zu viel liegen gelassen. Ein Mittelwert aus Hin- und Rückrunde entspräche am ehesten einer realistischen Einschätzung unseres Leistungsvermögens. Bislang hatten wir den Strich immer hinter uns. Und darum geht es in den letzten drei Spielen auch - wer drei Spieltage vor Schluss zwei Punkte vor der Relegation und vier vor einem Abstiegsplatz steht, für den geht es darum, auch am Saisonende über dem Strich zu stehen. Das wäre ein großer Erfolg.“

Osnabrück-Macher Schmedes setzt auf Teamgeist

Schmedes ist ein sehr intelligenter Mann, das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Auch fachlich. Zudem verfügt er über ein hohes Maß an Empathie, die gerade jetzt wichtig wird. Auch deshalb wird er nicht müde, die positiven Punkte hervorzuheben. Und er kündigt dem HSV schon jetzt mutig einen harten Kampf an: „Was den Willen betrifft, sind wir guter Dinge. Den haben wir bislang immer gezeigt. Gegen Bochum fehlte es uns ein wenig an Frische – aber andererseits hat es beispielsweise in Stuttgart zuvor sehr gut geklappt. In puncto Mut und Leidenschaft haben wir es immer wieder geschafft, Grenzen zu verschieben. Wir haben eine Gruppe zusammen, die sich auch als eine Gruppe versteht. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass bei uns alle dasselbe Ziel haben.“

Auch Hecking hatte nicht zuletzt vor dem Hinspiel die geschlossene Mannschaftsleistung der Osnabrücker hervorgehoben, die nicht zuletzt auf den altersmäßig und jobtechnisch noch jungen Trainer Daniel Thioune zurückzuführen ist. Schmedes: „Der Trainer ist sehr nah dran an der Mannschaft, weiß, was die Spieler denken. Er strahlt Selbstbewusstsein aus und kann zusätzliche Energie freisetzen. Seine positive Art wird von der Mannschaft komplett angenommen.“

Ich wollte von Schmedes wissen, ob es für seine Mannschaft eher ein Vor- oder ein Nachteil ist, dass die Ränge leer sind und von außen keine Stimmung auf das Spiel übertragen wird. Und der ehemalige HSV-Chefscout wollte erst gar nicht antworten. Er wolle keine Alibis für die Rückrunde suchen. Und noch weniger wollte er seinen Spielern welche liefern. Aber so ganz ohne ging es dann doch nicht. „Die Unruhe auf den Rängen, weil man als Underdog lange die Null hält, gibt es nicht“, so Schemdes, eher er relativiert: „Andererseits fällt natürlich auch die enthusiastische Unterstützung von den Zuschauern weg. Man kann es also drehen und wenden wie man will – es ist müßig.“

 

Fakt ist, dass das Spiel ohne Zuschauer tatsächlich ruhiger geworden ist, wie nicht nur ich finde. „Die Spiele ohne Zuschauer haben etliche Effekte. Nickligkeiten und Theatralik sind aus meiner Sicht deutlich zurückgegangen. Es ist alles etwas klinischer“, so Schmedes, der sein Team gern von außen beeinflusst sähe. Zumindest glaubt er daran, dass die Stimmung von außen seinem Team helfen würde: „Grenzen auf dem Platz können nicht durch die Stimmung von den Rängen verwischt werden. Es lässt sich auf vier wesentliche Parameter herunterbrechen: die Qualität der einzelnen Spieler, der Mannschaft, den Willen sowie die Leistungsbereitschaft.“

Leere Ränge als Nachteil für den VfL Osnabrück?

Vor allem hätten sich nicht nur er („Das Spiel ist für mich schon etwas Besonderes“) auf die tollen erstligareifen Atmosphären gefreut. Die fallen jetzt weg. Und so doof es klingt, aber es gibt tatsächlich in dieser Liga noch Spieler und Vereine, die sich allein mit der Stadionatmosphäre pushen können und noch nicht zu abgestumpft sind. „Natürlich hatten wir uns vor der Saison auf die Spiele bei den großen Klubs gefreut. Dass wir jetzt gegen Bielefeld, Stuttgart und den HSV auswärts vor leeren Rängen spielen müssen, ist sehr schade. Da ist schon viel Wehmut dabei. Das gilt speziell für einen kleinen Klub wie den VfL, für den diese Gegner und Stadien etwas Besonderes sind.“

Dieter Hecking indes setzt auf die Eigenmotivation seiner Spieler. Und auf den Trend der letzten Woche, in der der HSV in Dresden endlich mal ein Spiel wieder konsequent über 90 Minuten spielte. Und am Ende auch verdient gewann. „Wir wissen, dass wir gut unterwegs sind“, spricht Hecking die Statistik an. Auch der HSV-Trainer versucht dabei die Situation aus dem positiven Blickwinkel zu beschreiben. „Wir haben nur eines der letzten sieben Spiele verloren“, so Hecking, der auch hätte sagen können, dass der HSV nur drei der letzten zehn Spiele gewonnen hat.

Aber wie Hecking und auch wir sieht auch Schmedes den HSV auf einem guten Weg. „Der HSV hat sich zuletzt etwas Aufwind erspielt. Die Spiele des HSV sind zwar von grundsätzlicher Spielkontrolle aber auch von der ein oder anderen Anfälligkeit geprägt. Wir müssen alles abrufen, um in Hamburg zu punkten“, sagte mir Schmedes und deutete an, dass der HSV anfällig sei und seine Mannen genau dann da sein würden, wenn der HSV seine Schwäche zeigt. Und das ist bislang in noch jedem Spiel vorgekommen.

Kinsombi fit, Hoffen auf Beyer und Dudziak

Sicher dabei sein kann David Kinsombi, der nach seinem Glanzauftritt gegen Wehen Wiesbaden zuletzt wieder schwächer agierte und sich in Dresden zudem am Knie verletzte. Auch Aaron Hunt, der zuletzt sehr gut spielte, wird wieder beginnen. Inzwischen hat sich der Vertrag des HSV-Kapitäns um ein Jahr verlängert. Das Spiel gegen Osnabrück ist Spiel eins nach der Vertragsverlängerung – und ich hoffe, dass der Cardoso-Effekt (der Argentinier brillierte immer bis zur Unterschrift und ließ dann nach) ausbleibt.  Wichtiger als das wird morgen gegen Osnabrück eh sein, dass auch die zuletzt schwächelnden Kinsombi, Sonny Kittel und vor allem Adrian Fein wieder zu Normalform finden.

„Jetzt sind die Spiele, in denen sich große Spieler auszeichnen. Solche Spiele können hemmen – oder Kräfte freisetzen. In Bezug auf unser Team habe ich ein gutes Gefühl.“ Das sagt Schmedes, während Hecking davor warnt, dass man sich beim HSV nur auf einzelne Spieler verlässt. Weder Hunt noch Leibold oder auch Pohjanpalo würden Spiele allein gewinnen können. Wobei diese Wahrnehmung außerhalb des eigenen Radius‘ durchaus anders ist, wie Schmedes verrät: „Aaron ist beim HSV ja nicht der einzige. Da sehe ich gerade aktuell auch einen Pohjanpalo, Kinsombi war es gegen Wiesbaden, Leibold ist es immer wieder über außen und auch Kittel. Der HSV hat sicher schon ein paar mehr Spieler in seinen Reihen, die Spiele entscheiden können.“

Morgen gegen die immer wieder außergewöhnlich geschlossen auftretenden, kampfstarken Osnabrücker wird noch einmal wichtiger sein, dass man den Kampf nicht nur annimmt, sondern ihn auch für sich entscheidet. So, wie in Dresden. Nur noch etwas besser! „Dresden hatte seine Probleme. Die letzten drei Gegner sind noch einmal ein anderes Kaliber“, warnt Hecking. Sehr zur Freude von Schmedes, der das als Kompliment aufnimmt. Und wie ich ihn kenne, wird es das auch genau so als zusätzliche Motivation an seine Mannschaft weitergeben.

Marvin Willoughby sitzt auf der Heimcouch

Ich bin mir auf jeden Fall sicher, dass wir morgen ein interessantes Spiel sehen werden gegen alles andere als mauernde Osnabrücker. Fünf Spiele gegen die Top-Drei gab es bislang – nur eines wurde verloren, zweimal gab es ein Remis, zwei Spiele wurden gewonnen. Der HSV ist also gewarnt…

Und für alle, die keine Lust haben, das Spiel allein zu gucken, mein Tipp: Wie gewohnt werden wir auch morgen wieder auf unsere Heimcouch einladen. Ab 18 Uhr werden Kevin und Janik diesmal einen sehr spannenden Sportfunktionär da haben, den ich extrem gern kennengelernt hätte: Marvin Willoughby. Der Sportchef der Basketballer der Hamburg Towers wird mit unseren Jungs aus der Redaktion und allen, die von Euch dabei sein wollen, das Spiel begleiten. Freut Euch zusammen mit den Dreien, während ich immer wieder aus dem Stadion berichten werde, wie es sich live im Stadion verhält!

 

Bis dahin Euch allen erst einmal einen schönen Abend!

 

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