Marcus Scholz

27. Oktober 2018

Der Trainer wirkte erleichtert - aber er war zugleich auch schon mit der nötigen Spannung für das nächste Spiel ausgestattet. „Es wurde jetzt genug gelobt“, so Hannes Wolf heute nach dem Spiel-Ersatztraining. Jetzt gelte seine Aufmerksamkeit dem nächsten Spiel am Dienstag, wenn es im DFB-Pokal gegen Wehen Wiesbaden geht. Und das ist auch alles gut so - allerdings sollten zumindest wir hier noch mal rekapitulieren dürfen, was wir gestern in Magdeburg gezeigt bekommen haben.

Zumal es reichte, um heute auch nach dem Spiel des 1. FC Köln (1:1) zuhause gegen  Heidenheim punktgleich mit dem Tabellenführer zu sein. „Hannes kann es“ titelte die BILD heute in dem ihr eigenen Wortwitz. Und sie sprach von einem „Traumstart“, was ich bei allem Respekt und allem Vertrauensvorschuss in Wolfs Arbeit nicht gesehen habe. Vielmehr haben wir gestern ein ziemlich typisches HSV-Spiel aus dieser Saison gesehen, das am Ende gewonnen werden konnte. Es war nicht schlechter als sonst, ganz klar. Aber es war auch nicht besser.

Und das ist absolut kein Vorwurf an Wolf, der gerade einmal zwei Trainingseinheiten hatte, um seine neue Mannschaften kennenzulernen und einzustellen. Vielmehr zeigte sich auch heute im Spiel der Kölner wieder einmal, dass es insbesondere für den FC wie für den HSV schwer bleibt, die vorhandene Dominanz auch im Ergebnis deutlich zu machen. Ich bleibe auch dabei, dass die Erwartungshaltung, für die man letztlich Christian Titz gefeuert hat, zu hoch angesetzt ist für diesen HSV. Es ist meiner Meinung nach sogar kontraproduktiv und taktisch dumm, wenn man hier nicht nur drei Punkte sondern immer auch eine Deklassierung der Gegner erwartet. Das Ziel Aufstieg ist schon maximal - da kann man eigentlich nur noch verlieren. Aber wenn man das Ziel noch einmal verzieren muss, um zufrieden zu sein, dann kann das nur schiefgehen.

Egal wie, gestern hat der HSV gewonnen. Und es wurde danach gefeiert. Die mehr als 2500 mitgereisten HSV-Anhänger feierten zuerst die Mannschaft, um anschließend „Christian Titz“-Sprechchöre anzustimmen. Sie protestieren damit allerdings nicht gegen den neuen Trainer, sondern für den alten, dessen viel diskutierte Entlassung vor allem einem angelastet wird: Vorstandsboss Bernd Hoffmann. Der hatte intern schon länger keinen Hehl daraus gemacht, dass Titz nicht seine Wunschlösung sei. Und nachdem die Fans schon Hoffmanns Weg über den e.V. in den AG-Vorstand sehr kritisch begleitet und ihrem Unmut darüber Luft gemacht hatten, lasten sie ihm jetzt das Scheitern von Titz beim HSV an. 

Gestern entrollten sie nach dem Spiel ein Plakat mit einer klaren Botschaft an den Vorstandsvorsitzenden, der (offenbar in einer weisen Vorahnung dieses Protestes) erst gar nicht mit nach Magdeburg gereist war: „HOFFMANN, Du wirst von uns hören“. Und solange es nur beim Hören bleibt, ist das auch okay. Jedem steht es zu, seine Meinung zu haben. Allerdings klingt es fast schon wie eine persönliche Drohung. Und das ginge definitiv zu weit.

Fakt aber ist, dass die Personalie Titz einen Graben zwischen die Anhänger und den HSV gerissen hat. Und obgleich es sicher nicht leicht für Wolf wird, diese Lücke wieder aufzufüllen, sollte er sich darüber auch gar keine Gedanken machen müssen. Er kann nichts dafür und kann nur schwerlich beeinflussen, wie sich das Un-Verhältnis zwischen den Anhängern und dem Vorstandsvorsitzenden entwickelt. Er kann nur für gute Stimmung sorgen, indem gewonnen wird - und das hat er am Freitag geschafft. „Mit einem genialen Lupfer“ hatte ich gestern geschrieben und damit Lasoggas Pass auf Narey gemeint. Inzwischen muss ich gestehen, dass der Pass bei häufiger Wiederholung tatsächlich eher ungewollt aussieht.

Allerdings war er erfolgreich - und das darf sich der bullige Angreifer, der von vielen im Vorfeld zum Politikum hochstilisiert wurde, anheften: Er hat das Spiel entschieden, ohne selbst zu überragen. „Manchmal sieht man, was noch so alles in einem schlummert“, lachte Lasogga nach dem Spiel, „ich bin froh, dass der Pass so super ankam bei Khaled und er den Ball dann reingemacht hat. Es wurde ja auch heute Zeit, dass mal einer reingeht. Das war ein verdammt wichtiger Sieg nach der Woche, die hinter uns lag.“ Stimmt.

Und so sollten wir auch mit diesem Sieg umgehen, finde ich. Freuen wir uns einfach erste einmal über drei Punkte und ein Spiel, das Wolf sicher weitere Aufschlüsse gegeben haben wird, woran in den nächsten Wochen unter seiner Regie gearbeitet werden muss. Zwar betonte er heute noch einmal, dass er eine intakte Mannschaft vorgefunden habe und nur kleine Veränderungen hätte vornehmen müssen - aber ich bin mir sicher, dass Wolf in den nächsten Tagen und Wochen weitere Veränderungen durchsetzen wird, um mit der Mannschaft sein Spiel zu spielen. Defensiv muss er es eh, da David Bates gestern Gelbrot sah und gegen den 1. FC Köln fehlen wird. Ob er jetzt Leo Lacroix hinten reinstellen wird - es bleibt abzuwarten. Denn weder im Tranig noch bei seinen wenigen Spielminuten konnte der lange Innenverteidiger bislang überzeugen.

Überzeugender als zuletzt fand ich gestern - so ungefähr ab der 15. Minute - allerdings die Mischung aus Ballbesitz und dem langen Ball, um das Spiel mal schnell zu machen. Denn, das war wieder zu erkennen, der Ballbesitz an sich führt beim HSV leider noch immer zu oft dazu, dass man „quer, quer, zurück“ spielt und das eigene Spiel so verlangsamt. Die langen Bälle halfen dabei, schnell Raum zu überbrücken. Auch Wolf war zufrieden: „Wir haben am Anfang etwas gebraucht, um uns freizuschwimmen, ohne dass es in der Phase große Chancen gab. Danach haben wir eine gute erste Halbzeit gespielt, mit guten Gelegenheiten, ein Tor zu erzielen. Nach hinten haben wir nicht viel zugelassen, standen gut in den Räumen. Nur ein Tor hatte gefehlt. Vom Tempo und der Intensität her wollten wir das in der zweiten Halbzeit weiter so durchziehen. Dann kommt die Gelb-Rote-Karte, die viele Umstellungen erfordert. Wie die Mannschaft dafür die Verantwortung übernommen hat und weiter nach vorne gespielt hat, das war top. Sehr schön für uns, dass Khaled das Tor schießt. Wir sind sehr glücklich über den Sieg. Großes Kompliment an das Team.“

Warum ich schon wieder Wolf zitiere? Weil er für mich der einzige ist, der unbelastet sein Urteil sprechen kann. Bei allen anderen haben die Aussagen irgendwie noch ein Geschmäckle, da sie entweder nah an Titz sind, oder eben unzufrieden waren und alles loben, was jetzt neu ist. Dass beispielsweise Sportvorstand Ralf Becker anschließend eine tolle Leistung gesehen haben wollte - okay. Was soll er auch sagen? Er muss ja seine Entscheidung rechtfertigen und kann den Trainer bzw. die Leistung nicht infrage stellen.

Auch dass Lasogga, der unter Titz zum Einwechselspieler degradiert worden war, alles erst einmal toll findet - ist logisch. Gestern sagte er: „Der Trainer ist das richtig angegangen und wollte gar nicht so richtig viel verändern. Er hat uns einfach ein bisschen die Freiheiten auf dem Platz gelassen. Er hat an ein paar kleineren Schrauben gedreht. Das hat man heute glaube ich auch schon gesehen. Das tat uns gut. Das hat glaube ich auch ganz gut geklappt. Vielleicht schaffen wir es ja auch einfach mal, ein bisschen Ruhe reinzubekommen. Ich bin einfach froh, dass der Trainer auf mich setzt. Es war ein guter Start.“

Tabellarisch allemal. Obgleich Union Berlin und der FC St. Pauli morgen noch am HSV und Köln vorbeiziehen können, war es ein Schritt in die richtige Richtung. Und ich glaube, zumindest darauf können sich alle einigen. Ob man nun „Pro Titz“, „Pro Wolf“ oder für wen und was auch sein mag.

In diesem Sinne, bis morgen. Da gibt es um 13.30 Uhr die nächste Pressekonferenz mit Hannes Wolf, der dann tatsächlich in fünf Tagen vier Pressekonferenzen abreißen musste… Scholle     

 

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