Marcus Scholz

27. November 2017

Die Freude über den überzeugenden Heimsieg gegen Hoffenheim war Trainer Markus Gisdol tatsächlich nicht anzumerken. Im Gegenteil: Der Trainer wirkte genervt. Die Stimmung war ihm schon zu positiv. Und das, obwohl niemand mehr um Optimismus in den vielen schlechten Phasen ist, als er. „Wir haben halt ein besseres Ergebnis erzielt als in den letzten Spielen“, so der Trainer, „aber ich will es nicht zu hoch hängen, damit hier niemand nachlässt“, so Gisdol, der dennoch zufrieden feststellte: „Gestern hat schon vieles gepasst, ganz klar. Wie zuvor auch in so manchem Heimspiel, aber mit dem Unterschied, dass wir diesmal halt die Tore gemacht haben. Das ist alles.“ Darauf ausruhen dürfe man sich daher nicht, im Gegenteil: „Wir müssen so gierig bleiben und den Schwung mitnehmen.“ Alles andere wäre dumm, so der Trainer. Und damit hat er Recht.

Allerdings war auch gestern nach dem Spiel bei niemandem zu viel Zufriedenheit festzustellen. Sportchef Jens Todt war noch einer der euphorischsten mit den Worten „eine hervorragende Leistung“. Ansonsten warnten sich die Spieler und Verantwortlichen eher vor verfrühter Euphorie. Zurecht. Immerhin hat man nach 13 Spielen erst 13 Punkte. „Jetzt müssen wir in Freiburg nachsetzen, das wird eine schwere Aufgabe. Wir müssen uns die nächsten Tage gut vorbereiten“, so Abwehrchef Kyriakos Papadopoulos, der gestern in meinen Augen ob seiner unglaublich aggressiven Zweikampfführung einer der Besten beim HSV war.

Der Grieche hielt überall seinen Wirsing zwischen und schädelte weg, was hoch auch nur ansatzweise in Richtung HSV-Tor geflogen kam. Eine Gangart, die auch auswärts Anwendung finden dürfte. Und dennoch sehen Trainer Gisdol wie auch Papadopoulos große Unterschiede zwischen dem HSV im Volkspark und dem auswärts. „Zu Hause sind wir gut. Es ist nichts Neues, dass wir eine echte Heimmannschaft sind mit unseren Fans in unserem Rücken. Selbst wenn wir verlieren, spielen wir fast immer ordentlich in unserem Stadion“, so Papadopoulos und ich fragte Gisdol heute, ob er sich vorstellen könnte, auswärts die Taktik aus dem Heimspiel anzuwenden. Immerhin war genau diese simple wie überraschende Taktik einst ein Grundpfeiler der Happel-Ära.

Es seien doch immer nur zwei gleichgroße Tore, ein Rasenplatz, 22 Spieler, drei Schiris und ein runder Ball - also zuhause wie auswärts immer gleich. Man dürfe nur nicht zu großen Wert darauf legen, was von den Rängen käme. Das hatte Happel einst auf die Frage eines ARD-Sportschau-Reporter geantwortet (mein Vater hatte von 1979 bis 1987 nahezu alle Sportschau-Zusammenschnitte der HSV-Spiele auf VHS aufgenommen und vermachte mir diese). Der Reporter wollte wissen, wieso Happel Heim- und Auswärtstaktik nicht großartig unterscheide wie der Rest der Liga.

Und ich fand das damals ebenso logisch wie mutig. Aber vor allem ist das bei als außergewöhnlich hängengeblieben und kam immer wieder hoch, wenn ich später von taktischen Meisterleistungen hörte, darüber Analysen las und darüber sprach. Die kompliziertesten Analysen für ein an sich so einfach gehaltenes Spiel. Oder? Ich habe heute Markus Gisdol darauf angesprochen und wollte wissen, was – abgesehen von Ort und Fans – einen Trainer davon abhält, sein Spiel immer wieder durchzuziehen. „Es ist halt grundsätzlich etwas anderes. Warum werden denn 70 oder 80 Prozent der Heimspiele gewonnen, das hat schon einen Grund. Ein Heimspiel mit der Unterstützung und dem vertrauten Umfeld Auswärts Gegner oftmals mutiger und haben dort eine andere Unterstützung. Da gibt es auch oft 50:50-Situationen, wo du den Gegner in Kombination mit den Rängen in engen Situationen weckst und die Heimmannschaft nach vorn kommt. Aber unser Ziel muss natürlich sein, auswärts so aufzutreten wie zuhause“, so der Trainer.

Okay, qualitativ die Happel-Mannschaften mit dem heutigen HSV zu vergleichen ist sicher nicht so einfach. Dennoch behaupte ich, dass man in Spielen wie beim SC Freiburg beispielsweise am kommenden Freitag mit einer Taktik wie gegen Hoffenheim absolut nicht falsch liegt. Zumal das Breisgaustadion sicher kein Hexenkessel der Marke HSV oder gar BVB ist. Im Gegenteil.

Aber okay, jede Mannschaft tritt anders auf. Hoffenheim hat es versucht, spielerisch gegen den HSV zu lösen und der HSV hat versucht, diese spielerische Komponente im Keim zu erstecken und schnell umzuschalten. Der SC Freiburg wird am Freitag eher nicht den Fehler machen und so hoch stehen, dass man Gefahr läuft, überrannt zu werden. Stattdessen werden die Breisgauer sich nicht scheuen, lange Bälle zu spielen. Und angesichts dessen muss der HSV vorbeugen. Denn eines fehlt dieser Mannschaft ganz sicher: Tempo in der Viererkette.

Vor allem innen. Van Drongelen hat es, spielt aber nicht. Stattdessen stehen Papadopoulos, der häufiger alles oder nichts per Grätsche setzen muss (das allerdings sehr erfolgreich!) und Mergim Mavraj auf dem Platz. Letztgenannter zeigt aktuell zweifellos ansteigende Form, war aber auch gestern wieder ein Schwachpunkt. Als Innenverteidiger gewann er gerade einmal 44 Prozent seiner Zweikämpfe, was ein ganz bitterer Wert ist. Dass es nicht auffiel – okay. Aber hier muss sich der HSV wirklich Gedanken machen, wenn er irgendwann auch hinten mal so flexibel spielen können will, wie Gisdol es vor der Saison immer wieder geäußert hatte.

Deutlich flexibler geworden ist der HSV indes offensiv. Gestern überraschte Trainer Markus Gisdol mit Bobby Wood UND Jann Fiete Arp in der Startelf. Und während Arp wieder seinen Zug zum Tor unter Beweis stellte, Bälle ablegte und Torschüsse auflegte, wurde Bobby Wood im offensiven Mittelfeld nach Startschwierigkeiten zunehmend besser. „Ich glaube, dass beide Spieler noch voneinander profitieren werden. Es wird noch Zeiten geben, wo Fiete sich am Bobby orientieren können wird. Die Jungs haben im Training schon gut zusammengepasst. Und Bobby hat das gestern schon richtig gut gemacht. Er hat sich seine Chancen unglaublich intensiv erarbeitet.“ Komplimente, die sicher etwas überhöht sind, um Wood neues Selbstvertrauen zu geben. Zumal die Variante mit dem körperbetont agierenden, sehr schnellen US-Amerikaner gerade auch für Auswärtsspiele interessant werden kann – sofern Wood weiter defensiv so mitarbeitet wie gestern.

Zumal Gisdol defensiv noch auf der Siche zu sein scheint. Dreimal spielte der HSV bislang erst zu Null. Gegen Augsburg am ersten Spieltag, gegen Werder Bremen beim schwachen 0:0 und eben gestern gegen Hoffenheim. Ergebnis: Aus diesen drei Spielen wurden sieben Punkte geholt. „Die Null hinten war wichtig für uns“, so Papadopoulos, „davon wollen wir jetzt mehr.“ Und die Außenverteidiger funktionieren inzwischen auch immer besser. Dennis Diekmeier (Gisdol: „Er spielt seit Wochen schon stark“) mit wechselnden Rechtsaußen vor sich ebenso wie der immer stärker werdende Douglas Santos. Der Brasilianer war auch gestern wieder einer der besten Zweikämpfer auf dem Platz und bereitete sogar einen Treffer vor, indem er das Eigentor nach sechs Minuten erzwang.

Angesichts der schwierigen letzten Monate für den Linksverteidiger, ist diese Formsteigerung ganz sicher keine Selbstverständlichkeit. Auch deshalb erhielt Santos heute von Gisdol ein Extralob: „Wie viel Da sieht man ja, dass der Trainer niemand ist, der irgendjemanden nicht leiden kann, was mir ja manchmal in diesem Zusammenhang unterstellt wurde und was völlig abwegig ist. Wir sind im Leistungssport, da zählt nur die Leistung. Und wenn ein Spieler gut trainiert und gute Leistungen anbietet, dann spielt er. Wenn er dann so gut spielt, ist das umso schöner zu sehen, dass er die Durststrecke die er hatte, ein bisschen überwunden hat“, so Gisdol lobend, ehe er anfügte, dass das nicht das Resultat von vielen Gesprächen sei. „Mit dem Dougi muss man nicht groß reden. Macht man trotzdem, aber der ist einer, der ist immer ganz klar im Kopf, ein ganz feiner Bursche, der nie hadert. Wenn er mal nicht gespielt hat, hat er sich über Extratraining wieder versucht heranzuarbeiten, war immer positiv. Deshalb umso schöner, wenn so ein Spieler den Weg zurück wieder findet. Er hat sich einfach viel mit der Situation beschäftigt, viel nachgefragt – er hat das einfach selbst geschafft. Das war im Training zu sehen, dass er viel selbst an sich gearbeitet hat. Er macht das wirklich gut.“

Stimmt. Aber wie gut der HSV letztlich ist, lässt sich an dem gestrigen Spiel noch nicht beurteilen. Sehr wohl aber, wie gut er sein kann, wenn alle funktionieren. Und das lässt hoffen. Vor allem darauf, dass die Mannschaft endlich etwas Konstanz in ihre Leistungen bekommt. Beginnend mit dem Auswärtsspiel in Freiburg am Freitag. In diesem Sinne, morgen wird dafür um zehn Uhr öffentlich trainiert. Ich melde mich dann wie gewohnt gegen Abend wieder bei Euch!

 

Scholle

 

P.S.: Weil ich gefragt wurde, weshalb ich nicht über die angeblichen Interessenten von Arp geschrieben habe, hier meine Antwort: Weil da einfach nichts dran ist. Dass derartige Toptalente bei fast allen Profi-Vereinen auf den Notizzetteln stehen ist logisch. Selbst der HSV hat die besten Talente auf einer Liste - die allermeisten, ohne sie kontaktiert zu haben. Und da heute Arps Berater Jürgen Milewski ein Interesse von Chelsea und Arsenal mit "da ist wirklich gar nichts dran" ins Reich der Fabeln verwiesen hat, nehme ich dieses "Nicht-Thema" logischerweise auch nicht auf.

FAQs

 
 

Über uns

Die Rautenperle - das ist ein Team aus jungen Medienschaffenden und Sportjournalisten mit großer Affinität zum HSV. Wir sind 24/7 bei den Rothosen am Ball und produzieren frischen Content für Rautenliebhaber.

Unser Ziel ist es, moderne, unabhängige Berichterstattung und attraktiven, journalistischen Content für junge und jung gebliebene HSV-Anhänger zu bieten. Wichtig ist uns dabei, eine neue Art des Sportjournalismus zu präsentieren: dynamisch, zeitgemäß, zielgruppengerecht. Weg von verstaubten Zeitungsspalten und immergleichen Phrasen.

Die Rautenperle ist aber nicht nur ein Ort, um sich zu informieren, sondern soll auch immer ein Ort des Austausches und des Miteinanders sein. Wir wollen eurer Leidenschaft einen Platz im Netz bieten: zum Diskutieren, zum Mitfiebern, zum Mitmachen.