Marcus Scholz

18. April 2020

In der nächsten Woche sollen wegweisende Entscheidungen gefällt werden. Die DFL tagt mit den 36 Profiklubs, anschließend wollen DFL und Bundesregierung über eine mögliche Fortsetzung der Saison sprechen. Dabei soll ein Sicherheitskonzept verabschiedet werden, das den Profifußball unter Sicherheitsauflagen trotz der Coronakrise in Form von Geisterspielen stattfinden lassen soll. Und während auch die HSV-Offiziellen darauf hoffen, dass sie mit der sportlichen Fortsetzung der Saison die nächste Tranche TV-Gelder sichern und damit Insolvenzen bei gleich mehreren Klubs aus der Ersten und der Zweiten Liga abwenden können, macht sich in der Fanszene Protest breit. Wir hatten gestern an dieser Stelle schon über das Statement der „Fanszene Deutschland“ geschrieben. Und heute habe ich das Ganze noch einmal aus meiner Sicht analysiert und bewertet. Mein Kommentar:

Die Bundesliga, sie soll fortgesetzt werden. So ist der Plan der DFL. Und so wollen es die 36 Profiklubs. Es geht dabei um sehr viel Geld - und um die Existenzen einiger Vereine, die bei einem Saisonabbruch vor dem Kollaps stünden. Dennoch erfährt der Plan der DFL und der Klubs gerade von Seiten der Fans heftigen Gegenwind. Die Fanszene Deutschland - ein Zusammenschluss verschiedener Ultra-Fan-Gruppiereungen verschiedener Klubs hat sich in einem Öffentlichen Schreiben ganz deutlich gegen eine Fortsetzung der Saison ausgesprochen. Der Fußball sei nicht systemrelevant und würde auch sonst keine Rechtfertigung auf eine Sonderbehandlung beanspruche  dürfen, so die Meinung der Fans, die den Fußball in seinen aktuellen Strukturen als so krank erachten, dass er weiter in Quarantäne gehöre.

Ein „Weiter so“, wie es die DFL plane, dürfe es nicht geben - vielmehr stecke in der Krise die Chance, die kranken Strukturen und die Abhängigkeiten von TV-Millionen endlich gerecht und vernünftig zu gestalten. Die Frage ist nur: Wie soll das funktionieren? So schön dieser Gleichberechtigungsgedanke und die Neuaufstellung auch  klingen mag - sie sind nicht umsetzbar. Der Wettkampf im Profifußball hat sich längst zu einem Wettrennen entwickelt, in dem jeder Klub sofort die Soli-Schiene verlässt, sobald er einen Vorteil für sich erachtet. Es ist im Profifußball nicht anders als im wahren Leben - die Großen fressen die Kleinen.

 

Und so lange das so ist, wird es keine Angleichung geben können. Die aber wäre nötig, wenn man den Wunsch dieser Fanszene umsetzen wollte. Ohne eine Art Reste, ohne einen kompletten Neuanfang, der schon rechtlich null Chance auf Umsetzung hat, wird sich das kranke System immer wieder durchsetzen. Kleine Vereine werden weiterhin ans eigene Limit gehen und teilweise auch darüber hinaus, um sich überhaupt erst oben zu etablieren und seine eigene Position vielleicht sogar auszubauen. Und genau diese Klubs werden kollabieren, wenn derartige Ausnahmesituationen wie die Coronakrise entstehen. Ein Selbstreinigungsprozess oder zu fordern ist ebenso romantisch wie realitätsfremd. Leider. Und selbst wenn Deutschland anfangen würde, Gehaltsobergrenzen einzuführen und ein Financial Fairplay durchzusetzen - solange das nicht weltweit überall gleich gehandhabt würde, werde nicht funktionieren. Oder glaubt irgendwer wirklich, dass die breite Masse an Fußballprofis aus Prinzip seinem Beruf in Deutschland nachgeht, obwohl er nebenan das Zigfache verdienen kann? Nein. Der Fußball ist krank. Das war er schon vor Corona - und das wird er danach nicht weniger sein. Milliardenschwere Ablösesummen und Mondverträge für einzelne Fußballerhaben den Fußball längst auf eine Ebene gehoben, die er nicht unfallfrei wieder verlassen kann.

Der Fußball ist krank - ohne Aussicht auf Heilung

Der Fußball ist krank, sagt die Fanszene Deutschland. Und sie hat Recht. Wie so vieles auf dieser Welt ist der Fußball dem Kapitalismus so verfallen, dass er nicht mehr zu retten ist - sondern nur noch am Leben gehalten werden kann. Eben so, wie es die DFL mit der Fortsetzung der Saison versucht. Das mag für einige von Euch vielleicht nach Kapitulation klingen. Das ist es aber nicht. Wirklich nicht. Es ist nur die bittere Wahrheit, die alle kennen und verdrängen - die uns durch diese Coronakrise nur noch einmal allerdeutlichst vor Augen geführt wurde.

Eine Heilung wird es nicht geben können. Wenigstens so lange nicht, wie nicht alle bereit sind, den Maximalverlust zu riskieren. Von daher kann ich den Wunsch der Fanszene sehr gut nachvollziehen - aber er würde nichts retten. Er würde vielleicht dazu führen, dass viele Nicht-Fußballfans eben nicht auf die Barrikaden gehen, weil sie sich benachteiligt behandelt fühlen. Okay. Aber das in dem Schreiben formulierte Ziel, hier wirklich neue, gerechte Strukturen zu schaffen - das ist auch jetzt nicht umsetzbar.  Vielmehr haben wir die Wahl zwischen einer Schadensminimierung des in sich längst erkrankten Systems - oder dem Sterben einzelner Klubs samt Arbeitsplätzen. Und wofür ich mich in diesem Fall entscheiden würde, ist klar.

Diese Krise bietet eine Chance - nutzt sie!

Wenn das ganze Szenario eine Chance bietet, dann ist es doch die Chance auf die Erkenntnis, dass das gesamte Fußballsystem aus wirtschaftlicher Sicht zu fragil ist und weltweit auf den Prüfstand gehört. Allerdings befürchte ich, dass auch hier die Aussicht auf das schnelle Geld jeden vernünftigen Gedanken dieser Tage schneller aufgefressen haben wird, als wir nach der Krise das Wort Corona aussprechen können.

Es wird so kommen, wie es meine Großeltern immer schon gesagt haben: Wer nicht hören will, muss fühlen. Soll heißen: Diesmal ist es schon richtig knapp. Trotzdem wird der Fußball irgendwie überleben. Er wird jetzt gerade wiederbelebt und mit der Saisonfortsetzung sozusagen kurz aus dem Krankenhaus entlassen. Dennoch darf uns das alles nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Patient Fußball schon lange todkrank ist und ohne Intensivbehandlung sterben wird, wenn alles so bleibt. Langsam. Aber sicher.

 

Ich hatte es hier auch vor einigen Tagen schon einmal gesagt: Ich sehe den Fußball nicht in der Position, wichtiger zu sein. Dennoch kann ich in diesem Fall das Vorgehen der DFL sehr gut nachvollziehen. Als Interessenvertretung der Profiklubs ist die DFL auf der Suche nach Rettungsankern. das muss sie auch. Dass sich die Fanszene Deutschland dagegen ausspricht - auch legitim. Letztlich aber muss man hier nur abwägen, ob die Fortsetzung der Bundesligen mit Geisterspielen ein gesellschaftliches (Gesundheits-)Risiko darstellt, oder ob es ein gesellschaftlicher Gewinn für Zuschauer wie für davon betroffene Arbeitsplätze ist. In der aktuellen Situation bin ich immer geneigt, jeden geretteten Arbeitsplatz als primär anzusehen. Oder wie seht Ihr das?

Und dann noch ein Wort zu dem Vorwurf, ich hätte mich nicht dem Thema „Gehaltsverzicht“ bei den HSV-Profis gewidmet. Hier mein Text vom 1. April:

Wäre es nach den Spielern um den Mannschaftsrat (Hunt, Leibold, Kinsombi, van Drongelen und Hinterseer) gegangen, hätte man jetzt schon eingegriffen. Tim Leibold’s Idee, sich hier wie andere Bundesligaklubs mit den HSV-Mitarbeitern zu solidarisieren, wurde von allen Spielern sofort angenommen. „Wir freuen uns sehr über diese Haltung und die sofortige Sensibilität für unsere Gesamtorganisation“, lobt Sportvorstand Jonas Boldt, der von Vereinsseite dem Anliegen seiner Profis zunächst dennoch einen (durchaus sinnvollen Riegel) vorschob. „Die Mannschaft wollte gern sofort helfen, woraufhin wir uns darauf verständigt haben, dass wir zunächst einmal den weiteren Verlauf abwarten. Auch, weil wir alle noch nicht wissen können, wie lange sich das Ganze hält und welche Auswirkungen die Coronakrise letztlich für unsere Mitarbeiter in Gänze haben würde.“

Soll heißen: Die Mannschaft kommt ins Spiel, sobald klar ist, welcher finanzieller Schaden entstanden ist. Dann wollen sich alle Beteiligten, in diesem Fall der Mannschaftsrat und der Vorstand, hinsetzen, und über gemeinsame Maßnahmen beraten. Eine Form der Solidarität, wie sie in diesen Tagen immer wieder gefordert wird, wie sie aber ganz sicher nicht selbstverständlich ist.

Mit anderen Worten: Es gibt seitdem nichts Neues in diesem Thema, da die Coronakrise noch lange nicht wieder auf Normalmodus zurückgefahren werden konnte. Erst wenn das der Fall ist, werden sich die HSV-Verantwortlichen ein Bild von dem bis dahin effektiv entstandenen Schaden machen und ihn im Verbund mit den Profis in Form von entsprechendem Gehaltsverzicht kompensieren. Und auch wenn das bis jetzt nur Worte sind - sollten ihnen die angekündigte Taten folgen, wäre das eine glatte Eins.

In diesem Sinne, bis morgen! Da werden wir uns zusammen mit einem Spieler einige Impressionen vom aktuell möglichen Mannschaftstraining machen und darüber sprechen. Bis dahin!

Scholle

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