Marcus Scholz

22. November 2017

Natürlich gibt es berechtigt positive Ansätze in den Erläuterungen Frank Wettsteins. Das lassen die Zahlen erkennen. Aber, um hier mal der Diskussion in Teilen den Stecker zu ziehen: Der HSV hat einige Schritte eingeleitet, die Geld eingespart haben. Aber er bewegt sich mit allem weiter im Delta. Heribert Bruchhagen beispielsweise ist mit der Maßgabe angetreten, den HSV zu sanieren. Zumindest soweit, wie er bis zu seinem Vertragsende 2018 kommt. Umgesetzt hat er davon – und das freut mich für alle Mitarbeiter des HSV-Geschäftsstelle extrem – noch nichts. Denn dort sollte die Sanierung begonnen. Kosten einsparen auf der unteren Ebene – kann man sinnvoll finden. Oder heuchlerisch. Denn anstatt sich den sportlichen Bereich vorzunehmen und hier eine Kernsanierung vorzunehmen, sollen Mitarbeiter gehen, die den 150-Millionen-Euro-Umsatz mit 40.000 Euro brutto im Jahr belasten gehen? Nein, ein Lasogga, ein Holtby, oder auch nur eine Trainerabfindung weniger ist ein Vielfaches dessen, was ein Mitarbeiter den HSV sparen ließe – und das, ganz ohne eine Existenz zu gefährden. Deshalb, und nur deshalb bin ich nicht auf dem Trichter, die Anzahl der Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle primär für das Minus verantwortlich zu machen. Vielmehr fehlt dem HSV oben alles. Da, wo die Millionen ausgegeben werden, als wäre es Trinkgeld, da muss angesetzt werden.

Womit wir automatisch zu Klaus Michael Kühne kommen. Und nein, ich gehe jetzt nicht darauf ein, dass er dem HSV mit seinen Forderungsverzichten massiv hilft, neue Leute zu holen. Das ist tatsächlich sehr großzügig und die Tatsache, dass er den internationalen Wettbewerb als Messlatte für einen Forderungsverzicht akzeptiert hat, gleicht einer Schenkung – allerdings ohne Schenkungssteuer. Und auch darum ging es bei dem großzügigen Akt des HSV-Investors. Letztlich aber ist es doch wie immer: Oben werden riskante Millionengeschäfte verbockt, unten müssen die Leute darunter leiden. Außer bislang beim HSV auf der Geschäftsstelle, was ich Bruchhagen positiv anrechne, was ihn aber intern arg in die Kritik gerieten ließ. So sehr, dass sich schon seit Monaten das Gerücht hält, er solle abgelöst werden. Heute nennt die Mopo eben jenen Wettstein als favorisierte Lösung.

Wohlgemerkt, es handelt sich dabei um ein Gerücht. Um eines von vielen. Aber es wäre tatsächlich die logischste Lösung. Bruchhagens Vertrag läuft noch bis Ende der Saison. Zwar besitzt der Vorstandsboss eine einseitige Option, den Kontrakt um ein Jahr zu verlängern. Aber eine Fortführung scheint aktuell zumindest fraglich. Bruchhagens Wirken beschränkt sich dem Vernehmen nach auf seine zugegeben oft sehr guten und zuletzt („Ich spüre keine Unruhe im Verein“) auch mal etwas befremdlichen Statements vor der Kamera. Der HSV-Boss sortiert die Dinge für die Öffentlichkeit zumeist sehr abgeklärt und entschleunigend ein. Er sorgt für Ruhe. Und das ist gut. Aber es scheint einigen Aufsichtsräten nicht zu reichen. Eben weil Bruchhagens Wirken nach innen nicht wie anfangs gewünscht stattfindet. Und unabhängig davon macht es sicherlich Sinn, wenn der starke Mann in der HSV AG letztlich derjenige ist, der mit Geld am besten umzugehen weiß.

Letztlich aber wird dieser HSV immer wieder dieselben Probleme haben, wenn er parallel zu den Finanzen nicht auch den sportlichen Bereich aufräumt. Und auch deshalb wird es Zeit, dass der HSV seine Defizite klar benennt und Lösungen benennt. Scouting beispielsweise. Selbst Zahlenmensch Wettstein nannte bei den Lösungsansätzen den Ausbau der Scoutingabteilung als eine der ersten notwendigen Maßnahmen. Passiert ist hier bislang allerdings noch nichts. Auch, weil das Geld fehlt, heißt es. Und da beginnt sich die Katze in den Schwanz zu beißen. Denn ohne besseres Scouting wird es weiter keine tollen Talente/fertige Spieler zu günstigen Preisen geben sondern teure Spieler, die durch Kühnes Gnaden eingekauft wurden und im schlimmsten Fall die Abhängigkeit vom Geldgeber manifestieren.

Im Zuge des Jahresberichtes wurde auch bekannt, dass die großzügigen Millionensummen oft sehr spontan kamen, wenn Kühne von speziellen Transfers überzeugt werden konnte. Langfristig angelegte Projekte gibt und gab es nicht. Obwohl genau das benötigt wird. Und zwar auf Talentebene. Der HSV muss sein Scouting ver-x-fachen und sollte hier lieber zwei, drei Euro zu viel als auch nur einen einzigen Euro zu wenig investieren. Denn wie in den letzten Jahren schmerzlich gelernt, spart ein vermiedener Fehleinkauf mehr ein, als die Scoutingabteilung im ganzen Jahr kostet. Zudem ist dieser Bereich in meinen Augen der, in dem die größte Wertsteigerung zu erwirtschaften ist. Und obwohl mir immer wieder geantwortet wurde und auch wird, dass Kühne mit seinen Millionen eher in fertige Spieler investieren will, muss der HSV hier ansetzen. Apropos Jugend: Der junge Angreifer Jann-Fiete Arp fehlte heute beim Training schulisch bedingt ebenso wie Trainer Markus Gisdol und Andre Hahn krankheitsbedingt. Christian Mathenia und Gotoku Sakai arbeiten belastungsgesteuert individuell, während Albin Ekdal weiter verletzt ausfällt.

Aber bevor ich diesen Blog abschließe, noch einmal zum Nachwuchs: Der HSV hat mit dem Campus beste Voraussetzungen geschaffen, junge Spieler auszubilden. Zudem hat man in Bernhard Peters, so umstritten sein harscher Umgangston auch sein mag, einen zumindest erfolgreichen Nachwuchschef. Wobei, erlaubt mir eine kleine Anekdote hierzu: Als Peters im August 2014 zum HSV stieß, stellte er sich uns Journalisten im Sommertrainingslager vor. Es war ein langes, nettes Gespräch, an dessen Ende er ins Erzählen kam. Und damals schon prophezeite er, dass es bei seinem vorigen Arbeitgeber Hoffenheim einen Trainer geben würde, der „sehr bald schon die Bundesliga aufrollen wird“. Gemeint war der damalige U19-Trainer der TSG Hoffenheim, Julian Nagelsmann. Und Peters setzte damals noch einen drauf und sagt: „Aber nach Nagelsmann kommt noch einer, der ist vielleicht sogar noch besser...“ Gemeint war der heutige Schalker, Trainer-Shootingstar Domenico Tedesco. Damals U17-Trainer beim VfB Stuttgart. Aber das nur nebenbei, obgleich es zeigt, dass Peters auf Trainerebene ein sehr gutes Auge zu haben scheint.

Aber noch mal kurz zurück zu den Voraussetzungen des HSV in Sachen Jugend- bzw. Nachwuchsarbeit. Bernhard Peters wirkt hier seit drei Jahren und setzt seine Vorstellungen nach und nach um. Und diese Konstanz hat sich bislang ausgezahlt. Dennoch betont nicht nur Peters immer wieder, dass man nur auf einem guten Weg sei, aber in Sachen Scouting noch immer hinter der Konkurrenz hinterherhinken würde. Und das kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Denn angesichts der Multimillionen Euro, die Jahr für Jahr in Spielern versenkt werden, muss ein optimiertes Scouting machbar sein. Dass dann immer noch viele Talente andere Vereine bevorzugen – okay. Dafür hat der HSV zu lange zu wenig im Jugendbereich geschafft. Aber selbst hier ist Dank Jann-Fiete Arp und Tatsuya Ito das Moment gerade auf HSV-Seite. Und es wäre zu schön, wenn der HSV das auch mal zu nutzen weiß.

In diesem Sinne, Euch allen einen schönen Champions-League-Abend und bis morgen! Da wird um 10 Uhr trainiert. Eventuell wird diese Einheit ins Stadion verlegt und wäre dann nicht mehr öffentlich.

Scholle

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