Marcus Scholz

1. November 2020

Wintzheimer, Onana, Vagnoman und Ambrosius gegen Zalazar, Zander, Becker, Daschner und Co. – das Stadtderby hat für mich vor allem das gehalten, was ich mir sportlich davon versprochen hatte. Mal abgesehen vom ausgebliebenen Sieg für den HSV natürlich. Aber ansonsten war es sportlich betrachtet für mich eine sehr ansprechende Partie, die vor allem eines auslöst: Hoffnung. Bei beiden Klubs sogar, wobei ich an dieser Stelle unsere Nachbarn mal weglasse und mich um das Wesentlichere kümmere, um den HSV. Denn bei dem hatte Trainer Daniel Thioune eine mutige, junge Aufstellung gewählt. Und ich hoffe sehr, dass genau so weitergeht…

Thioune hatte dabei zumindest mit Josha Vagnoman eine Überraschung parat. Mit dem Youngster, der gerade wieder genesen war, hatte niemand gerechnet. Ich auch nicht. Zusammen mit Stephan Ambrosius, Amadou Onana und Manuel Wintzheimer standen neben ihm drei weitere Youngster auf dem Platz – und sie machten ihre Sache sehr gut. Wintzheimer war dabei noch nicht einmal so gut, wie in den letzten Wochen, während Vagnoman sehr stark begann und sich am Ende erschöpft auswechseln ließ. Ambrosius war dagegen nur einmal nicht direkt an seinem sehr starken Gegenspieler Simon Makienok dran und Onana hatte im Zusammenspiel mit Aaron Hunt vor allem in der ersten Hälfte immer wieder mal Probleme mit dem schnellen Umschaltspiel der Paulianer durchs Zentrum – was aber mehr an Hunt als an ihm lag.

Das Derby beweist: Mut zur Jugend lohnt sich!

Aber entscheidend war für mich, dass die „Nachwuchskräfte“ demonstrierten, dass es sich für einen HSV-Trainer sehr wohl lohnen kann, mutig zu sein. Sie sind die Zukunft. Und sie sind so gut, dass man den Moment nutzen muss, um sie maximal zu fördern. „Aber allein mit jungen geht es nicht“, heißt es zwar immer von den Skeptikern. Aber ganz ehrlich: Mit vier jungen Spielern wie diesen, von denen ein Vagnoman schon seine dritte Saison dabei ist – ist das auch lange nicht so. Im Gegenteil: Gegen den FC St. Pauli standen mit Terodde, Hunt und Ulreich sogar drei Ü-30-Spieler mit auf dem Platz und bildeten die zentrale Achse. Da kann man nicht von „zu jung“ sprechen.

Natürlich muss man bei den jungen Onanas, Ambrosius‘ und Co. immer auch ein Auge darauf haben, dass man sie nicht überfrachtet. Noch ist der große Druck nicht da, noch erwartet niemand etwas von ihnen. Auf der anderen Seite muss man beim HSV aber endlich damit aufhören, vorauseilend zu handeln und seinen jungen Spielern Dinge nicht zuzutrauen, ohne es probiert zu haben. Und genau so macht es Thioune, wie er erzählt: „Die Entscheidungen fallen von Spiel zu Spiel. Im Trainerteam bewerten wir Woche für Woche alles neu und stellen die auf, mit denen wir glauben, die besten Möglichkeiten auf den Sieg zu haben.“ Das sagte Thioune sinngemäß bei seiner Vorstellungsrunde. Und sinngemäß reihte er sich damit nahtlos ein in die Riege der gefühlt letzten 30 HSV-Trainer, die allesamt immer betonten, Leistung sei das höchste Gut. Der einzige Unterschied: Thioune handhabt es auch so.

Und genau deshalb spielen wie am Freitag auch mal vier Youngster von Beginn an. Deshalb saßen Spieler wie Jung, Gjasula und Leistner trotz ihrer großen Erfahrung am Freitag auch auf der Bank. Apropos Gjasula: der Albaner wurde ja noch eingewechselt und demonstrierte binnen weniger Minuten, weshalb der HSV eben nicht mehr vermehrt auf Erfahrung setzen muss. Denn mit ihm kam Verunsicherung ins Spiel. Er leitete mit seinem bitteren Ballverlust sogar das 1:2 in der 82. Minute ein und wirkt fahrig. Ein guter Typ zweifellos. Das bestätigen auch seine Kameraden. Aber in der aktuellen Verfassung ist er eben keine große Hilfe – und bei Thioune im Gegensatz zu seinen Vorgängern konsequenterweise auf der Bank.

 

Was Thioune anders macht, hatte ich in der vergangenen Woche schon versucht, herauszustellen. Zusammengefasst kann man sagen, dass er einfach Lust hat, zu arbeiten und sowohl die Mannschaft als auch sich zu entwickeln. Er sieht sich selbst noch nicht als fertig an und setzt sich selbst nicht über die Spieler – aber er bleibt trotzdem autoritär, weil er nachweislich immer einen Plan hat. Und funktioniert dieser mal nicht wie gewünscht, hat er nicht den Satz raus „Die Mannschaft hat nicht umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben“.  

Alles stimmig: Und Terodde macht den Unterschied 

Thioune nimmt er sich nicht von Kritik aus. Seine wirklich unglücklichen Wechsel gegen den FC St. Pauli leugnete er nicht. Er fasste sie stattdessen so zusammen: Wir wollten noch mal Frische bringen und haben versucht, das noch mal anzuschieben. Das ist uns in der Phase nicht so gut gelungen. Wir haben den Schwung nicht mehr aufrecht halten können. So ein bisschen Tempo haben wir mit den Wechseln raus genommen. Da hätte ich mir mehr Energie auf dem Platz gewünscht.“ Thioune kritisiert und sagt klar, was Sache ist – immer, ohne sich oder seine Spieler zu vernichten. Er verlangt sehr viel, er opfert seine Spieler aber nie, nur um von seinen Fehlern abzulenken. Stattdessen hält Thioune alle seine Spieler bei der Stange. Dieses respektvolle Verhalten schlägt sich auf alle nieder – auch auf die, die zum festen Stamm gehören. Dass Thioune auch die aussortiertesten der aussortierten Spieler wie Bobby Wood für gute Trainingsleistungen belohnt und reaktiviert – es stärkt nur seine Glaubwürdigkeit.

Ich hatte nach dem 3:1-Sieg über Würzburg geschrieben und gesagt, dass der HSV jetzt fast alle Facetten von Spielverläufen erlebt und gemeistert hätte, die man braucht, um durchzukommen. Jetzt kommt noch hinzu, dass der HSV auch Spiele im Nachgang korrekt verarbeitet und eben nichts schönredet. Siehe Sportdirektor Michael Mutzel: „Jede Szene, die nicht so passt, wird mit den Jungs nochmal bearbeitet. Da gab es im Derby auch wieder Szenen, aber wir sind da schon auf einem guten Weg. Die Saison ist lang und wir werden weiter dran arbeiten müssen, weil man merkt, dass jedes Spiel extrem viele Körner und Kraft kostet. In der Liga kriegt man nichts geschenkt. Wenn man ein bisschen nachlässt, kann man Spiele verlieren.“ So, wie gegen den starken FC St. Pauli fast.

Aber zum Glück auch nur fast, denn der HSV hat neben einem starken Trainer, der eine starke Basis im Team geschaffen hat, auch noch entscheidende Ausnahmekönner wie Viermal-Doppelpacker Simon Terodde. Das Beste an seiner Treffsicherheit: Die ganze Mannschaft, der ganze Verein – selbst alle Fans wissen jetzt, dass die Vorschusslorbeeren mehr als gerechtfertigt waren. Egal, wie es steht im Sopiel, Terodde verleiht diesem HSV eine Sicherheit, wie sie zuletzt van der Vaart in seinen besten Tagen mitbrachte. Auf Zweitliganiveau alles mehr als eine Stufe darunter – ganz klar. Aber für den Moment ist Terodde auf dem Platz der Faktor, der den Unterschied macht. Auch, weil das durch ihn entstehende Selbstvertrauen seiner Kollegen steigt. Oder anders formuliert: Terodde macht alle besser. Mehr Lob kann man sich nicht verdienen, finde ich.

 

Wobei, doch: Denn Terodde ist auch noch vorbildlich in seinem Auftreten. Bescheiden, selbstsicher, immer vorneweg, was den Einsatz betrifft. Ob es das schnelle Bälleholen bei Rückstand gegen Würzburg war, seine Lauffreude gegen den FC St. Pauli oder seine Art, innerhalb der Mannschaft ohne jegliche Wichtigtuerei selbst mit den Youngstern auf Augenhöhe zu bleiben – dieser Angreifer ist sportlich wie menschlich und für den Zusammenhalt die beste Spielerverpflichtung seit vielen Jahren. Ebenso wie Thioune auf Trainerebene. Oder anders formuliert: Dieser HSV ist in seiner Konstellation einfach stimmig. Endlich. Allein das zu bleiben ist harte Arbeit…

In diesem Sinne, bis morgen. Da melde ich mich das letzte Mal in der alten Form um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch, ehe wir uns am Abend natürlich auch wieder mit „HSV, was geht ab“ und dem Tagesblog bei Euch melden. Wie immer also volles Programm, während die Mannschaft morgen noch frei hat. Also, genießt den Abend! Vor allem, nachdem Hannover und die Konkurrenz (mit Ausnahme des VfL Bochum) gepatzt hat!

Bis morgen!

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