Marcus Scholz

31. Dezember 2017

So, das war es dann für dieses Jahr. 365 Tage, die uns in ein voraussichtlich erneut sehr aufregendes 2018 entlassen. Sportliche Fazits hatte ich hier in den letzten Tagen gezogen und dabei noch eine Abteilung unberührt gelassen: den Angriff. Vorausgeschickt: Dass man hier aktuell noch auf der Suche nach einem Zehner ist, spricht nicht für die eigene Offensivabteilung. Im Gegenteil: Es spricht dafür, dass man in einem Jahr in Sachen Kreativität keinen Fortschritt gemacht hat. Ein Armutszeugnis, das man gleich in verschiedene Richtungen aussprechen muss. Wobei die Tatsache, dass der HSV gerade einen neuen Chefscout verpflichtet hat, der zugleich auch der Kaderplaner für 2018/2019 sein soll, schon zeigt, dass es hier noch an Strategie und vor allem Umsetzung mangelt. Aber der Reihe nach:

25 Punkte holte der HSV in der Rückrunde 2016/2017. Und das war kein einziger Punkt zu viel, wie wir uns gut erinnern können. Luca Waldschmidt rettete den HSV am letzten Spieltag in der 88. Minuten gegen den VfL Wolfsburg, der sich wiederum in der Relegation rettete. Und ja, man könnte sich jetzt darüber freuen und diese Erinnerung noch mal hervorholen, die wirklich krass war. Aber es würde nur davon ablenken, dass der HSV seine eigenen Ziele mal wieder deutlich verpasst hat. Und selbst heute, wo ich gern mal Fünfe gerade sein lassen und hier nur beste Wünsche für 2018 aussprechen wollte, komme ich nicht drumherum, das zu thematisieren. Okay, ich mache es kürzer als zuletzt, damit wir alle den letzten Tag des Jahres genießen können. Los geht’s:

Schon im ersten Spiel des Jahres musste der HSV bei aller Freude über den ersten Dreier der Saison die Hiobsbotschaft verkraften, dass ausgerechnet der in der Vorsaison und auch an dem Tag effektivste HSV-Angreifer, Nicolai Müller, mit Kreuzbandriss monatelang ausfallen wird. Reaktion: Nichts. Kein Neuer. Stattdessen wurde wie in der gesamten Sommertransferphase auf das vorhandene Spielermaterial mit „ausreichend gutem Potenzial“ verwiesen. Man erlaubte sich nach dem Sommerverkauf von Michael Gregoritsch (inzwischen hat er acht Treffer für Augsburg auf dem Konto) zudem sogar, Pierre Michel Lasogga abzugeben und setzte auf Sven Schipplock, Retter Waldschmidt und natürlich Bobby Wood, dessen Vertrag verlängert und im Gehalt verdoppelt worden war. Aber wie so oft sollte sich diese Prognose im Laufe der nächsten Monate nicht bewahrheiten. Im Gegenteil. 15 Tore in 17 Spielen sprechen eine eindeutige Sprache.

Tore von Stürmern, Trefferquote Stürmer, Assists von den Stürmern und Torschüsse insgesamt von Stürmern – überall ist der HSV statistisch ligaweit Schlusslicht. Der HSV hat den ineffektivsten Sturm aller 18 Bundesligaklubs. Interessant: Während man davon spricht, die Torgefahr aus dem Mittelfeld durch einen Neuzugang aufbessern zu wollen, ist man in der Statistik der Torschützen aus dem Mittelfeld Siebter. Im Angriff indes setzt man weiter auf die vorhandenen Spieler. Und zumindest im Fall von Jann-Fiete Arp ist das sicher auch der richtige Weg. Der 17 Jahre junge Angreifer hat sein außergewöhnliches Talent bereits bewiesen und demonstriert, dass er eine echte Verstärkung werden kann. Selbst in Spielen, in denen der Youngster gut abgedeckt war, hatte er seine Chancen.

Arp ist mit seinen beiden Treffern der hoffnungsvolle Teil der Hinrunde – Bobby Wood der, der einen verzweifeln lässt, während ich Sven Schipplock hier einfach auslasse. Sieben Spiele mit sechs Einwechslungen, in denen er es auf drei Torschüsse brachte – das ist tatsächlich zu vernachlässigen. Anders die Personalie Wood. Der US-Amerikaner musste zuletzt für Arp auf die Bank. Immer wieder mit Knieproblemen belastet und entsprechend belastungsgesteuert (ich liebe dieses Wort im Zusammenhang mit dem HSV...) entwickelte sich Wood zum Flop des Jahres. 24 Spiele absolvierte Wood in der Bundesliga 2017. Er traf dabei zweimal und bereitete zwei Tore vor. Ein katastrophaler Wert für einen Spieler seines Kalibers. Denn, und dabei bleibe ich, Wood hat das Potenzial, ein wichtiger Spieler für den HSV zu sein. Gesund zumindest. Er ist zumindest der mit Abstand robusteste, schnellste Stürmer. Und sogar der fleißigste in Sachen Zweikämpfe. 315 Zweikämpfe bestritt er in der Hinrunde 2017/2018, nur Andre Hahn bestritt mehr – durfte aber auch dreimal mehr spielen als Wood. Wood ist fleißig, schmeißt sich in die Zweikämpfe. Aber es ist leider bezeichnend für seine aktuelle Verfassung, er gewann nur 122 davon. Das macht 38,73 Prozent gewonnene Zweikämpfe. Dass Andre Hahn (38,02%) und Sven Schipplock (36,51%) die Spieler im Team sind, die eine noch schwächere Zweikampfquote haben, zeigt, dass der HSV im Angriff ein echtes Problem hat.

Und daran konnte auch der Teamplayer und „Mentalitätsspieler“ Andre Hahn nichts ändern. Wobei der Begriff Mentalitätsspieler in diesem Fall schon was Vorgreifendes hatte, denn Han zählt nicht zu den technisch guten Fußballern. Er ist einfach fleißig, schnell und gewillt, immer alles zu geben. Aber zwei Tore bei 15 Einsätzen und 29 Torschüssen (nur Kostic hatte mit 34 mehr) reichen da dennoch lange nicht. Weder um die völlig überteuerte Ablösesumme von sechs Millionen Euro im Sommer zu rechtfertigen – aber das ist weniger Hahns denn ein HSV-Problem. Und okay, wie oben beschrieben, ist Jann-Fiete Arp als Eigengewächs hier sowas wie der Kontrapunkt zu Hahn: Er ist (war) günstig und ist ein richtig feiner Fußballer. Kurzum: ein Hoffnungsschimmer. Arp spielt effektiver und ökonomischer als fast alle seiner Mannschaftskameraden. Er hat zwei Tore in neun Spielen erzielt und zwar die geringste Kilometerleistung pro Spiel, dafür aber die meisten Sprints aller HSVer. Arp macht Freude – und dabei sollte es bleiben. Deshalb warne ich davor, den Jungen jetzt schon mit der Bürde zu überziehen, DER Leistungsträger sein zu müssen. Vielmehr muss bei Arp das Motto gelten: Alles kann – nichts muss... Dann werden wir noch sehr viel Spaß an ihm haben.

Ebenso wie an Tatsuya Ito, der über Außen kommend super Ansätze hat. Der kleine Japaner, dessen Vertrag gerade bis 2021 verlängert wurde, muss aber noch mächtig an seiner Fitness arbeiten, damit er irgendwann auch mal über die vollen 90 Minuten eine Alternative sein kann. Zudem muss er lernen, seine Aktionen konsequenter zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Denn mit seinen schnellen, kleinen Schritten, der engen Ballführung, seinem Dribbling und dem tiefen Körperschwerpunkt hat er eine Waffe, die dem HSV sehr guttun kann. Ito ist einfach ein weiterer Kandidat für das Individualtraining mit Ricardo Moniz...

Bleiben in Sachen Offensive noch Aaron Hunt, Luca Waldschmidt und Filip Kostic. Der Erstgenannte steht laut einem Bericht meiner BILD-Kollegen wieder in Gesprächen mit türkischen Klubs. Vor allem läuft sein vertrag aus und der HSV hat verkündet, auf seiner Position nach Verstärkung zu suchen. Obwohl Hunt als Topscorer (ein Tor, drei Assists) zentral erste Wahl ist? Nein; gerade weil ein Aaron Hunt damit schon erste Wahl ist. Denn Hunt, dessen filigrane Ballführung und dessen zweifelsfrei abgewichste Spielweise ich gern sehe, darf bei allem Respekt nicht der langfristige Plan des HSV sein. Er kann in der Rückrunde zur Überbrückung herhalten. Wahrscheinlich wird er das sogar wieder müssen. Aber wie schon im letzten Sommer und davor geschrieben, muss der HSV hier irgendwann wieder einen Spieler holen, der tatsächlich torgefährlich ist. Als Vollstrecker wie als Vorlagengeber. Aber vielleicht finden Todt und Co. den ja tatsächlich noch in diesem Winter...

Luca Waldschmidt ist hierbei ebenfalls nicht mehr als eine Notlösung. Der Retter der Vorsaison kam zuletzt zwar besser in Fahrt, brachte es aber wieder nicht zum Stammspieler. Stattdessen wurde er zehnmal ein- und zweimal ausgewechselt – bei elf Einsätzen wohlgemerkt! Und Waldschmidt ist alles andere als ein Zehner. Er ist eher der Typ, der den Riecher für die gefährlichen Situationen hat und dafür aber alle Freiheiten braucht. Defensivzweikämpfe? Keine Chance. Waldschmidt ist zwar etwas robuster geworden, gilt aber noch immer als DAS Leichtgewicht im Team. Und daran wird er arbeiten müssen, wenn er bei Trainer Markus Gisdol endlich durchstarten will.

Und bevor ich den Neujahrsblog sportlich beschließe, noch ein Wort zu Filip Kostic, der mit 57 Torschussvorlagen als einziger HSVer mehr Torschussvorlagen gegeben hat als Hunt (52). Kostic zeigte in den letzten Wochen immer wieder, dass er eine echte Verstärkung sein kann. Im Gegensatz zu meiner allerersten Einschätzung bei seiner Verpflichtung muss ich allerdings eingestehen, dass der Serbe wahrscheinlich nie die einstige Rekordablösesumme von 14,2 Millionen Euro rechtfertigen wird. Deshalb will ich das auch bei seinen Bewertungen nicht mehr einfließen lassen, zumal er selbst nichts dafür kann, dass – in diesem Fall war es Dietmar Beiersdorfer – die HSV-Verantwortlichen schlecht verhandelt haben. Denn trotz seines beeindruckenden Antritts und seiner scharf hereingetretenen Flanken ist Kostic zu einfach auszurechnen. 34-mal schoss Kostic in der Hinrunde aufs Tor, immerhin mehr als alle anderen. Das war gut. Der Linksfuß legt sich dabei den Ball am Gegner vorbei, läuft hinterher und zieht ab oder flankt. Bestenfalls. Wenn ein Gegner aber genau darauf eingestellt ist, passiert meistens nicht viel. Auf jeden Fall zu wenig. Genau genommen wäre eine Mischung aus Kostic und Ito das, was der HSV braucht. Auf beiden Seiten.

Bleibt zu hoffen, dass der neue Chefscout und Kaderplaner Johannes Spors weiß, wie und wo man solche Spieler findet...

In diesem Sinne, bevor ich jetzt noch länger werde, wünsche ich Euch und uns allen ein tolles Fußballjahr 2018 mit einem HSV, der ausnahmsweise mal mehr Freude denn Sorgen bereitet. Auf jeden Fall aber mit einem HSV, der die Klasse sichert und aus den Fehlern der letzten Jahre lernt. Spors ist hierfür vielleicht schon der erste Schritt. Den zweiten muss man sportlich folgen lassen. Und dafür beginnt morgen in Jerez die kurze Vorbereitung. Ich melde mich dann am späten Abend (wir landen dort erst gegen 19 Uhr) aus Andalusien bei Euch!

Bis dahin genießt den letzten Tag in 2017 mit Eurer Familie, Euren Freunden und allen, die Euch Gutes wollen! Ich wünsche es Euch allemal von Herzen und bedanke mich für Eure Treue, Eure belebenden Kommentare, Eure Leidenschaft am HSV! Ihr habt all den Aufwand in 2017 mehr als gerechtfertigt und mir gezeigt, dass der mutige Schritt hin zur Rautenperle der beste Schritt war, den ich – weil mit EUCH - gehen konnte. Vor allem aber weiß ich, dass es alles noch besser wird. In diesem Sinne: Ich wünsche uns allen ein tolles Jahr 2018! Kommt alle gut rein ins neue Jahr und vor allem: bleibt gesund!

Bis morgen!

Scholle

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