Marcus Scholz

5. Januar 2018

Für Geburtstagsfeiern bleibt nicht viel Zeit. Das weiß nicht nur Sportchef Jens Todt, der heute hier im Trainingslager in Jerez seinen 48. Ehrentag begeht. Auch Jann-Fiete Arp, der morgen in die Volljährigkeit vorstößt, ist sich dessen bewusst. Er freue sich zwar darauf, endlich Auto fahren zu dürfen, im Sommer seine erste eigene Wohnung zu beziehen und auf alle sonstigen Vorzüge der Volljährigkeit, „aber hier in Jerez stehen andere Dinge im Vordergrund. Wir sind nicht hier, um Party zu machen, sondern um uns optimal vorzubereiten auf das Spiel in Augsburg“, so der Youngster, der schon etliche Schulungen in Sachen Interviews und Öffentlichkeitsarbeit absolviert hat, wie man deutlich merkt. Tatsächlich abgeklärter und souveräner als viele seiner Kollegen meisterte er heute eine der vom HSV bewusst rar gesäten Interviewrunden.

Auch bei meinem Kollege Jurek Rohrberg, der den jungen Angreifer vor unserer Videorunde allein sprach und dort auch auf das Thema Vertragsverlängerung ansprach, bewies Arp, dass er nicht nur gut Fußball spielen kann. Ob er sich vorstellen kann, den Vertrag, der nur noch bis 2019 läuft, vorzeitig zu verlängern? „Vorstellbar ist grundsätzlich alles“, sagt Arp, um dann einzuschränken: „Aktuell habe ich mit der Schule, der Bundesliga und dem Führerschein aber drei wichtige Dinge, auf die ich mich konzentrieren will und bis 2019 ist im Fußball auch noch eine verdammt lange Zeit.“

Arp sagt zwar was, er verrät dabei aber nicht wirklich was über seine Zukunft. Und er macht dabei wirklich den Eindruck, sich noch gar nicht zu weit im Voraus Gedanken machen zu wollen. Er will sich hier festsetzen, seine ersten Eindrücke bestätigen. Es würde auch nicht leichter werden, eher im Gegenteil, so Arp. Inzwischen kennen ihn die Abwehrspieler und das habe er in den letzten Spielen schon zu spüren bekommen. Auch deshalb will er aktuell nichts von „Nebenkriegsschauplätzen“, wie er sie nennt, wissen. Selbst seinen 18. Geburtstag schiebt er weg, sagt nur kurz: „Was gibt es geileres, als den 18. Geburtstags mit seinen Jungs zu feiern“

Zum Beispiel Tore schießen in der Bundesliga? Oder in Testspielen? Gegen Malaga hat es für Arp noch nicht gereicht. „Wir haben einen guten Test gegen einen Gegner gespielt, der schon weiter ist als wir, das darf man nicht außer Acht lassen. Bei Malaga beginnt am Montag schon die Saison. Dennoch haben wir gesehen, dass wir noch an vielen Schrauben drehen müssen bis zum Spiel gegen Augsburg.“ Er wurde in der zweiten Halbzeit eingewechselt und nach 30 Minuten wieder runtergenommen. „Wir müssen die Belastung vernünftig einteilen“, erklärt Trainer Markus Gisdol heute meinem Kollegen Jurek Rohrberg, „wir müssen Rücksicht nehmen darauf, dass im Moment sehr viel auf ihn einprasselt, er sehr viel um die Ohren hat. Aber wie er es macht, das ist schon klasse. Er hat sich bewiesen. Dennoch werden wir nicht den Fehler machen, alle Hoffnungen auf ihn zu legen.“ Klingt vernünftig.

Allerdings fehlt mir auch nach dem ersten Testspiel gestern noch immer die Alternative. Bobby Wood begann ebenso schwungvoll, wie er im Laufe der ersten Halbzeit wieder nachließ. Sven Schipplock hat sich seit Jahren nicht durchsetzen können und ist eher nicht einzuplanen, während Luca Waldschmidts Trainingsleistungen leider weiterhin nicht mit denen in den Spielen übereinstimmen. Und neue Spieler scheinen derzeit ausgeschlossen, weil der HSV nicht die finanziellen Mittel hat, um aus eigenen Mitteln nachzulegen. Ob Klaus Michael Kühne seine Hilfe angeboten hat? „Wir stehen in engem Austausch, werden aber nichts machen, nur, um etwas zu machen“, sagt Jens Todt, der aber bestätigt, dass man weiterhin auf der Suche nach einem zentralen Offensivspieler sei.

Eine andere Personalie wurde heute zu einem Ende gebracht. Vorerst. „Man hat nach Bekanntwerden eines Fehlverhaltens sieben Tage Zeit, um dieses zu sanktionieren. Das sind ganz formale Angelegenheiten. Er hat sich noch mal dazu geäußert und wir haben ihm formal erklärt, worin sein Fehlverhalten besteht“, so Klubboss Heribert Bruchhagen, der das Gespräch zusammen mit Sportchef Jens Todt, einer Übersetzerin sowie Walaces Berater Rogerio Braun führte. „Das Gespräch hat formal schon den Charakter einer Abmahnung“, so Bruchhagen weiter, dennoch werde es der defensive Mittelfeldspieler auch noch schriftlich bekommen. Wie die Stimmung war? „Es war keine Geburtstagsfeier“, so der HSV-Vorstandsvorsitzende, der noch einmal betonte, dass Walace den Verein nicht verlassen dürfe.

Walace selbst wurde nahegelegt, den freien Tag, den seine Mannschaftskollegen mit Ausflügen (Arp beispielsweise fuhr mit Mathenia und Diekmeier zum Sightseeing nach Cadiz) nutzten, eher nicht frei zu machen, sondern zu trainieren. Am Vormittag stand eine Krafteinheit an, am Nachmittag trainierte er individuell. „Wenn er jetzt die richtige Reaktion zeigt, stehen ihm hier die Türen zum HSV offen“, betonte Geburtstagskind Todt noch mal – und ich behaupte trotzdem: Hier ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Hier wird es weiteren Ärger geben in den nächsten Tagen und/oder Wochen.

Apropos Ärger: Heribert Bruchhagen ließ heute noch mal kurz seinem Frust freien Lauf. Er monierte, dass die Wahrnehmung des HSV im Vergleich zu anderen, ähnlich schlecht situierten Klubs in der Bundesliga zu negativ sei. „Das kann ich immer wieder lesen. Stuttgart wird gelobt und Mut gemacht, Werder wird gelobt und Mut gemacht, aber der HSV hat diese Rolle, die sehr verfestigt ist. Ich hatte ursprünglich die Hoffnung, mit dem Begriff ‚Chaosverein’ aufräumen zu können. Aber ich habe aufgegeben“, so Bruchhagen energisch, „weil es keiner will. Das Bild ist gezeichnet. Auch wenn es völlig falsch ist.“

Worte, die ich nur sehr bedingt teile. Denn gerade in dieser Winterpause bestätigt der HSV mal wieder, dass der HSV strukturell wie finanziell gar nicht in der Lage ist, zu agieren. Zumindest nicht so, wie man will und vor allem nicht so, wie man angesichts der Tabellensituation und der Kaderstärke müsste. Jurek Rohrberg hat heute auch noch mal das gesagt, was wir hier seit Wochen schreiben: es fehlt die gesunde Achse.

Apropos: Der letzte in Hamburg funktionierende Sechser wechselt übrigens aller Voraussicht nach zum FSV Mainz: Nigel de Jong. Der 33-Jährige soll unmittelbar vor einer Interschrift stehen, vermelden meine Kollegen von der BILD heute. Damit hätte Mainz nach Stürmer Ujah den zweiten Neuen (um mal ohne konkrete Wertung zu bleiben) verpflichtet und sich auf zwei Positionen verstärkt, die auch der HSV besetzen muss, während beim HSV noch nichts passiert ist. Und nach Aussagen aller Beteiligten auch nichts passieren muss. Ein großer Denkfehler, wenn das alles nicht nur verhandlungstaktisch begründet ist.

Es ist und bleibt mir ein Rätsel, nach welchen Vorgaben Klaus Michael Kühne sein Geld gibt. Aber es wird deutlich, dass es nicht immer der tatsächliche Bedarf ist, sondern sehr viele Dinge (und Berater) mit in seine Entscheidungen reinspielen, die absolut nichts mit einer vernünftigen und zukunftsorientierten Zusammenstellung des Kaders zu tun haben. Traurigerweise.

Ich habe in den letzten Jahren immer wieder gesagt, dass der HSV es schafft. Irgendwie. Zuletzt sogar, ohne auch nur den Ansatz einer rationalen Begründung für meinen Optimismus zu haben. Da war es ein reines Bauchgefühl. Dieses Jahr aber ist es anders. Deshalb werde ich nicht müde, an dieser Stelle immer wieder zu betonen, dass dieser Kader schlichtweg nicht gut genug ist. Es fehlt weiter an allen Ecken. Die Torwartposition wird egal wie nicht „sehr gut“ besetzt werden können, und allein das bedeutet schon, dass man davor umso besser sein muss. Die Innenverteidigung weist aber neben Papadopoulos ebenso ein Qualitätsdefizit aus, wie das zentraldefensive und offensive Mittelfeld. Und im Sturm – na gut, das hatte ich oben schon...

Ich weiß, dass jetzt einige sagen, ich sei zu negativ (sorry, Pü!). Aber ich würde mich noch schlechter beim Schreiben meiner Blogs fühlen, wenn ich nicht genau das schreiben würde, was ich hier sehe und meine, erkannt zu haben. Ich bestehe ganz sicher nicht darauf, die einzige Wahrheit zu kennen, beileibe nicht! Aber Fakt ist, wirklich überzeugt und/oder überzeugend wirkt beim HSV niemand mehr. Nicht einmal der in der Vorrunde oft sehr zweckoptimistisch agierende Trainer Markus Gisdol, der zwar sehr motiviert wirkt und eine härtere Gangart gewählt hat, um den Spielern den Ernst der Lage immer wieder vor Augen zu führen, der aber auch immer wieder betont, dass man natürlich noch Bedarf habe. Ergo: Der HSV-Fan an sich muss hoffen. Hoffen darauf, dass sich in diesem Winter doch noch irgendwo eine Tür öffnet, die dem HSV passende Verstärkung(en) beschert. Mehr scheint nicht drin zu sein. Leider.

Fröhlich wird es dennoch morgen, wenn Jann-Fiete Arp so wie Todt heute seine Geburtstagstorte überreicht bekommt. Und ich werde zusehen, dass ich Dennis Diekmeier nachher noch vor die Kamera bekomme, damit er uns in seinem Tagebucheintrag Nummer vier erzählt, was man mit einem freien Tag in Jerez als Profi so anfangen kann und wie er am Tag nach dem Test den Leistungsstand der Mannschaft ansieht.

 

Bis später,

Scholle

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