Marcus Scholz

9. März 2019

Manchmal ist weniger mehr.  Und auch diesmal wäre etwas weniger schon deutlich besser gewesen. Finde ich. Denn beim Lesen der Tageszeitungen fiel mir das Doppelinterview von St. Paulis Klubpräsident Oke Göttlich mit Marcell Jansen auf. Immer wieder betonte Göttlich darin, wie viel Geld der HSV ausgegeben habe. Er deutete an, dass die Stadt den Verein finanziell bevorzugen würde und dass die unterschiedlichen Etathöhen den Wettbewerb ungleich werden ließen. Der Diplom-Sportwirt versuchte in diesem Interview ein Bild zu bemühen, das es so schon längst nicht mehr gibt. das von dem etwas anderen Fußballverein.  Denn eines steht fest: Der „etwas andere Klub“ vom Millerntor ist inzwischen ein komplett normaler Zweitligist geworden. Finanziell erfolgreich und kommerzialisiert bis ins kleinste Teilchen - und das ist auch völlig okay. Solange man es nicht leugnet.

Ich weiß noch genau, wie die Umbaumaßnahmen am Millerntor begonnen hatten und die Videoleinwand aufgestellt war. Ich war am Freitagabend zur Einstimmung auf das Fußballwochenende am Millerntor. Dabei sah ich  damals ein recht schwaches Spiel und war mehr mit den äußeren Umständen des Spiels beschäftigt als mit dem Spiel selbst, weil das wenig hergab. Unter anderem fiel mir dabei der Aufruf ins Auge, dass man eine SMS an eine bestimmte Nummer schicken könne und diese dann auf der Videoleinwand veröffentlicht würde. Für einen bestimmten Betrag (es war irgendwas um und bei einem Euro, glaube ich) natürlich - und die Fans im Stadion kamen diesem Aufruf zahlreich nach. Sie begrüßten Freunde, feuerten ihre Mannschaft an - und der Rubel für den FC St. Pauli rollte. Und obwohl meine ersten zehn Gedanken Textentwürfe für eine mögliche Nachricht waren, war mein elfter Gedanke: „Und diese feinen Vermarkter schimpfen sich ‚non established‘ und meckern über die Kommerzialisierung des Fußballs? Wie schizophren…“ Ein Gedanke, der mir heute beim Lesen des Interviews, das ansonsten sehr sympathisch rüberkommt, wieder kam.

 

 

Daher, gern noch mal für alle, die noch immer an das Märchen vom Freibeuterklub glauben: Das ist ebenso Geschichte wie die Zeiten, in denen der HSV zu den Größten Europas zählte und unabhängig von externen Geldgebern entscheiden konnte. Ergo: In diesem Stadtderby treffen zwei ganz normale, ambitionierte Zweitligisten aufeinander. Mit allen Vorteilen - aber eben auch allen Nachteilen, denen sich Klubs auf dieser Ebene unterordnen müssen.

Favorit ist in diesem Stadtderby der HSV, weil er über mehr sportliche Qualität (die auch mehr Geld kostet) verfügt, wie schon das Hinspiel gezeigt hat. Da hatte sich der FC St. Pauli darauf beschränkt, das Spiel zu zerstören, um dem HSV seinen spielerischen Vorteil zu nehmen. Erfolgreich. Am Ende gab es sogar noch die Möglichkeit, das Spiel zu gewinnen, was zweifelsfrei nicht verdient gewesen wäre. Zudem steht der HSV aktuell in der Tabelle auch vor dem FC St. Pauli. Aber, und das gleicht die Voraussetzungen wieder an, aufsteigen wollen beide Klubs. Beide Mannschaften müssen also morgen punkten, um den Abstand auf die gestern und heute bereits siegreichen Kölner und Berliner wieder herzustellen. Von daher haben beide Mannschaften ziemlich identischen Druck. So, wie am vergangen Wochenende. Und aller Wahrscheinlichkeit auch so, wie am kommenden Wochenende und dem Wochenende danach. Eben ganz normalen Erfolgsdruck.

 

 

Dass das Spiel dennoch etwas anders ist als andere, Logisch! Es ist ein Stadtderby, das es in den letzten Jahren viel zu selten auf Wettkampfebene gab. Und dass man diesem Spiel eine besondere Bedeutung zugesteht ist auch gut so! Sehr gut sogar. Deshalb freue ich mich trotz sportlich nicht zu hoher Erwartungen trotzdem hier Bolle darauf, morgen ins Stadion zu gehen. Die Rivalität beider Klubs habe ich schon als Kind in der Schule und auf den Bolzplätzen mitbekommen und ausgelebt. Ich spüre sie auch immer noch - wenn auch etwas anders als damals, wo mir meine Freunde mit der falschen Vorliebe immer wieder erzählen wollten, wie geil es doch sei, „voll anders“ zu sein - was sie heute übrigens selbst relativieren. Und ich kann nur hoffen, dass die HSV-Profis wenigstens ein Prozent von dem verspüren, was die Fans an Emotionen in dieses Derby legen. Minütlich bekomme ich von meinen Freunden und Bekannten irgendwelche Fotos mit Derby-Bezug. Bei mir in meinem Freundes- und Bekanntenkreis sind schon alle im Derby-Modus.

Und wenn man heute das Training als Grundlage nimmt, dann ist die Mannschaft zumindest heiß auf das Spiel. Denn bei dem Spiel auf verkürztem Feld ging es gut zur Sache. Die einen (Holtby, Ito, Arp) machten deutlich, dass sie das Schicksal des Reservisten nur unter sportlichem Protest hinnehmen, während die anderen (Janjicic beispielsweise trainierte wieder sehr gut) verdeutlichten, weshalb sie die berechtigt erste Wahl sind: Lasogga traf, Narey bereitete Tore vor und traf - einmal sogar per Kopf, was für ihn eher ungewöhnlich ist. Und Berkay Özcan ackerte wie in den Spielen auch - nur etwas effektiver.

Und das soll er offenbar auch morgen machen. Stand heute bleibt es offenbar bei der Startelf, die ich gestern schon im Blog aufgestellt hatte.

So könnte der HSV beginnen

 

Mit Julian Pollersbeck im Tor, der heute die komplette Einheit mit der Mannschaft absolvierte und keine Probleme hatte. Trotzdem reiste Worten Behrens mit uns Mannschaftshotel - als 19. Mann für den Fall, dass Pollersbeck Adduktorenprobleme noch mal auftreten. In der Viererkette bleibt es bei Sakai rechts, innen Bates und van Drongelen sowie Santos links. Das Mittelfeld wird variabel mit einem (im Ballbesitz) und zwei Sechsern (gegen den Ball) gespielt. Vasilije Janjicic und Orel Mangala übernehmen diesen Part, wobei Mangala (sehr zu seiner Freude) seine offensiven Spielgestalter-Qualitäten vermehrt einbringen soll. „Früher habe ich immer auf der Zehn gespielt“, so der Belgier,  der schon bei seiner Wechsel nach Hamburg klargemacht hatte, dass das auch weiterhin die Position sei, auf der  er sich am besten aufgehoben fühlt. Rechts im Mittelfeld wird Khaled Narey beginnen, zentral Aaron Hunt und links Berkay Özcan, während Lasogga in der Spitze beginnt.

Und diese Mannschaft hat allemal die Qualität, dieses Derby zu gewinnen. Vor allem dann, wenn man es schafft, Alex Meier aus dem Spiel zu nehmen. Wie das gelingen soll? Trainer Hannes Wolf betonte im Training immer wieder, dass man  schon die Zuspiele unterbinden müsse. Soll heißen: Der HSV muss offensiv verteidigen, um die Abwehr gar nicht erst in direkte Duelle mit dem Top-Torjäger zu bringen. Vor allem Standards sollen vermieden werden, wie Wolf schon andeutete, als er die besondere Qualität Meiers bei Standards des FC St. Pauli hervorhob. Immerhin haben Meier und Co.  bislang zwölf Kopfballtore erzielt. Nur der 1. FC Köln (16) und Holstein Kiel (13) sind per Kopf noch erfolgreicher. Wolf wies zudem noch mal darauf hin, dass man gegen den FC St. Pauli bis zum Schlusspfiff hellwach sein muss. Hintergrund: In der zweiten Halbzeit sowie der Schlussviertelstunde erzielten die Paulianer 23 Tore im zweiten Durchgang und elf Treffer sogar allein in den letzten 15 Minuten.

 

 

Ansonsten forderte Wolf Mut bei seinen Spielern ein. Mut, den Ball zu fordern, was zuletzt gegen Fürth fehlte. Und er forderte schnelles Spiel in die Spitze an. Denn klar ist: Viel Platz wird es morgen gegen vermutlich erneut tief stehende St. Paulianer  nicht geben. Es wird ein Abnutzungskampf unters schwierigen Bedingungen. Wie der Wetterbericht andeutet, soll es morgen weiterhin regnen. Der eh schon holprige Platz wird dadurch noch mal aufgeweicht und schwerer bespielbar. Technische, spielerische Vorteile werden dadurch hintergründiger, während die Lauf- und Kampfbereitschaft an Bedeutung gewinnen.

Auch deshalb freue ich mich, dass Wolf offenbar die Variante mit zwei Sechsern wählt. Egal wie, morgen ist Derbytime! Vielleicht das letzte Mal für sehr lange Zeit. Von daher gehe ich so in das Spiel, wie es alle Spieler tun sollten: Mit riesengroßer Vorfreude! Und ich hoffe, dass es Euch ähnlich ergeht.

In diesem Sinne, bis morgen. Da melde ich mich dann vom Millerntor bei Euch - hoffentlich mit einem Dreier im Gepäck!

Bis dahin,

Scholle

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