Tobias Escher

29. Juli 2019

Ein Neuanfang. Das suchte der Hamburger SV händeringend nach dem verpatzten Aufstieg in der vergangenen Saison. In der Sommerpause tauschte der HSV nicht nur das handelnde Personal aus, sondern auch die halbe Mannschaft. Beim Saisonauftakt gegen den SV Darmstadt feierten gleich sechs Hamburger Profis ihr Pflichtspiel-Debüt im blau-weiß-roten Dress. Und doch: Von der Spielweise her ähnelte der neue HSV frappierend dem alten - im Guten wie im Schlechten.

Betrachtet man das Spiel aus oberflächlicher Perspektive, könnte man fast sogar sagen: Nichts hat sich geändert beim HSV! Mit 66% Ballbesitz dominierte der HSV das Geschehen, ließ Ball und Gegner laufen. Die guten Ansätze veredelte er jedoch nicht, die Chancenverwertung vor der Pause war mangelhaft. Auf den unerklärlichen Gegentreffer (46.) folgte der typische mentale Einbruch, den die Fans so häufig erleben mussten in der vergangenen Saison. Auch die Wechsel brachten keine Besserung. Das könnte auch eine Beschreibung eines Spiels unter Hannes Wolf oder Christian Titz sein – auch wenn die Partie mit dem 1:1 am Ende vergleichsweise glimpflich ausging.

Gute Ansätze im Flügelspiel und in der Konterabsicherung

Der Teufel steckt wie immer im Detail. Auch wenn Trainer Dieter Hecking in seinem ersten Pflichtspiel als Trainer vieles seiner Vorgänger übernahm: Es gab auch Verbesserungen im Spiel des HSV.

Nominell stellte Hecking sein Team in einer 4-3-3-Formation auf. Adrian Fein übernahm die Rolle des Sechsers vor der Abwehr. Jeremy Dudziak und Aaron Hunt agierten vor Fein, interpretierten ihre Rollen aber unterschiedlich. Während Hunt sich vornehmlich im Zentrum aufhielt und dem Spiel Struktur verleihen wollte, zeigte sich Neuzugang Dudziak umtriebig. Immer wieder wich der frühere Paulianer auf die Flügel aus.

Dudziaks Ausweichen auf die Flügel war einer der entscheidenden Faktoren für die gute erste Halbzeit des HSV. Dass der HSV den Ball in den eigenen Reihen laufen lassen kann, bewies er bereits in der vergangenen Saison. Auch gegen Darmstadts passives 4-4-1-1-System hatte der HSV die Hoheit über den Ballbesitz. Fein und Hunt unterstützten die Verteidiger, die den Ball zunächst ruhig in der Abwehrkette laufen ließen. Die Außenverteidiger rückten im Aufbau nach vorne.

In der vergangenen Saison tat sich der HSV schwer, aus diesem geordneten Aufbauspiel Chancen zu erarbeiten. Gegen Darmstadt konnte der HSV in der ersten Halbzeit gleich mehrere Chancen herausspielen, teils waren diese äußerst hochkarätig wie Hunts Fehlschuss aus wenigen Metern (13.) oder Dudziaks Chance im Strafraum (27.).

Das gelang dem HSV, weil sie die eigenen Angriffe über die Flügel stark ausspielten: In der Abwehr ließen sie den Ball so lange zirkulieren, bis ein Pass auf Linksaußen Bakary Jatta möglich war. Da Darmstadt nicht konsequent auf den Flügel herausschob, gelangte Jatta in zahlreiche Eins-gegen-Eins-Situationen. Dank Unterstützung von Hunt und vor allem des umtriebigen Dudziaks musste Jatta diese Situationen nicht immer mit einem Dribbling abschließen, er konnte häufig zum Doppelpass mit einem Kollegen ansetzen. Diese Kombinationen spielte der HSV direkt und mit einem Kontakt. Darmstadt kam nicht hinterher.

Der zweite Eckpfeiler der dominanten Hamburger Leistung war die Absicherung gegen Konter. Nach Ballverlusten setzte der HSV energisch nach, zwang Darmstadt zu Rück- oder Fehlpässen. Im Pressing agierte der HSV enorm mannorientiert. Im Mittelfeld deckten sie die Gegenspieler eng. Vor allem Darmstadts Doppelsechs kam gegen Hamburgs Mittelfeld nicht zur Entfaltung. Fein und Dudziak rückten aggressiv auf sie heraus, Hunt störte zusammen mit Lukas Hinterseer die gegnerischen Verteidiger.

Taktische Aufstellung HSV-D98

 

Schwächere zweite Halbzeit

Leider konnte der HSV die positiven Ansätze nicht in eine Führung ummünzen. So kam es, wie es kommen musste: Darmstadt bestrafte den ersten gröberen Fehler der HSV-Abwehr. Diese zeigte sich nach einem langen Ball nicht kompakt genug gestaffelt. Auch Torhüter Daniel Heuer Fernandes sah bei Serdar Dursuns Schuss nicht gut aus. Der eingewechselte Tim Skarke staubte ab.

Das Gegentor ließ Hamburgs Offensivbemühungen erlahmen. Zum Einen fehlte das Tempo in den Kombinationen, das sie in der ersten Halbzeit noch ausgezeichnet hatte. Dudziak tauchte bis zu seiner Auswechslung (64.) unter. Der für ihn eingewechselte David Kinsombi, eigentlich eher ein Sechser-Typ, konnte die Rolle des unterstützenden Achters nicht ausfüllen. Die Folge: Der ebenfalls eingewechselte Linksaußen Sonny Kittel (64.) war bei Flügelangriffen wesentlich häufiger auf sich allein gestellt als sein Vorgänger Jatta. Dennoch zeigte Kittel einige gute Ansätze in Form von kurzen Dribblings und Pässen ins Zentrum.

Vielmehr war nach der Pause das Problem, dass die rechte Seite des HSV praktisch nicht stattfand. Darmstadt konnte die Hamburger Angriffe recht simpel kontern, indem sie konsequenter auf Hamburgs linke Seite verschoben. Die gegenüberliegende Seite ließen sie fast durchgehend frei. Selbst nach direkten Verlagerungen, die Fein häufig spielte, konnten Khaled Narey und Jan Gyamerah kein Tempo aufnehmen. Zu häufig verstolperten sie die Kugel.

Es war fast schon konsequent, dass Hecking mit der Einwechslung von Manuel Wintzheimer (77., für Gyamerah) die rechte Seite praktisch auflöste. Narey wechselte auf die Rechtsverteidiger-Position, Wintzheimer ging neben Hinterseer in den Sturm. Einen nominellen Rechtsaußen hatte das System nicht mehr; gegen den Ball schloss Hinterseer die Lücke. Hamburgs Spiel war somit noch stärker auf links ausgerichtet. Mehr als einige sehenswerte Pässe von Kittel und ein paar harmlose Fernschüsse brachte der HSV nicht zustande. So bescherte am Ende ein umstrittener Elfmeter dem HSV den Ausgleichstreffer (98.).

 

Fazit

Somit bleibt nach dem Spiel ein zwiegespaltenes Fazit. Die erste Halbzeit bewies, dass Hecking dem HSV durchaus neue Facetten abgewinnen kann. Das zum Ende der vergangenen Saison so träge Ballbesitzspiel vereinte plötzlich Kombinationsfreude mit Zug zum Tor. In der ersten halben Stunde stachen vor allem Jatta und der umtriebige Dudziak hervor. Fein deutete ebenfalls an, dass er als Sechser neue Qualitäten in die Mannschaft bringen kann. Seine Spielverlagerungen fehlten dem HSV in der vergangenen Saison.

Ebenso wahr ist aber auch, dass der HSV sich nach dem Rückstand schwertat. Die zuvor reibungslose Konterabsicherung griff nicht mehr immer, im Mittelfeld war der HSV plötzlich einige Meter von den Gegenspielern entfernt. Die starke Innenverteidigung musste einige potenziell gefährliche Konter verhindern. Trotz einer rundum veränderten Mannschaft zeigt sich: Auch ein Veteran wie Hecking kann diese Mannschaft nicht von heute auf morgen umkrempeln. Es wird noch einige Zeit dauern, ehe die Fans einen wahrhaft neuen HSV zu Gesicht bekommen.

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