Marcus Scholz

14. Juli 2020

Die Meldung ist zwar noch nicht final verifiziert – aber glaubhaft: Jeremy Dudziak wird trotz einer Ausstiegsklausel in Höhe von zwei Millionen Euro den HSV nicht verlassen. Zum einen, weil es offenbar trotz des kolportierten Interesses des VfL Wolfsburg kein konkretes Angebot an den HSV gab – wobei es dessen auch gar nicht zwingend bedarf. Es hätte gereicht, wenn Dudziak den HSV irgendwann informiert hätte. Das aber tat er nicht, was der viel wesentlichere Teil ist. Denn der Verbleib des Mittelfeldmannes ist zum jetzigen Zeitpunkt, wo sich der HSV im Umbruch befindet und sich Wechselgerüchte um die zwei echten Leistungsträger halten, viel Wert.

Zumal der andere Leistungsträger, Tim Leibold, noch immer intensiv mit einem Wechsel in die Erste Liga in Verbindung gebracht wird. Noch mehr, seit heute bekannt wurde, dass sich der Linksverteidiger von seiner Freundin Laura getrennt hat. Denn die hatte zuletzt betont, unbedingt in Hamburg bleiben zu wollen. Aber das darf nicht interessieren. Wer weg will, soll gehen. Und wer nicht kommen will, der soll wegbleiben. So gern ich einen Hendrik Weydandt auch in Hamburg gesehen hätte - dass er in Hannover bleibt ist: ab sofort egal.

Der neue HSV will mutig sein - deshalb schnell zurück zu dem, was da ist. Und damit zurück zu Dudziak, der in der abgelaufenen Saison für mich im Mittelfeldzentrum der in seiner Funktion mit Abstand effektivste, weil beständigste Spieler des HSV war. Adrian Feins Leistungen schwankten nach einem bärenstarken Start in die Saison ab Herbst 2019 zunehmend. Während David Kinsombi bis Saisonende nur ein richtig gutes Spiel hatte und Aaron Hunt wie üblich zwischen „spielentscheidend“ und „Ausfall“ schwankte, wurde Sonny Kittel von Trainer Dieter Hecking gar nicht erst im Zentrum vorgesehen. Und obwohl auch Dudziak in den entscheidenden letzten Saisonspielen nicht zu seiner Form fand, behaupte ich, dass er für das Umschaltspiel des HSV in beide Richtungen der wichtigste Mann im Mittelfeld war.

Schon rein sportlich ist der Erhalt des Linksfußes für die kommende Saison ein gutes Zeichen für den HSV. Und auch für das Wirken von Daniel Thioune ist dieser Verbleib ein erstes gutes Zeugnis. Hintergrund: Der neue Trainer hatte sich am vergangenen Mittwoch entgegen seiner Ankündigung, erst zu Vorbereitungsstart die Gespräche mit den Spielern zu suchen, mit Dudziak getroffen. Er hatte die Dringlichkeit erkannt und dem 24-Jährigen in einem ausführlichen Gespräch deutlich gemacht, welche Bedeutung er für den HSV unter Thioune haben würde. Mit Erfolg. Offensichtlich.

Dudziaks Verbleib ist auch ein positives Signal

Nicht beim erstbesten (finanziell vielleicht besseren) Angebot wegzulaufen, sondern zu wissen, was man hat, das ist im Profifußball selten. Und noch einmal: Vielleicht hatte Dudziak kein unterschriftsreifes Angebot vorliegen. Bestätigt wurde aus Wolfsburg ebenso wenig wie aus Hamburg. Außer, dass Dudziak nach dem Gespräch mit Trainer Thioune begeistert gewesen sein soll und sich schon deshalb für einen Verbleib entschieden hat. Eine Entscheidung, mit der Dudziak noch einmal unterstreicht, dass er für den HSV aus vielen Gründen der Richtige ist – und damit dem neuen Trainer in Sachen Kaderplanung einen guten Start beschert. Denn Thiounes Denkweise entspricht dem Naturell Dudziaks – beide trauen sich einfach. Oder anders formuliert: Beide machen das, was dem HSV in den letzten Jahren gefehlt hat, indem sie auf ihre Weisen Verantwortung übernehmen.

Und von diesen Typen hat(te)der HSV zu wenig. Hinten vielleicht noch Rick van Drongelen, der sportlich seine Probleme hatte – aber das war es dann auch schon. Von daher ist die Frage, wen der HSV holen sollte, zumindest mit einer Eigenschaft recht leicht zu beschreiben: den Mutigen. Siehe Dudziak und das, was die Verantwortlichen so gern für sich beanspruchen. Auch deshalb finde ich Personalien wie die von Anssi Suhonen so interessant.

Wobei ich an dieser Stelle noch einmal klarstelle: Mit keinem Wort habe und wollte ich in dem Artikel behaupten, dass der junge Finne auf dem direkten Sprung in den Profikader ist geschweige denn es jetzt schaffen muss. Zudem habe ich nie und mit keinem Wort behauptet, dass er mal ein Weltklassespieler wird. Ich habe ihm Attribute angeheftet, die ich zuvor bei anderen Profis gesehen habe, die später sehr erfolgreich waren/sind. Und ich habe das als hoffnungsvollen Ansatz gewertet. Das allerdings gleichzusetzen mit einem direkten Vergleich zu Heung Min Son von heute ist so zulässig, wie mich mit Lars Ricken gleichzusetzen, nur weil wir mit dem gleichen Geburtstag eine faktische Parallele haben.

Suhonen steht nur exemplarisch für den neuen Mut

Mir war es vielmehr wichtig, die Geschichte hinter dem Namen Suhonen zu erzählen, weil ich sie extrem interessant und teilweise auch imposant finde. Deshalb habe ich in meiner Bewertung auch viele Dinge sehr positiv gesehen – ohne Suhonen schon als „Hoffnungsträger“, „Toptalent“ oder gar „Juwel“ zu bezeichnen. Der 19-Jährige braucht noch seine Zeit.  Aber dass der Unterschied zwischen Durchbruch und Nicht-Durchbruch oft allein an der Gelegenheit dazu liegt, ist wohl unbestritten. Und ich bleibe dabei: In Sachen Einstellung und Willen hat der HSV in Suhonen einen außergewöhnlichen jungen Spieler in den eigenen Reihen, dem ich es zutraue, seine Chance zu nutzen, sofern er sie denn bekommt.

Bei Thioune bin ich da guter Dinge. Zumindest in Osnabrück war er mutig – wobei das da auch in der  Natur der Sache lag. Er musste mit Minimalmitteln die Zweite Liga rocken. Zu schaffen, was keiner erwartet, eröffnet Wege, die den erfolgsverschriebenen Topklubs eher nicht zugestanden werden. Hätte Thioune die Gegner in der Hinrunde nicht mit mutigem,  riskantem, schnellen Fußball überraschend den fünften Tabellenplatz geschafft und dabei 26 Punkte geholt, es wäre wohl nichts geworden mit dem Klassenerhalt. Letztlich waren es drei Punkte und ein paar Tore bis zum Relegationsplatz, nachdem der VfL in der Rückrunde mit 14 Punkten das schlechteste Team stellte. „Es bleibt abzuwarten, ob und wie viel von der mutigen Art, der in Osnabrück alle noch relativ bedingungslos gefolgt sind, auch in Hamburg umsetzbar ist“, heißt es oft. Von Verantwortlichen aus Osnabrück wie aus Hamburg. Und wisst Ihr was – genau darin steckt die Achillesferse des HSV.

 

Ich hatte es in den letzten Tagen häufiger geschrieben: Thioune muss wirken dürfen. Und dazu werden (kleine und größere) Rückschlage dazugehören. Bei der Kaderzusammenstellung ebenso wie letztlich in der Saison. Und so sicher ich mir bin, dass die breite Masse HSV-Anhänger nach den deprimierenden letzten Jahren bereit ist, lieber mutig etwas Neues zu beginnen, das Perspektive hat und dafür eben zu diesen Rückschlägen bereit ist, so muss allen bewusst sein, dass auch die Zweifler noch da sind. Und die werden ganz offensichtlich nicht müde, destruktiv zu kritisieren.

Soll heißen: Sie kritisieren Dinge als schlecht, bevor sie ausprobiert werden können, ohne eigene Lösungsansätze zu liefern. Es ist im Prinzip genau die Art, die von der Vereinsführung und dem näheren Umfeld vorgelebt wurde und die den HSV krank gemacht hat. Jede neue Führung hat ihre Opposition. Lange bevor sie das erste Mal wirken darf. Und ich sage es hier gern noch einmal: Erst, wenn wirklich alle bereit sind, auch Dinge gegen ihre eigene Überzeugung eine Weile zu unterstützen, weil sie der handelnden bzw. den handelnden Personen trauen – erst dann kann sich der HSV wirklich neu aufstellen. Sowas nennt man übrigens Vertrauen.

Ich will keine Spieler, die ihren guten Namen verwalten

Womit ich noch einmal auf den Suhonen-Blog zurückkommen möchte. Der Finne ist für mich nur ein Beispiel für viele Talente, die danach lechzen, einfach nur eine Chance zu bekommen. Sie sind vielleicht keine Überflieger der Marke Weltklasse wie Havertz, Sancho und Co. – aber sie sind heiß. Deutlich heißer als die Profis, die sich in den letzten Jahren bei verschiedenen Stationen ein Standing erarbeitet haben und heute viel Wert darauf legen. Denn diese Spieler machen schon den ersten Fehler: Sie verwalten ihr Talent. Sie halten sich zwar fit, sie leben auch professionell und wollen immer ihr Bestes geben – aber die allermeisten von ihnen haben ihr Topniveau schon irgendwann einmal kennengelernt. Sie wissen als, was sie können, was sie nicht selten zu seltsam überbordendem Selbstvertrauen verführt. Sie wissen aber vor allem auch, wo ihre natürliche Grenze ist.

Anders als die Youngster, die noch Träume haben, die jeden Tag dazulernen wollen und es gar nicht erwarten können, endlich das erste Mal vor 57.000 Zuschauern im Volksparkstadion aufzulaufen. Spieler, die sich von kleinsten Erfolgserlebnissen beflügeln lassen. Diese Spieler, am besten gepaart mit möglichst viel Potenzial, sind es, die der HSV braucht. Die Frage, die wir uns alle nur stellen müssen, ist: Sind wir bereit, solchen Spieler Fehler zu verzeihen? Haben wir die Geduld, Niederlagen hinzunehmen als Teil der Entwicklung etwas Neuem?

Ich bin es. Zumindest bin ich bereit, einem solchen Spieler auch mehrere Fehler nacheinander zu verzeihen, wenn ich erkenne, dass er dem HSV helfen kann und vor allem: dass er dem HSV helfen will. Ich will keine satten HSV-Profis mehr, die ihre Namen verwalten. Keine Spieler mehr, die mehr darauf achten, ihre Schwächen zu kaschieren, als ihre Stärken weiterzuentwickeln. Ich will einfach nur viele spannende Projekte mit dem Überraschungspotenzial für ganz oben – und dazu ein paar mutige, gestandene Profis, die Verantwortung übernehmen und sich als Anführer in schwierigen Phasen beweisen.

 

Eigentlich will ich also Spieler, die noch nicht im Kader stehen. Und dazu Vagnomänner als Rechtsverteidiger, Davids in der Innenverteidigung, Suhonens auf der Acht , Amaechis, Opokus auf Außen und Freigeister wie Kittel mit allen Freiheiten auf der Zehn. Kurz gesagt: Ich will einfach nicht mehr vorher schon wissen, was ich nicht bekomme. Und bitte, nur um erneuten Missverständnissen noch einmal in aller Deutlichkeit vorzubeugen  – versteht die genannten Namen nur als Platzhalter für alle die Spieler die eines haben: das maximale Maß an Motivation, es zu schaffen. Wille schlägt Talent. Nicht immer – aber meistens. Und dieser HSV  ist gut beraten, jetzt unter der sportlichen Führung von Thioune zusehen, mehr Willen und mehr Mut ins Team zu bekommen. Einfach mehr Potenzial! Und das kann nur gelingen, wenn es von außen auch zugelassen wird. Daher meine Frage an Euch:

Seid Ihr bereit dazu?

In diesem Sinne, bis morgen. Da werde ich mich um 7.30 Uhr wieder mit dem MorningCall melden, ehe wir uns am Nachmittag wieder Euren Fragen im Community Talk widmen und versuchen werden, alle zu beantworten.

Bis dahin!

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