Marcus Scholz

15. Juli 2018

Heute war Abreisetag. Abreise aus Österreich. Sieben Tag Trainingslager sind zu Ende. Zeit, um ein erstes Resümee zu ziehen. „Ich bin zufrieden mit dem Stand der Dinge nach drei Wochen. Wir hatten jetzt drei Gegner nacheinander vor der Brust, die deutlich weiter in der Vorbereitung sind als wir. Und dann weiß ich auch, wie schwer das ist und wo wir stehen“, so Trainer Christian Titz nach dem 2:1-Erfolg bei Rapid Wien Und das, obwohl diese noch lange nicht komplett ist. Es werden noch Spieler gehen und andere kommen. Zumindest ist das so geplant. Aber5 bis dahin bekommen die Spieler erst einmal ein paar Tage frei, um durchzuschnaufen. Erst am Donnerstag steht die nächste Einheit am Volkspark an. „Die Jungs haben sehr gut, sehr intensiv gearbeitet. Auf dem Platz wie daneben“, so Titz.

Und damit hat er vermutlich Recht. Denn diese Mannschaft zeigt bereits ein Gesicht, das sich viele hier seit vielen Jahren wünschen. Fan-nah, geerdeter, hier und da ein wenig bekloppt, aber das alles irgendwie authentisch. Statt vieler großer Namen gibt es nur noch wenige. Und statt unrealistischer Champions-League-Träume will man einfach nur wieder hoch in die Erstklassigkeit. Dafür stoßen immer mehr Itos, Kwartengs und Steinmänner in den Vordergrund. Kurzum: Es besteht erhöhtes Identifikationspotenzial mit dieser Mannschaft, zumal sich auch der Trainer demütig präsentiert und sich nicht einmal zu schade ist, den Fans auf dem Weg zum Training oder sonstwo zu grüßen.

Der HSV hat sich endlich an die kleinen, wesentlichen Dinge zurückerinnert. Den Umständen entsprechend wirtschaften, keine großspurigen Ziele ausgeben, sich der eigenen Basis näher fühlen als sich der Weltelite anzubiedern und ihr erfolglos hinterherzulaufen. Zu einem ganz wesentlichen Teil erzwingen die Umstände das. Aber in letzter Instanz leben Sportvorstand Ralf Becker und Trainer Christian Titz eben das den Spielern vor. Und es bleibt die Hoffnung, dass die Mannschaft diesen Weg mitgeht und überflüssige Glamour-Promi-Artikel wie der heute in der Mopo über „Hamburgs neues Traumpaar“ die Ausnahme bleiben.

Hier soll und darf in den nächsten Wochen und Monaten bis Saisonende nur der Fußball im Vordergrund stehen. Die vielen neuen Umstände erfordern ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit, wie Becker zurecht anmerkte. Und der Sportvorstand muss es wissen. Er kennt die zweite Liga im Gegensatz zu fast allen anderen beim HSV bereits.

Wobei man sportlich auf dem richtigen Weg ist, wie die beiden letzten Testspiele gezeigt haben. Nach dem alarmierend schwachen 1:5 gegen Aarhus hatte Titz deutliche Worte gefunden. Und diesen Worten ließ der HSV-Trainer in Österreich Taten folgen. Die Fehlerquelle des Spiels, das schwache Umschalten von Offensive auf Defensive, wurde täglich trainiert. Bis es klappte. Mehr als zwei Stunden Training sind unter Titz keine Seltenheit. Und zur Praxis gesellt sich noch ein ausführlicher Theorie-Teil. Die Spieler werden 24/7 mit Fußball belagert – bis sie es kapiert haben.

Und die Ausdauer zeigen sie inzwischen auch auf dem Platz. Wie in Wien. „Heute haben die Jungs sogar im müden Zustand versucht, unser Spiel zu spielen, das Trainierte umzusetzen. Dass da Fehler passieren, ist klar. Aber die Mannschaft hat beeindruckend versucht, alles umzusetzen. Auch in Phasen, wo so gar nichts ging hat sie sich nicht unterbringen lassen.“ Konstanz ist das Zauberwort. Und das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit, setzt ein Trainer auch genau das um. Allen Unkenrufen zum Trotz zieht man beim HSV aktuell diesen einen Plan durch.

Und das stimmt. Gegen Wien wurde es dadurch manchmal unnötig gefährlich. Gerade im Spiel hinten raus passieren noch zu viele Fehler. Vor allem, wenn Pollersbeck, der ansonsten stark spielte, am Ball war. „Da waren schon einige Pässe dabei heute, da war er fast schon übermütig. Zumal wir gesagt haben, dass wir auch lange Bälle spielen wollen, wenn der Gegner uns massiv anläuft. Heute liefen teilweise sechs Mann auf ihn zu und mit einem langen Ball hätten wir so zwei Ketten überspielt“, erklärt Titz, „aber er war so auf den Kurzen fokussiert, dass er den langen nicht mehr gesehen hat. Der Gegner war gut. Und trotzdem hatten wir viele Phasen, wo wir Spielkontrolle hatten und im Anlaufverhalten gut waren.“

Apropos gut, das war auch Vasilije Janjicic. Der Schweizer, der wiederholt mit Übergewicht aus der Pause gekommen war, hat seine Pfunde abtrainiert und in den beiden Spielen zu überzeugen gewusst. „Wir haben ihm klar gesagt, was wir uns vorstellen und das hat er richtig gut umgesetzt.“

Wobei sich Janjicic auf der Sechs deutlich besser bewegt hat als auf der Position des Achters. Trotzdem, oder auch deshalb sucht der HSV noch im zentral-offensiven Mittelfeld. „Wir haben gesehen, dass wir auch mit anderen Spielern eine gute Leistung zeigen können. Das fand ich gut. Trotzdem müssen wir natürlich warten, wie sich die Situation entwickelt, wer uns noch verlässt und wen wir nachholen können. Grundsätzlich bin ich mit dem Kader zufrieden, würde mich aber nicht wehren, wenn noch ein zwei Spieler möglich wären.“

Wo Titz den größten Bedarf sieht? „Wenn, dann auf der Achterposition.“ Dabei lässt Titz eines offen: Den Angriff. Dort könnte in den nächsten Wochen auch noch etwas passieren, wenn Arp doch noch zur neuen Saison zum FC Bayern wechselt. Das deutete auch Titz noch mal an:  „Und wenn wir aus irgendeinem Grund keine drei Stürmer mehr haben sollten, dann auch dort.“

Etwas überraschend war, dass Pierre-Michel Lasogga gegen Wien nur 14 Minuten ran durfte. Allerdings erklärt Titz das im Nachgang: „Da braucht niemand große Schlüsse ziehen. Pierre hat die letzten Tage schon durchbeißen müssen, hatte hier und da leichte Probleme. Und wir wollten auch Fiete mal die Chance geben etwas länger zu spielen. Und Manuel hatte es vorher gegen ZSKA gut gemacht.“

Steinmann: „Matti zeichnet seine Ruhe in Drucksituation aus. Der macht es einfach richtig gut. Ich bin froh, dass wir ihn haben. Er ist innerhalb der Mannschaft auch einer, der eine Wortgewicht  hat, weil er eine vernünftige, ruhige  Meinung bringt. Er ist nicht der Schreihals in der Kabine. Aber auf dem Platz bracht man gerade auf der Sechs einen, der auch verbal mal was regelt, der die Kommandos gibt, wie wir rausrücken und das Spiel eröffnen. Ich fand ihn gegen Wien einfach etwas müde, was nach den Trainingseinheiten, wo er sich gut reinhaut, völlig normal ist.“

Trotzdem hat Steinmann bewiesen, dass er momentan der effektivste Sechser ist. Er dirigiert, baut das Spiel auf und wirkt wie ein Ruhepol im HSV-Spiel. Anders als der gegen Wien gute, aktive Christoph Moritz, der deutlich mehr nach vorn mitmacht. Wissend, dass Titz das anders sieht, würde ich momentan eher eine Konkurrenzsituation zwischen Holtby und Moritz auf der Acht sehen, und Steinmann als gesetzt betrachten. Zumindest ist er für mich der bisherige Gewinner der Vorbereitung – die ja noch knapp drei Wochen läuft.

Und die geht ab kommenden Donnerstag schon weiter. Dann soll auch Douglas Santos wieder einsteigen, während Aaron Hunt in Teilen mittrainieren soll. Titz: „Wir werden am Mittwoch noch mal einen Test machen, wie weit die beiden sind.“ Ausfallen wird aller Wahrscheinlichkeit Stephan Ambrosius, der gegen Wien mit Knieproblemen ausgewechselt werden musste: „Er hat sich das Knie leicht verdreht“, so Titz, „aber es scheint nichts schlimmeres zu sein.“

Und so wusste Titz die sieben Tage am Ende als „definitiven Erfolg“ zu verbuchen. Sportlich hat man Fortschritte gemacht, die angeschlagenen Spieler kommen bald zurück und wenn meine Informationen stimmen, bahnen sich bis Ende nächster Woche auch personell noch Entscheidungen an. Läuft also im Großen und Ganzen. Und den Feinschliff haben wir ja erst noch vor uns.

In diesem Sinne, mit Frankreich (trotz des zweifelhaften Elfers) als neuen und verdienten Weltmeister verabschiede ich mich für heute. Morgen Abend melde ich mich dann wieder bei Euch.

Bis dahin!

Scholle

P.S.: „Was mir gefehlt hat während des Turniers, war die Weiterentwicklung. Bei der WM 2014 hatte sich Manuel Neuer von einem Torwart eher zu einem Torspieler entwickelt. Ich hätte mir gewünscht, dass diese Entwicklung weitergeht, dass der Torwart vielleicht noch mehr ins Aufbauspiel eingebunden wird“, sagte der frühere Nationaltorhüter Oliver Kahn nach dem heutigen WM-Finale im ZDF und lobte insbesondere das System von HSV-Trainer Christian Titz, das er als Paradebeispiel für modernes Torwartspiel nannte. Der ehemalige Welttorhüter lobte dabei Julian Pollersbeck, der unter Trainer Christian Titz bei eigenem Ballbesitz als eine Art „Libero“ 30 Meter vor seinem Tor permanent anspielbar ist. „Wir haben wahnsinnig viele Spiele gegen tief stehende Mannschaften gesehen. Da hat es schon Sinn, wenn der Torwart herausrückt und am Spielaufbau teilnimmt, sodass der Sechser nicht abkippen muss, sondern nach vorne gehen kann. Der Hamburger SV spielt genau das mit Pollersbeck sensationell. Davon haben wir bei der WM ein bisschen wenig gesehen, also der Entwicklung zum Torspieler.“

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