Marcus Scholz

5. November 2019

Der HSV hat es nicht exklusiv, dass man schnell und hitzig über seine Spiele diskutiert. Das ist überall gleich. Ich behaupte, in südlicheren Ländern ist das sogar noch deutlich schwieriger, weil deutlich emotionaler. Und auch hier ist ebenso normal wie abträglich, da es schlichtweg nicht mehr sachlich ist. So auch die Diskussion nach dem 1:1 in Wiesbaden. Da stellen sich einige hin und wollen tatsächlich alles in Frage stellen. Um es in Dieter Heckings Worten zu sagen: Was für ein Quatsch! Dafür hat die Mannschaft vorher zu konstant gespielt. Aber Fakt ist auch: Der HSV  hat in Wiesbaden Fehler gemacht. Fehler, die man so nicht gewohnt war und die man benennen muss, wenn man sie abstellen will. Denn eine so unkonzentrierte Halbzeit wie die erste in Wiesbaden habe ich seit dem Stadtderby nicht mehr gesehen. ganz im Gegensatz zu der Schwäche bei hohen Bällen in der Defensive. Die habe (nicht nur) ich vorher schon gesehen und fühlte mich bestätigt, dass der HSV hier seine Achillesferse hat. So, wie in Wiesbaden.

Es war meiner Ansicht nach auch völlig legitim, nach der Standardschwäche zu fragen. Körperlänge könne man nicht lernen oder antrainieren, antwortete Hecking genervt. Und dennoch ist es ein Problem, mit dem der HSV umgehen muss, wenn er sich nicht leichtfertig um den verdienten Lohn bringen will. Ebenso verständlich war es, nachzufragen, ob seine Mannschaft den Kontrast von Spitzenspielen vor 57.000 Zuschauern gegen Stuttgart hin zu einem 9000-Mann-Stadion in Wiesbaden beim Tabellenletzten nicht verarbeitet habe. „Quatsch! Das ist totaler Quatsch“, versuchte Hecking mit deutlichem Ton diese Thematik gleich im Keim zu ersticken. Und ich verstehe ihn. Denn es nervt, wenn man nach etlichen guten Spielen bei einem Ausrutscher wie in Wiesbaden gleich ein allgemeines Problem angeheftet bekommt. Und nein: Der HSV hat kein allgemeines Problem in Sachen Einstellung. Das behaupte ich erkannt zu haben. Aber eines hat der HSV auch nicht: Ein Problem mit der zu hohen Erwartungshaltung. Und die führte Hecking an.

Hecking reagiert öffentlich anders als intern - hoffentlich

Dennoch gibt es die hier in Hamburg nicht. Egal wie oft sie vom Trainer noch genannt wird, ich bin mir sicher, dass dieser HSV mit seinem direkten Umfeld aktuell sehr gut bedient ist. Hier wird am Trainingsplatz, in Foren, in Kneipen und vor dem heimischen TV zweifellos hitzig diskutiert. Ein 6:2 gegen Stuttgart lässt bei vielen Euphorie aufkommen. Ebenso, wie ein 1:1 in der Nachspielzeit in Wiesbaden große Enttäuschung hervorruft. Zumal nach einem solchen Spiel, das vorher längst für den HSV hätte entschieden sein müssen. Aber am Ende versuchen immer noch alle, ihrem HSV zu helfen. Fans, indem sie ihren HSV in Stadien wie auch in Foren supporten. Und der Trainer, indem er seine Mannschaft schützt. Nicht mehr und nicht weniger war das, was gestern in der Journalistenrunde passierte, als Hecking gegenüber meinem Kollegen sehr deutlich wurde. Und dennoch war es vor allem eines: Am Thema vorbei. Denn man kann nicht nur einzelne Punkte aus Spielen herausgreifen und sie kritisch anführen. Nein: Das muss man sogar, wenn man besser werden will.

Und ganz sicher wird Hecking das mit seinem Analysten-Team genau so auch intern machen. Fakt ist: In der ersten Halbzeit bin Wiesbaden hatte der HSV Probleme, sich auf 100 Prozent hochzufahren. Vielleicht, weil es normal ist, dass man nach Wochen der hart umkämpften Spitzenspiele (Bielefeld und 2 x Stuttgart) beim Tabellenletzten ungewollt zehn Prozent weniger abruft. Denn so unprofessionell das auch ist - es ist eben auch menschlich. Nehmen wir doch mal Adrian Fein als Beispiel. Den Mann, dem ich nachsage, dass er der konstanteste HSVer seit Saisonbeginn ist. Ein Spielertyp, der nie abschenkt. Fein hat eine natürliche Motivation, die ihm selbst beim Spielen gegen kleine Kinder verbieten würde, freiwillig zu verlieren. Und trotzdem war er in der ersten Hälfte schwach. Er wirkte einfach nicht wach. Er, spielte ungewöhnlich viele Fehlpässe, vertändelte vor dem eigenen Sechzehner fahrig einen Ball bei der Annahme (und bügelte es selbst wieder aus). Kurzum: Fein war nicht bei 100 Prozent. Er wirkte unkonzentriert. Warum das so war, wusste er selbst nicht zu beantworten. Aber ein Mangel an Motivation? Schwer vorstellbar. Eher eine Form von Müdigkeit, der man kurz nachgibt, wenn man sich zuvor ein paarmal in Folge bis ans Limit hochgefahren hatte.

 

Ergo: Ein ganz normaler Saisonverlauf. Ein Szenario, das immer wieder vorkommt - und das Hecking nur zu oft schon erlebt hat. Deshalb war es auch an ihm, das zu erkennen. So, wie der Trainer es vor Wiesbaden schon ausgemacht hatte. Im Abschlusstraining vor Wiesbaden war der HSV-Coach schon laut geworden. Deutlich lauter als in den Wochen zuvor. Im Nachhinein bestätigte Hecking dann auch, dass er im Training schon erkannt hatte, dass ein wenig Zug fehlte. Also das, was sich letztlich in Wiesbaden besonders in den ersten 45 Minuten zeigte - und was mit dem bitteren Ausgleich in der Nachspielzeit bestraft worden war. Trotzdem wusste auch Hecking nicht, der Tendenz ausreichend entgegenzuwirken.

Warum? Weil es manchmal einfach nicht geht!

Wer selbst schon mal Fußball gespielt hat, der kennt das. Egal, wie heiß man sich redet, mit Anpfiff ist auf einmal alles anders. Anders als man es sich vorgenommen hatte. Und anders als in den Vorwochen. Das passiert. selbst den Besten irgendwann einmal. Siehe Bayern München gegen Frankfurt, Real Madrid gegen Betis Sevilla und, und, und… In diesem Fall ist es dem Tabellenführer der zweiten Liga passiert. Und das ist definitiv bitter, weil es dem HSV in der Tabelle weitergeholfen hätte. Aber es ist alles andere als schlimm. Schlimm wird es erst, wenn es unsachlich diskutiert wird und zu Kollateralschaden führt. Und diese Gefahr ist in Hamburg zweifellos groß. Auf beiden Seiten wohlgemerkt. Vor allem ist es extrem unnötig. Denn für mich gilt:

 

  1. Der Verein wirkt ein seiner Führung einig und fokussiert. Trainer und Sportvorstand bilden ein Team, das auf Erfolg ausgerichtet ist und sich vertraut.

  2. Dieser Trainer hat die Ruhe und Erfahrung, schwierige Situationen zu meistern. Auch zwei, drei oder sogar vier (sieglose Auswärtsspiele) in Folge.

  3. Diese Mannschaft hat auch in der Breite sportlich und mental das Potenzial, am Saisonende ganz oben zu stehen.

 

Kritik wird es dennoch weiter geben. Auch von mir. Logisch. Immer wieder - aber eben, um besser zu werden. Das heißt, es muss realistisch bleiben. Und obgleich ich in Wiesbaden sowohl der Mannschaft als auch dem Trainer vorwerfe, einzelnen Entwicklungen im Vorfeld wie auch während des Spiels nicht ausreichend entgegengewirkt zu haben, leite ich daraus noch keine allgemeine Entwicklung ab. Im Gegenteil: Mir reichen mir die Punkte 1 bis 3, um diesem HSV-Konstrukt überzeugt auch in schwierigeren Phasen Zeit und Geduld entgegenzubringen. Zumal dann, wenn der HSV in Kiel zeigt, dass er aus dem 1:1 in Wiesbaden die richtigen Schlüsse gezogen hat.

 

Und bevor ich den Blog beschließe noch eine Meldung vom HSV. Der hat den Vertrag mit Finanzvorstand Frank Wettstein vorzeitig bis 2022 verlängert. In diesem Sinne, bis morgen. Da wird um 10 Uhr öffentlich trainiert. Vorher melde ich mich (sofern die Stimme es wieder zulässt) um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch. Bis dahin!

Scholle

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