Tobias Escher

10. November 2019

Der Hamburger SV und Rote Karten – das ist aktuell eine unschöne Kombination. Vergangene Woche kam der HSV gegen Wehen-Wiesbaden trotz einer Halbzeit in Überzahl nicht über ein 1:1 hinaus. Gegen Holstein Kiel musste der HSV nach einer Roten Karte gegen Bakary Jatta (26.) über eine Stunde in Unterzahl agieren. Erst spät fand der HSV die richtige Formation, um die Unterzahl zu kaschieren.

Die Partie in Kiel begann vielversprechend: Der HSV dominierte die Anfangsphase und ließ Ball und Gegner laufen. Trainer Dieter Hecking setzte erneut auf ein 4-3-3-System. Wie schon gegen Wehen-Wiesbaden bildeten Jeremy Dudziak und David Kinsombi eine Doppelacht vor Sechser Adrian Fein. 

Die Spielidee ähnelte jener Marschroute, die der HSV schon in Wiesbaden angewandt hat: Dudziak und Kinsombi boten sich zwischen den gegnerischen Linien an. Sie sollten den Ball von dort nach Außen leiten. Das funktionierte zu Beginn der Partie gut: Rechtsverteidiger Khaled Narey stieß mit Wucht nach vorne. 

Der erste Bruch

Nach einigen Minuten gab es jedoch einen Bruch im Spiel. Kiel brauchte einige Minuten, um sich defensiv zu sortieren, stand dann aber solider. Sie spielten eine Mischung aus 4-2-3-1 und 4-3-3. Defensiv stach vor allem ihr mannorientiertes Mittelfeld hervor: Fein, Dudziak und Kinsombi wurden in enge Manndeckung genommen. Kiel übte zwar nur wenig Druck auf Hamburgs Verteidiger aus, rückte aber aggressiv gegen das Hamburger Mittelfeld.

Der HSV tat sich gegen diese Verteidigung schwer. Dudziak versuchte sich der Manndeckung zu entziehen, indem er weit auf den rechten Flügel auswich. Das zwang wiederum Kinsombi dazu, eine höhere Rolle einzunehmen: Er sprintete in die Spitze und lauerte auf Zuspiele. 

Dadurch fehlte jedoch jegliche Unterstützung für Hamburgs linke Seite. Sonny Kittel, eigentlich kreativster Akteur in dieser Saison, hing in der Luft. Jatta und Narey konnten dieses Kreativloch nicht auffangen. Sie überzeugen nicht in Kombinationen, sondern wenn sie ihr Tempo ausspielen können. Die rechtslastige Spielanlage passte also nicht wirklich zu den Stärken der Spieler. Der HSV verlor verhältnismäßig oft den Ball auf der rechten Seite. Kiel lauerte auf diese Ballverluste. Sie wollten nach Ballgewinnen schnell diagonal auf den anderen Flügel verlagern.

Taktische Aufstellung KSV-HSV

 

Der zweite Bruch: die Unterzahl

Kiels Konter schlugen meistens fehl; weder rückten sie aggressiv genug aus dem Mittelfeld nach noch hatten sie die nötige Passgenauigkeit, um die HSV-Defensive im letzten Drittel auszuhebeln. Ihr großes Glück war, dass Jatta in der 26. Minute ein Rot-würdiges Foul beging. Der HSV musste von nun an in Unterzahl agieren – der zweite große Bruch des Spiels. 

Der HSV agierte zunächst in einer Mischung aus 4-2-3 und 4-4-1. Das wirkt zunächst wie ein Widerspruch: Ein 4-2-3-System mit drei Stürmern ist bei einer Roten Karte enorm risikoreich, ein 4-4-1 hingegen ein sehr defensives System. Das war ein bisschen das Problem der Hamburger: Sie wussten nicht genau, wie sie mit der Unterzahl umgehen sollten. Mal sprintete Kinsombi im Pressing nach vorne, mal zog sich das Team kollektiv zurück. Eine Mischung aus zu offensiv und zu defensiv, quasi.

Zumindest verloren sie in dieser Phase nicht die Kontrolle über den Ballbesitz: Sie hatten auch in Unterzahl noch mehr Spielanteile als Kiel. Das lag nicht zuletzt an einer passiven Holstein-Mannschaft, die weiterhin auf schnelle Konter lauerte. Blöd für den HSV, dass sie dem Gegner eine solche Kontermöglichkeit auf dem Silbertablett servierten. Rick van Drongelens Fehlpass leitete den Gegentreffer ein.

Bessere Aufteilung nach der Pause

In der Pause haben die Trainerteams anscheinend ihren Schützlingen erklärt, wie sie mit der Roten Karte umzugehen haben. Beide Teams kehrten mit einem klareren Fokus und einer besseren Aufteilung zurück aus der Kabine. Hecking schickte Kittel als zweiten Stürmer nach vorne. Der HSV agierte fortan in einem 4-3-2; ein System, das besonders im Zentrum Kompaktheit bietet. Kiel sollte nach Außen gelenkt und dort isoliert werden.

Doch auch die Kieler Störche agierten wesentlich schlauer in Halbzeit zwei. Sie spielten ihre Überzahl nun cleverer aus. Sie stellten sich in einer recht defensiven 4-3-3-Ordnung auf. Wieder und wieder verlagerten sie das Spiel von Außenverteidiger zu Außenverteidiger, wohl wissend, dass ein hohes Pressing für den HSV zu riskant gewesen wäre. Das Kieler System war zwar zu defensiv, um Torgefahr zu erzeugen; vorne verblieben meist nur die drei Angreifer. Dafür aber kontrollierten sie nun die Partie.

Der HSV beging nicht den Fehler, zu früh ein wildes Pressing zu wagen. Stattdessen ließen sie Kiel zunächst gewähren. In eigenen Ballbesitzphasen agierten sie ebenso ruhig und defensiv – sie teilten ihre Kräfte ein. Der Schlussspurt sollte spät folgen.

Das tat er auch: In den letzten zwanzig Minuten suchte der HSV wesentlich aktiver den Zugriff auf den Flügeln. Der HSV provozierte weiterhin Kiels Innenverteidiger, den Ball nach außen zu spielen. Dort schossen Leibold und Narey aber wesentlich aggressiver nach vorne. Gerade Leibold fing zahlreiche Pässe ab. Der HSV brach Kiels Dominanz. Von der 70. Minute bis zum Abpfiff lag der Hamburger Ballbesitzanteil bei 70%.

 

Dass Hecking in dieser Phase mit Bobby Wood (66., für Kittel) einen echten zweiten Stürmer brachte, war dem Spielstand angemessen. Der Wechsel sorgte jedoch für ein systematisches Loch: Mit drei zentralen Mittelfeldspielern war der HSV im Zentrum gut aufgestellt, sie konnten den Ball laufen lassen. Die entscheidenden Räume um den Strafraum blieben jedoch unbesetzt. Das galt sowohl für den Zehnerraum als auch für die Flügelpositionen. Der HSV konnte zwar Ball und Gegner laufen lassen. Gefährliche Bälle in den Strafraum blieben aber Mangelware.

Somit war der Ausgleichstreffer etwas glücklich; bis zur 80. Minute hatte der HSV gerade einmal sechs Schüsse abgegeben. Zum Schluss profitierten sie von einer Kieler Mannschaft, die zu passiv agierte. In einem 4-1-4-1 wollten sie die Führung über die Zeit retten anstatt auf den zweiten Treffer zu gehen. So konnte der HSV vermehrt Flanken in den Strafraum schlagen. Ein Eckball erlöste den HSV. 

Damit rehabilitierte sich der HSV ein Stück weit für das unnötige 1:1-Unentschieden gegen Wehen-Wiesbaden. Dieses Mal waren die Rollen verkehrt: Der HSV glich in Unterzahl spät aus. Man könnte sagen: Der HSV hat sich an Beispiel an den Wiesbadener genommen.

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