Marcus Scholz

24. September 2019

Er wird morgen wieder da sein. Weil er es will. So zumindest ist der Stand bei Trainer Dieter Hecking, der morgen um 10 und um 15.30 Uhr die Trainingseinheiten des HSV mit der Mannschaft leiten soll, die am Sonntag schon vor dem Spiel über die familiären Hintergründe Heckings informiert worden war. Dass auch sie sich zu 100 Prozent an den Wunsch ihres Trainers hielten, mit der Thematik nicht öffentlich zu werden - das spricht für das neue Miteinander beim HSV. Denn, und das kann ich aus der Vergangenheit aus eigener Erfahrung berichten, wenn es so viele Mitwisser gab, blieb so ein Thema bislang nie geheim. Im Gegenteil: Bislang gab es noch unter jedem Trainer der letzten 20 Jahre beim HSV immer mindestens einen Spieler, der so sauer war, dass meine Kollegen und ich davon erfuhren. Diesmal nicht. Und das spricht zum einen für die Mannschaft. Aber ganz sicher auch für den Trainer.

Denn der hat es hinbekommen, einen Kader mit mehr als 20 Spielern, die den Anspruch auf die Startelf erheben, bei Laune zu halten. „Es geht immer auch darum, wie ich mit der Mannschaft kommuniziere, wie ich mit dem einzelnen Spieler umgehe“, hatte Hecking im Trainingslager in Österreich gesagt, als wir ihn auf die Kaderbreite und den hohen Konkurrenzkampf angesprochen hatten. Sein Ziel sei es dabei immer, die beste Mannschaft zu finden und aufzustellen. „Aber bevor wir das machen, versuchen wir in der täglichen Arbeit alle unsere Spieler besser zu machen. Sobald alle - also auch die Spieler - erkennen, dass es hier nur dann für alle besser werden kann, wenn wir alle zusammenarbeiten, dann wird es auch gut.“

Das neue Miteinander - es wird von oben vorgelebt

Worte, die die Mannschaft aufsaugt - weil es ihnen endlich vorgelebt wird. Denn Fakt ist, dass der HSV mit dem neuen Trainerteam und dem neuen Sportvorstand sowie der neuen Scoutingabteilung eine Einheit bildet. „Wir können nur erwarten, was wir selbst vorleben“, sagte Sportvorstand Jonas Boldt, der auch bei der Kaderplanung eine enge Einheit mit dem Trainer und seinem Team gebildet hat. Dafür habe man unter anderem die vielen Abenden an der Hotelbar genutzt, an denen man noch Haus- bzw. Wohnung suchend im Mannschaftshotel „Grand Elysee“ gewohnt habe. Und wenn meine Informationen stimmen, entstand dadurch auch ein sehr interessantes Wechselspiel zwischen Trainer und Sportvorstand. Mittendrin: Vorstandsboss Bernd Hoffmann.

Zugetragen hat sich das Ganze im Mannschaftshotel „Das Tirol“ im Trainingslager in Kitzbühel, nachdem der Vorstandsboss samt Aufsichtsratsboss Max Köttgen angereist war. Am Abend saßen die sportlich Verantwortlichen um Boldt und Hecking mit den wirtschaftlich Verantwortlichen zusammen. Und sie diskutierten. Über den Stand der Kaderplanung und die Ziele. Hecking selbst zeigte sich relativ zufrieden mit dem Stand der Kaderplanung. Aber eben nur relativ. Er sprach aber davon, dass man so den Aufstieg sicher ins Auge fassen könnte - allerdings erst in den nächsten zwei, drei Jahren. Und genau dieser Zusatz gefiel Hoffmann überhaupt nicht. Er untermauerte noch einmal mit deutlichen Worten, dass es das Ziel des HSV sein muss, diese Saison wieder aufzusteigen. Also nicht erst in ein paar Jahren, woraufhin Hecking und Boldt noch einmal darlegten, weshalb man dafür dann aber personell noch einmal nachlegen müsse bzw., weshalb man dafür den Etat eben doch noch weiter ausreizen müsse. Alles in dem Wissen, mit Harnik und Letschert noch zwei erfahrene Spieler in der Hinterhand zu haben.

Hecking und Boldt bilden eine Einheit, die erfolgreich werden kann

Mit Erfolg. Der Kader wurde nach dem Trainingslager noch einmal ergänzt, man legte einen guten Saisonstart hin und die Bande zwischen dem sportlich obersten Verantwortlichen - Jonas Boldt - und seinem sportlich wichtigsten Mitarbeiter, Trainer Dieter Hecking, ist so eng und zielorientiert wie lange nicht. Letztes Beispiel dafür war die gemeinsame Wortfindung im Umgang mit dem Thema Bakery Jatta, bei dem sich nicht alle beim HSV von Vornherein sicher waren, dass es richtig sei, sich bedingungslos zum Spieler zu bekennen. Für Hecking und Boldt war das keine Frage. Sie stellten sich hinter Jatta, setzten ihn ein - und sie überzeugten auch ihre anderen Mitstreiter im Klub. Ein Umgang, für den der HSV bundesweit großes Lob erntete und verloren gegangene Sympathien zurückgewann.

 

Mehr noch: Der HSV hat sein seit Jahren angekratztes Image aufpoliert - was auch für den Fall gelten wird, wenn Jatta doch irgendwann alles das nachgewiesen werden kann, was man ihm vorgeworfen hat. Denn eines bliebe davon selbst dann unberührt: Dass es richtig war und ist, so lange bedingungslos zu seinem Spieler zu stehen, wie dieser als Mitglied dieser HSV-Familie seine Unschuld beteuert. Nur das demonstriert die Einheit, die dieser HSV seit vielen Jahren nicht mehr gehabt zu haben schien und die man braucht, um hier in Hamburg irgendwann wieder Erfolge zu feiern. denn wo es hinführt, wenn man sich intern nicht über en Weg traut, wissen wir alle nur zu gut.

Der HSV hat sein Image aufpoliert und Werte geschaffen

Von daher darf man für den Moment festhalten, dass der HSV die Gunst der Stunde genutzt hat, um seinen propagierten Neuanfang sowohl personell als auch in eine Neuausrichtung der Werte umzusetzen. Werte, die mir persönlich sehr sympathisch sind und die es weiterhin gilt, zu pflegen. Denn wir alle wissen, wie schnell es gehen kann, wenn Misserfolg dazu führt, dass Personen und ihre Positionen hinterfragt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass in einem Multimillionen-Unternehmen wirklich alle zusammenhalten, auch wenn es mal schwieriger wird, ist gering. In solchen Fällen gibt es immer wieder (Bauern-)Opfer. Erst dann wird sich zeigen, wie stabil dieses neue Konstrukt wirklich ist. Und ich hoffe, dass alle Verantwortlichen in dem Moment erkennen und vor allem auch erinnern, dass es sich für alle lohnt, wenn man auch dann zusammenhält und nicht versucht, sich ggf. auf Kosten anderer schnell selbst zu retten. Vielmehr geht es genau dann darum, sich an die guten Beispiele wie eben den Umgang mit Jatta oder dem Tod von Heckings Vater Wilfried zu erinnern.

Und ich kann Euch versprechen, dass ich mich auch dann positiv darüber äußern würde, wenn das dazu führt, dass ich die eine oder andere interne Information weniger von Spielern und/oder Verantwortlichen gesteckt bekomme. Denn ich habe in den letzten 20 Jahren als HSV-Reporter mehr Egoisten als Teamplayer beim HSV erlebt. Der HSV war immer wieder durchsetzt mit Verantwortungsträgern, die weniger selbst Verantwortung übernahmen als die Verantwortung für Fehler schnell anderen zuzuschieben. Das „Rette-sich-wer-kann“-Syndrom gehörte hier zum guten Ton. Und obgleich ich noch für keinen der aktuellen Verantwortungsträger meine Hand ins Feuer legen würde und die Etablierung dieser oben genannten neuen Werte aufgrund der Erfahrung aus den letzten Jahren eher unwahrscheinlich ist, so hoffe ich doch, dass die positiven Ergebnisse der letzten Wochen und Monate den HSV-Verantwortlichen deutlich gezeigt haben, dass man im knallharten Profifußball auch dann erfolgreich arbeiten kann, wenn man ehrlich miteinander umgeht. Mehr noch: Das kann schlimmstenfalls sogar dafür sorgen, dass der HSV erfolgreich ist und auf Führungsebene und auf dem Trainerposten Konstanz erreicht. Eben diese Konstanz, die man hier zuletzt so erfolglos propagierte, wie man bis vor kurzem auch noch von dem jetzt endlich/erst umgesetzten Umbruch sprach…

 

Entschuldigt, aber diese Gedanken trage ich tatsächlich schon sehr lange mit mir rum. Ich war mir bis vor Kurzem allerdings noch sicher, dass ich sie für ganz lange Zeit (vielleicht für immer) nicht äußern werden könnte, ohne mich damit als hoffnungslos naiv zu outen. Aber jetzt, wo es zumindest diesen kleinen Funken Hoffnung namens Hecking, Boldt und Co. gibt, da musste ich diese Gedanken einfach mal loswerden.

In diesem Sinne, bis morgen! Da melde ich mich um 7.30 Uhr natürlich wieder mit dem MorningCall bei Euch und werde Euch am Abend von den beiden Trainingseinheiten (10 und 15.30 Uhr) berichten, die öffentlich sein werden.

Scholle

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