Marcus Scholz

15. April 2018

Dieser Dauer-Nieselregen ist wirklich nicht stimmungsfördernd. Gestern ein eklig verregneter Sonnabend, dazu das ebenso bittere wie verdiente 0:2 in Hoffenheim – und auch heute will das Wetter einen irgendwie nicht aufheitern. Zumal dann nicht, wenn man mit dem HSV mitleidet. Wobei die Stimmung auf unserer Facebookseite noch sehr zweigeteilt ist. Für die einen ist der Abstieg besiegelt. Die anderen versuchen dagegen, das Positive aus dem Spiel bei sehr starken Hoffenheimern zu ziehen, um den letzten Funken Hoffnung zu pflegen. Und beides ist legitim, da der Abstieg immer wahrscheinlicher wird. Allein faktisch ist eine Rettung noch möglich – und so lange es so ist, sollten auch alle sportlich Verantwortlichen alles daran setzen, das zu erreichen.

So, wie Titz es heute noch einmal formulierte. Und auch ich sehe den Moment tatsächlich als die größte Chance der letzten Jahre, endlich zu gesunden. Nicht, weil „der Abstieg dem HSV guttut“. Denn der Abstieg allein ist erst einmal nichts anderes als große Sch.... Nein, mir geht es allein um den Moment, der unendlich viele Chancen mit sich bringt – aber dazu am Ende mehr...

Dass parallel zur Hoffnung und dem Einsatz bis zum Ende die Kaderplanung für die kommende Saison zweigleisig vorangetrieben werden muss – ganz klar. Wobei sich das, was zunächst sehr schwierig ist, am Ende für diesen unbelehrbaren, in eine Art Winterschlaf versetzten Bundesliga-Riesen als Glücksfall entpuppen kann. Denn das erste Mal ist der HSV tatsächlich gezwungen, das Richtige zu machen und in realistischen Relationen zu denken. Der HSV wäre endlich in der Situation, aus der Not eine Tugend machen zu müssen. Und das muss er auch dann, wenn Klaus Michael Kühne sich erneut großherzig zeigt und einen hohen Millionenbetrag anbietet. Denn dann könnten die Verantwortlichen tatsächlich mal unter Beweis stellen, dass sie den Neuangfang wirklich wollen und umsetzen. Eben genau so, wie vor der Präsidenten-Wahl von Bernd Hoffmann angekündigt.

Johannes Spors ist als Chefscout aktuell dabei, sich sein altes Leipziger Netzwerk zusammenzuhalten und zu ergänzen. Neue Gelder wurden ihm dafür noch nicht bereitgestellt – aber avisiert. Und das ist gut. Ich weiß gar nicht, wie oft das hier (und anderswo) schon geschrieben wurde, aber für Vereine mit Geldproblemen, zu denen sich der HSV ganz dezent zählen darf, kann es nur die Lösung über bestes Nachwuchs-Scouting geben. Auch dann, wenn ein Investor und Mäzen wie Klaus Michael Kühne dafür keine Geduld hat.

Zuletzt hieß es immer wieder, der Milliardär wolle den kürzesten Weg zum Erfolg gehen. Auch, wenn dieser teurer würde. Das Problem dabei: Kühne vertraute den HSV-Vorsitzenden nicht. Vorstandsvorsitzende wie Carl Jarchow, Dietmar Beiersdorfer und auch Heribert Bruchhagen (dessen Kontakt zu Kühne aufs Minimalste beschränkt war) hatten immer wieder hohe Millionenbeträge bekommen und diese wenig bis gar nicht erfolgsbringend in neue Spieler investiert. Auch, weil die Vorstände darauf spekulierten, dass es am Ende schon irgendwie Gelder geben würde von Herrn Kühne. Schließlich wolle der ja auch nicht absteigen...

Nein, die Vorstände in Hamburg inklusive ihrer Sportchefs waren einfach nicht „findiger, schneller und besser“ als die anderen, sondern genau das Gegenteil: Sie wurden gemütlich. Und auch das führte zum vertrauensbrich mit Klaus Michael Kühne, der sich seit längerem persönlich den alles andere als selbstlosen Rat vom geschäftlich erfolgreichsten deutschen Spieleragenten einholt: Volker Struth. Und ohne die Vorstände in Schutz nehmen zu wollen muss dazu gesagt werden, dass der HSV nie einfach die Millionen in die Hand bekommen hat und frei einkaufen konnte.

Immer wieder hatte Klaus Michael Kühne direkt oder über seinen Berater Volker Struth Bedingungen mit den Millionengaben verknüpft. Ein Modell, das vorn wie hinten nicht funktionierte und dazu führte, dass unfassbare Summen sinnfrei verbrannt wurden. Zum einen, weil plötzlich Außenstehende aus persönlichen Interessen massiv Einfluss auf die Kaderplanungen des HSV nahmen. Zum anderen, weil dieser Weg der schnellen Kühne-Millionen intern den Aufbau eines funktionierend Profi-Modells weiter verzögerten bzw. sogar gänzlich verhinderten. „Herr Kühne nimmt keinen Einfluss auf das operative Geschäft“, hatten die Jarchows, Beiersdorfers und Bruchhagens immer wieder betont. Und auch Bernd Hoffmann hat im Zuge seiner Wahl klar geäußert, wie er sein Amt wahrnehmen wolle und was er von dem nächsten Vorstandsvorsitzenden erwarte: „Alle operativen Entscheidungen werden im Volkspark getroffen.“ Hoffen wir mal, das aus den Worthülsen der letzten Jahre endlich Wahrheit wird.

Womit ich wieder auf die Zwangssituation zurückkomme, kleiner denken zu müssen als in den letzten Jahren. Internationaler Fußball ist beim HSV derzeit so weit weg, wie der seit Freitag am Knöchel verletzte und aussortierte Dennis Diekmeier von einem Stammplatz unter Titz. Das oberste Regal Zweite Liga mit vermehrt perspektivischen Zugängen muss der Maßstab sein, an dem sich die Kaderplanungen zu orientieren haben. Sollte am Ende doch noch das Wunder geschafft werden, hätte man zumindest einen Grundstock für einen echten Neuaufbau geschaffen, den man gegebenenfalls mit Hilfe von Klaus Michael Kühne so aufstocken könnte, dass eine gesunde Mischung aus jungen Talenten mit leistungsstraken Führungsspielern gefunden wird. Denn dann hätte man zum einen den Nebeneffekt, den Spieleretat herunterfahren zu können, ohne sich erneut zu sehr in die Schuld seines Investors zu bringen. Zumindest aber bestünde die Chance, dass man Talente zu gestandenen Bundesligaspielern macht und sie im Bedarfsfall gewinnbringend verkaufen kann, um mit einem Teil der Einnahmen neue Toptalente zu ködern.

Es wäre so etwas wie das Modell Freiburg mit Klaus Michael Kühne als Katalysator. Zumindest wäre es ein Modell, dass eine finanzielle Selbstheilung auf (sehr) lange Sicht in Aussicht stellt. Und der Moment dafür ist perfekt – womit ich auf meine Einleitung zurückkommen möchte. Denn wenn der HSV die aktuelle Stimmung maximal für sich nutzen will und alle Anhänger auf diesen beschwerlichen Weg einstimmt, dann werden diese folgen. Ich behaupte sogar, der Zusammenhalt würde noch einmal wachsen, weil es endlich ein „gemeinsamer Weg“ würde. Nicht mehr der von den Multimillionären auf dem Rasen und den hoch bezahlten Vorständen, die die Ticketpreise erhöhen, um die Spieler und sich trotz fehlender sportlicher Leistung noch reicher zu machen.

Nein, endlich würde ein sinnvoller Neuaufbau begonnen, der den HSV auch von seinen Fans abhängig macht und diesen eine große Verantwortung zukommen lässt. Kurz gesagt: Man würde seine Fans endlich richtig „mitnehmen“. Dass diese mit derartigen Erwartungen umgehen können, haben sie in den letzten Jahren mit ihrer unfassbaren Leidensfähigkeit bewiesen und nicht zuletzt gestern in Hoffenheim nach Abpfiff demonstriert:

Anstatt die Mannschaft auszupfeifen wie unter Markus Gisdol und Bernd Hollerbach registrieren sie, dass die Mannschaft alles gibt und Fortschritte macht. Trotz der Niederlage wurde die Mannschaft gefeiert und aufgemuntert. Der Schulterschluss scheint endlich wieder da zu sein. Zweifelsfrei auch dank des neuen Trainers, der diese Aufbruchsstimmung mit seinen personellen und sportlichen Entscheidungen überhaupt erst erzeigt hat. Titz ist aktuell das Gesicht, das dieser HSV braucht, wenn er es mit dem seit Jahren proklamierten Neuanfang wirklich ernst meint. Unabhängig vom Saisonausgang. Von daher will ich aktuell nicht in der Haut vom letzten Vorstand Frank Wettstein und dem neuen Aufsichtsratsboss Bernd Hoffmann stecken.

Wobei – Blödsinn! Eigentlich doch...!

Denn was bitteschön ist denn reizvoller, als diesen seit Jahren dahinsiechenden, einstigen Fußballriesen wieder aufzubauen und seine zweifelsfrei vorhandenen Ressourcen neu zu sortieren und sinnvoll einzusetzen. Die kurzfristigen Erwartungen haben Hoffmanns und Wettsteins Vorgänger in den letzten Jahren so unfassbar tief gehängt, dass alles Neue hier schon allen ob seiner Neuheit gefeiert wird. Und wann bitteschön können ehrgeizige Manager mehr beweisen, was sie wirklich drauf haben, wenn nicht jetzt bei einem solchen Neuanfang?

In diesem Sinne: Ich wünsche den HSV-Verantwortlichen endlich den Mut, das umzusetzen, was hier immer wieder angekündigt wurde. Denn so beschissen die sportliche Situation ob des drohenden Abstiegs auch ist – sie ist für diesen HSV die mit Abstand größte Chance der letzten Jahre, endlich wieder ein gesunder, gut geführter und auf Sicht auch wieder erfolgreicher Fußballverein zu werden.

Und bevor ich Euch in den Sonntagabend entlasse, noch zum sportlich-aktuellen: Diekmeier fällt nach seinem Zusammenprall mit Gideon Jung im Abschlusstraining vor dem Hoffenheim-Spiel vorerst aus. Zudem äußerte Titz heute zu der Situation, dass Mainz morgen auf bis zu acht Punkte davonziehen könnte, eine interessante These. „Natürlich wäre das schlecht“, so der HSV-Trainer, der das Spiel live nur partiell angucken, dafür anschließend ohne Emotionen noch mal die gesamten 90 Minuten schauen will. „Andererseits wäre die Situation dann so, dass plötzlich drei Teams 30 Punkte hätten und sich gegenseitig unter Druck setzen. Dann passieren auch immer wieder Dinge, die schwer erklärbar sind.“ Wünschen würde aber auch Titz sich letztlich, dass Freiburg gewinnt. Nun denn...

Bis morgen. Da ist trainingsfrei. Weiter geht es am Dienstag um 10 Uhr. Bis dahin!

Scholle

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