Marcus Scholz

23. Juni 2018

Die Zahlen sind eigentlich aussagekräftig genug: 5500 neue Mitgliedsanträge seit dem Abstieg und inzwischen sogar rund 25.000 verkaufte Dauerkarten machen deutlich, dass der HSV zwar in der Liga abgestiegen, bei den eigenen Anhängern aber gleichbleibend hoch im Kurs steht. Und so verwundert es auch nicht, dass trotz Nieselregens heute mehr als 1500 Fans den Weg zum ersten öffentlichen Training  der Saison 2018/2019 in den Volkspark fanden. Und sie hielten durch, warteten knapp 30 Minuten auf die Mannschaft, um sie dann unter den Gesängen der „Psyko Crew“ mit großem Applaus zu empfangen. Teilweise sogar mit Sonderapplaus, wie im Fall Pierre Michel Lasoggas, der sich dafür artig bedankte.

Es war schon eine etwas unwirkliche Szenerie heute. Der HSV selbst übertrug das Training sogar live vom Spielfeldrand und führte Interviews. Es war eben alles irgendwie anders als sonst. Auch auf dem Platz. Denn da wimmelte es nur so von Spielern, die man in der Ersten Liga noch nicht für den HSV hat spielen sehen. Es waren sogar so viele, dass den meisten gar nicht auffiel, dass unter den Spielern auch einer war, der das allererste Mal dabei war: Testspieler Andreas Ivan. Der Rumäne ist Außenstürmer und traf in der vergangenen Saison achtmal in der Regionalliga für Waldhof Mannheim. Aktuell ist er vertragslos – also voll im Beuteschema des Low-Budget-Managers Ralf Becker, der sich zusammen mit Chefscout Johannes Spors die Einheit ansah und dabei auch sah, dass Ian ordentlich mitmachte – aber auch nicht besonders auffiel.

Insgesamt war heute naturgemäß noch nicht allzu viel Spielfluss zu erkennen. Nach vier Wochen Pause und vielen neuen Gesichtern fehlt die Eingespieltheit. Auch deshalb ließ Trainer Christian Titz („Ich trainiere so lange, wie es dauert, alles umzusetzen“) heute gleich bei der ersten öffentlichen Einheit nachsitzen. 2:20 Stunden scheuchte er seine (jungen) Männer über den Platz. Zu lang für knapp die Hälfte aller Fans, die bei grauem Schmuddelwetter das Training vorzeitig beendeten. Interessant: Bei vielen Trikotträgern/-innen war unter dem HSV-Trikot schon das DFB-Trikot zu sehen. Erste Halbzeit HSV – zweite Halbzeit DFB-Elf unterstützen. Ist auch mein Plan für heute.

Und deshalb werde ich hier auch nicht allzu ausufernd von einer sportlich eher unauffälligen Einheit berichten, in der die Neuen erste Eindrücke hinterlassen konnten, logisch. Aber wirklich aussagekräftig war das Taktiktraining (Titz ließ offensiv wie defensiv Laufwege einstudieren und unterbrach dabei sehr häufig, um zu korrigieren) noch nicht. David Bates demonstrierte, dass er der eher rustikale Verteidigertyp ist, Manuel Wintzheimer agierte mit hohem Tempo, aber ohne Fortune. Und Christoph Moritz war bemüht, in seinem Team beim Anschlussspiel die Schaltzentrale zu übernehmen und zeigte, wie ballfertig er ist. Allerdings blieb auch er im Schatten des wahrscheinlich besten, hier gebliebenen Fußballers im Team: Douglas Santos.

Den Linksverteidiger mit in die Zweite Liga zu nehmen ist ein Luxus, den ich erhofft, aber nicht erwartet hatte. Santos selbst hatte gegenüber den HSV-Verantwortlichen erklärt, gern erstklassig weiterspielen zu wollen. Und ehrlich gesagt war ich fest davon ausgegangen, dass es dafür genügend interessierte Vereine geben müsste. Aber obwohl das natürlich alles noch immer passieren kann, scheint sich der beste HSV-Spieler der letzten Saison mit dem Szenario Zweite Liga zu arrangieren.

Ebenso wie Pierre Michel Lasogga, bei dem heute Zahlen öffentlich wurden, die er lieber nicht veröffentlicht sehen würde. Neben seinen 3,5 Millionen Euro Jahresgehalt erhält der Angreifer 15.000 Euro pro Punkt. Eine für uns unvorstellbare Summe, klar. Aber tatsächlich war diese Summe beim HSV üblich. Johan Djourou erhielt beispielsweise ebenfalls 15.000 Euro, Lewis Holtby bis zur Vertragsverlängerung ebenso, während der damals noch junge Kerem Demirbay 12.000 und ein Maxi Beister sogar 10.000 Euro pro Punkt erhielt. Und diese  Beispiele lassen sich zahllos weiterführen. Das größte Problem an der Zahl bei Lasogga: Es gibt hierfür keine verringernde Zweitligaklausel.

Und das ist nicht die Schuld des Spielers sondern des Vereines, der diesen Vertrag seinerzeit durch Dietmar Beiersdorfer ausverhandeln ließ. Zweifelsfrei ein Erbe, das dem HSV heute teuer zu stehen kommt. Allerdings muss man bei dieser Dauerdiskussion - auch hier im Blog - erwähnen, dass die Vertragsverlängerung im Jahr 2014 fast alternativlos war. Hätte Beiersdorfer den damaligen Retter aus der Vorsaison (13 Tore und Torschütze in der Relegation) nicht halten können, er wäre dafür öffentlich angezählt worden. Insofern war die Verpflichtung des Leihspielers von Hertha BSC Berlin fast alternativlos – allerdings auch viel zu teuer...

Was vielen nicht bekannt ist: 2014, zum Zeitpunkt der Verhandlungen mit Lasogga, gab es das erste kontroverse Stelldichein zwischen Investor und Mäzen Klaus Michael Kühne mit Dietmar Beiersdorfer. Inhalt war die Diskussion um Hakan Calhanoglu. Der Mittelfeldspieler wollte seinen Weggang zu Bayer Leverkusen erpressen und der HSV blieb hart, beharrte auf seinen Vertrag. Parallel dazu versuchte Beiersdorfer, Gelder für die Verpflichtung Lasoggas aufzutreiben und forderte die zugesagten Millionen von Kühne ein, die ihm dieser im Zuge seiner Einstellung als Vorstandsboss einige Monate zuvor in Aussicht gestellt hatte. Kühne allerdings zögerte, obwohl er Calhanoglu unbedingt halten wollte.

Problem damals: Calhanoglus Verkauf hätte dem HSV auf die Schnelle die Millionen eingebracht, die man für Lasogga brauchte. Das erklärte Beiersdorfer so auch Kühne – zunächst ohne Wirkung. Denn Kühne glaubte nicht, dass der HSV den Mittelfeldspieler tatsächlich verkaufen würde. Und er täuschte sich: Beiersdorfer stimmte dem Verkauf Calhanoglus widerwillig zu, um Lasogga zu finanzieren. Und ich behaupte: Es ging dem damaligen HSV-Boss vor allem auch darum, Kühne aufzuzeigen, dass er nicht machen könne, was er wolle. Interessant: In dem Moment, in dem der HSV den Verkauf Calhanoglus veröffentlichte, teilte Kühne Beiersdorfer mit, das Geld doch sofort geben zu wollen und darum zu bitten, Calhanoglu zu halten. Zu spät.

Und wie so oft, wenn beim HSV Eitelkeiten der Verantwortlichen das Handeln bestimmen, verliert am Ende vor allem einer: der HSV. Manchmal eben auch langfristig (sehr viel) Geld...

Verlieren ist heute indes verboten, wenn die Deutsche Nationalelf ins Achtelfinale einziehen will. Gegen Schweden muss um 20 Uhr ein Sieg her. In diesem Sinne: Daumen drücken! Dafür, dass der HSV aus seinen Fehlern lernt und der Fanzuspruch mit sportlicher Entwicklung belohnt wird. Und natürlich für Manuel Neuer, Toni Kroos, Marco Reus und Co.!

Bis morgen! Dann übrigen schon aus Glücksburg. Nach der öffentlichen 10-Uhr-Einheit am Volkspark geht es für die Mannschaft von Trainer Christian Titz ins erste von zwei Trainingslagern in dieser Vorbereitung!

 

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