Marcus Scholz

28. August 2019

„Da kommt er“, rief ein kleiner Junge im rosa Auswärtstrikot, als Bakery Jatta um 15.48 Uhr an der Seite von Tom Mickel die Treppen zum Trainingsplatz hinunterstiefelte.  Im Nachhinein habe ich mich geärgert, den Jungen nicht nach seinem Namen und seinem Alter gefragt zu haben, aber entscheidend sind diese Rahmendaten wie so oft im Leben auch in diesem Fall nicht. Viel wichtiger war meiner Meinung nach, dass der von mir frei auf fünf- oder sechs Jahre geschätzte Junge ganz offenbar das Bedürfnis hatte, Jatta unterstützen zu müssen. Er war es dann auch, der den Applaus anstimmte – und viele der wartenden  Anhänger machten es ihm gleich. Sehr zur Freude des Beklatschten, der sich mit einer Geste bei den Anhängern bedankte. Wie beim Beten faltete er die Hände. Und so cool der Gambier auch wirken mag, das Thema lässt ihn definitiv nicht kalt. Verständlicherweise.

Zumal heute eine neue Stufe der Eskalation gezündet und der Faktor Sport meiner Meinung nach auch faktisch endgültig aus der gesamten „Causa Jatta“ geprügelt würde. Der 1. FC Nürnberg, der gestern in Person des Vorstandes Robert Palikuca (gegenüber der Welt) und des stellvertretenden Aufsichtsratsbosses Stefan Müller (der Rautenperle  gegenüber) dementiert hatte, Rechercheure nach Gambia geschickt zu haben, soll laut der heute erschienenen SportBILD einen „Kronzeugen“ gefunden haben, der den Beweis antreten soll, dass Bakery Jatta eben nicht Jatta sondern in Wirklichkeit Daffeh heißt.

Eine neue Stufe der Eskalation - der FCN benennt "Kronzeugen"

Dass man hier von einem Kronzeugen (Definition hier) spricht, passt komplett in die Art der bisherigen, verunsachlichten Berichterstattung.  Sie war, ist und wird immer unsachlicher und emotionaler. Auch dafür ist der kleine HSV-Fan ein Beweis. Denn ich würde wetten, dass er mit seinen jungen Jahren den komplexen Sachverhalt um Jatta herum nicht verstanden hat. Er mag einfach den Fußballer Jatta gern.  Und er hatte das Bedürfnis, Jatta beizustehen.„Kinder an die Macht“, sang Herbert Grönemeyer mal in einem früheren Lied – und er plädierte darin, wieder menschlicher zu handeln, menschlicher zu entscheiden und vor allem menschlich miteinander umzugehen.  So, wie es Kinder eben tun – friedliebend und gerecht.

Aber darum geht es in der Causa Jatta nur noch peripher.  Dank des DFB, der es verpasst hat, die Grenze zwischen dem sportlichen Teil der Causa Jatta und der politischen Seite der Causa Jatta zu ziehen.  Wie der DFB das hätte machen sollen? Ganz einfach: Sportlich hätte der DFB allen klar machen können, dass jeder Protest aus sportlicher Sicht im Sande verläuft. Denn: Jatta arbeitet aktuell mit gültigen Papieren, die von den Behörden geprüft wurden. Dem HSV ist kein Fehlverhalten anzulasten. Ergo: DFB-sportrechtlich darf es keine Konsequenzen für den HSV geben – und damit auch keine Motivation für andere Vereine, Protest gegen Spielwertungen einzulegen. Hätte der DFB hier seine Verantwortung wahrgenommen, wäre sicher auch kein Nürnberger Verantwortlicher auf die Idee gekommen, nach „Kronzeugen“ zu suchen. Wozu auch...? Fakt ist: Alles, was dieser senegalesische Trainer als Zeuge aussagen könnte, würde für Jatta belastend. Ausschließlich. Jatta läuft Gefahr, seine Aufenthaltsgenehmigung zu verlieren, wenn die Angaben des Zeugen nachweislich stimmen.

Wo Politik und Sport nicht mehr getrennt werden

Aber ist es die Aufgabe des 1. FC Nürnberg, den Flüchtlingsstatus eines in Deutschland lebenden zu hinterfragen? Nein! Absolut nicht! Vor allem: Wo soll das Ganze denn dann noch hinführen? Gibt es dann eventuell bald „Investigativ-Ressorts“ bei Fußballklubs, die nichts anderes machen, als nach Flüchtlingen oder anderen Spielern bei gegnerischen Klubs zu forschen, die eventuell falsche Namens- oder Altersangaben gemacht haben? Dann wäre das Ganze plötzlich genau das, was es jetzt auch ist: Das Alibi für Vereine, sich auf Kosten des jeweiligen Spielers einen Punktevorteil zu verschaffen, den sie sportlich verloren haben. Und das alles auch noch mit dem vom DFB noch immer nicht entkräfteten Argument, das ja tun zu müssen, um sich rechtlich abzusichern. Ein scheinheiliges Argument – sagt mir mein Bauchgefühl, meine Moral. Aber ein leider juristisch nicht zu entkräftendes Argument.

Für mich wird auf jeden Fall eines klar: Die Verantwortlichen des DFB können und dürfen sich nie wieder hinstellen und behaupten, dass Politik und Sport getrennt gehören. Denn sie sind es, die genau das nicht schaffen.  Schlimmer noch: Sie fördern diese zu verurteilende Vermischung mit ihrem Nichtstun. Sie motivieren Klubs sogar noch dazu, gegen einen Flüchtling zu ermitteln.

Und dafür sollten sie sich schämen. Der DFB vorneweg – und die recherchierenden Klubs gleich hinterher.

Und dann noch ein Wort zum 1. FC Nürnberg. Dessen stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden Stefan Müller hatte ich gestern zu diesem Thema befragt. Seine dementierenden Aussagen und der Umstand, dass er mich heute an den Vorstand verwies und seine eigene Aussage verweigerte,  haben angesichts der heutigen SportBILD-Geschichte ein deftiges Geschmäckle bekommen. Müllers langjährige geschäftliche Verbindung als Marketing-Dienstleister für die BILD- und dementsprechend auch SportBILD-Gruppe nicht weniger. Denn: Hier wurde oder wird zumindest aktuell ein Doppelpass zwischen Zeitung und Klub gespielt, der beiden hilft. Der SportBILD, weil sie mit zusätzlichen Mitstreitern die Wahrscheinlichkeit erhöhen, Beweise für ihre vor drei Wochen aufgestellten und noch immer unbewiesenen Thesen zu finden. Und den 1. FC Nürnberg, der auf Infos des Recherche-Teams des Magazins zurückgreifen kann, um so vielleicht doch noch Punkte zu bekommen, die verloren scheinen. Ein wahrhaft krankes Szenario, das längst keine humanitären Themen mehr berücksichtigt.

Auch deshalb bleibe ich aus sportlicher Sicht dabei: Unabhängig davon, ob seine Namens- und Altersangaben korrekt waren, darf der Mensch Bakery Jatta nicht so rechtelos allein gelassen werden von dem größten Dachverband der Welt, der sich selbst damit international brüstet, vollständige Integration von Flüchtlingen als Leitbild zu leben. Nein, der werte Herr Anton Nachreiner, seines Zeichens Kontrollauschussvorsitzender des DFB, darf stattdessen „stolz“ von sich und seinesgleichen behaupten, einem Flüchtling wider seiner Möglichkeit nicht geholfen zu haben. „Powered by the DFB“ - also gefördert von dem Dachverband, der sich vollständige Integration von Flüchtlingen als Leitbild auf die Fahnen schreibt, wird hier ein Flüchtling öffentlich zum Spielball. Und: Scheißegal, welche Folgen das Ganze hat, mischt sich der ach so unpolitische Deutsche Fußball-Bund (DFB) hier sehenden Auges in die Politik ein. Mehr Doppelmoral geht nicht.

 

Und, nur um noch mal sicher zu gehen, dass mich niemand falsch versteht: Sollte Jatta wirklich gelogen haben, muss er sich den rechtlichen Konsequenzen der Bundesrepublik genau so stellen, wie alle anderen Menschen in diesem Land auch. Punkt. Aber: Es ist schlichtweg nicht die Aufgabe des DFB und/oder der Klubs, das zu hinterfragen geschweige denn hier zu recherchieren. Dafür haben wir ausreichend große und bestens ausgerüstete Behörden, die dafür zuständig sind. Eben jene Behörden, die Bakery Jatta bei dessen Einreise überprüft und ihm gültige Papiere ausgestellt hatten.

Hunt ist wieder fit - und könnte gegen Hannover schon spielen

Sportlich wurde es heute Nachmittag übrigens auch wieder. Zumindest ein wenig. Nach einer 50 Minuten dauernden Videoanalyse des letzten Spiels ging es auf den Platz. Und das mit Aaron Hunt, der nach drei Wochen wieder ins Mannschaftstraining eingestiegen ist und einen frischen Eindruck vermittelte. „Wenn alles glatt läuft, wäre er am Sonntag wieder dabei“, sagte Trainer Dieter Hecking im Anschluss erfreut.

In diesem Sinne, bis morgen! Da wird um 10 Uhr am Volksparkstadion trainiert. Also genau zweienhalb Stunden nach dem MorningCall, den ich wieder pünktlich um 7.30 Uhr für Euch fertig haben werde. Bis dahin!

Scholle

 

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