Marcus Scholz

8. Juli 2020

In den nächsten Tagen sollen noch einmal private Dinge in der Heimat Osnabrück geklärt werden. Unter anderem steht noch ein spannender Termin bei Osnabrücks Oberbürgermeister an. Wolfgang Griesert (CDU) hatte beim VfL angefragt, ob trotz des Wechsels zum HSV ein Treffen mit Daniel Thioune organisierbar sei – und der neue HSV-Trainer will und wird diesem Ruf folgen. Er wird damit nach seinem Eintrag ins Goldene Buch 2019 nach dem Zweitligaaufstieg ein zweites Mal die große Ehre erfahren – was noch einmal verdeutlicht, welche Bedeutung sich Thioune in seiner Heimat erarbeitet und welchen Stand er sich aufgebaut hat. Viel los also für den 45-Jährigen, der „ein paar Tage durchschnaufen“ wolle nach den ersten Tagen in Hamburg, in denen er sich mit der sportlichen Leitung inhaltlich noch einmal intensiv ausgetauscht, auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt und sich den Fragen der Journalisten in etlichen Gesprächen gestellt hatte.

Richtig weitergehen soll es dann am 27. oder 28. Juli, wenn Thioune wieder zurück in Hamburg sein will, um hier sein neues Umfeld besser kennenzulernen und letzte Themen für die Sommervorbereitungen anzuschieben. Inklusive Kaderplanungen. Womit ich zu dem Punkt kommen will, der in den nächsten Wochen schon demonstrieren wird, inwieweit das (auch von mir hier) viel gelobte theoretische Konstrukt Thiounes auch in die Tat umgesetzt wird. Intern hat sich der neue HSV-Trainer schon dafür stark gemacht, nur Spieler zu verpflichten und zu halten, die sich selbst nicht über die Mannschaft stellen. Und da es nicht so ist, dass sich die Spieler per Akklamation als solche outen, haben Sportvorstand Jonas Boldt, Sportdirektor Michael Mutzel und Thioune sowohl den Ist-Bestand als auch das analysiert, was diesem Kader fehlt. Immer ganz oben auf der Prioritätenliste: Spieler, die sich nicht über die Mannschaft stellen. Spieler, die sich verbessern wollen. Unabhängig davon, ob sie 1000 Profispiele oder noch keines haben. So hatte es Thioune schon auf der Pressekonferenz deutlich gemacht: Es geht bei ihm nur über die Gemeinschaft.

David als erster, kleiner Schritt in die richtige Richtung

Ein erster kleiner Schritt wurde heute schon getan. Jonas David verlängerte seinen Vertrag beim HSV bis 2024. Die Verhandlungen waren schon seit längerer Zeit nahezu abgeschlossen – heute wurde es offiziell gemacht. Und für alle, die jetzt wieder an die Jonas Behounek‘s, Ashton Götz‘s und Co. denken, deren Verträge mehr Aktionismus oder gar Populismus waren: In diesem Fall steckt ein echter Wille und en intelligenter Gedanke dahinter. Denn wie ich erfahren habe, hatten David und der HSV n den letzten Monaten zwei Szenarien besprochen, bevor man sich auf eine Vertragsverlängerung geeinigt hatte: Eine für den Aufstieg, und eine für den Zweitligaverbleib. Im Aufstiegsfall hatte man David ehrlich gesagt, dass eine weitere Leihe sinnvoller als eine Rückkehr wäre, um seine aktuell sportlich positive Entwicklung nicht mit Bankdasein zu unterbrechen. Verlängern wollte man trotzdem, weil man vom Potenzial des überzeugt ist. Deshalb hatte man schon in Zeiten mit Hecking besprochen, sollte David zur neuen Saison als Innenverteidiger aufgebaut werden. Und auch Thioune soll große Stücke auf David setzen.

 

„Wir freuen uns sehr, dass wir mit Jonas den nächsten talentierten Spieler aus unserem eigenen Nachwuchs langfristig an uns binden konnten. Jonas hat in den vergangenen Jahren eine stetige Entwicklung vollzogen. Er war Leistungsträger in mehreren unserer Jugendmannschaften und hat schließlich auch die ersten Schritte im Profibereich des HSV erfolgreich gemeistert“, wird Sportdirektor Michael Mutzel auf der Vereinshomepage zitiert. „Zuletzt hat er bei den Würzburger Kickers in der 3. Liga angedeutet, dass er das Potential besitzt, zu einer verlässlichen Kraft auf Profi-Niveau zu wachsen. Auf diesem Weg wollen wir ihn in den kommenden Jahren bestmöglich unterstützen und seine vorhandenen Fähigkeiten kontinuierlich weiterentwickeln.“ Zugegeben, das klingt wie immer in den letzten Jahren, wenn Youngster hochstilisiert wurden – es hat diesmal aber endlich auch Substanz.

Alle Abläufe und Strukturen gehören auf den Prüfstand

So, wie vieles beim HSV in den nächsten Monaten aus täuschend echt glänzenden Verpackungen ans Tageslicht geholt und geprüft werden muss, hat der HSV in den letzten Monaten in Person Mutzels damit begonnen, die eigene Nachwuchsarbeit aufzuarbeiten. Mit dazugehörigen Problemen, die sich in der Personalie Xavier Amaechi in der abgelaufenen Saison nur allzu deutlich gezeigt haben. Denn der junge Engländer war von Mutzel als Toptalent aus England angepriesen und vom HSV für rund drei Millionen Euro verpflichtet worden – bislang noch ohne jeden nennenswerten Erfolg. Im Gegenteil:  Die mickrigen zwei Einwechslungen bei den Profis gingen auch noch mächtig schief. Dabei bringt der 19-Jährige – das hatte ich schon mehrfach so geschrieben - tatsächlich alles mit, was ein richtig guter Fußballer braucht. Tempo, Dribbling, Physis, Aggressivität, Motivation - allein die richtige Zusammensetzung aller Zutaten zu einem funktionierenden, guten Spiel hat er nicht gefunden. Zudem scheiterte Amaechi, wie Hecking es vermutet, letztlich an sich selbst. „Wahrscheinlich an seiner Übermotivation“, so der ehemalige HSV-Trainer.

Insofern dürfte Amaechi einer derjenigen sein, die sich über den Trainerwechsel am allermeisten freuen. Aber Amaechi hat dem HSV auch eine klare Botschaft gesendet, die die Schlussphase der Saison, in der den HSV-Profis regelmäßig die Nerven versagten, noch einmal verdeutlicht hat: Dieser HSV braucht psychologische Unterstützung für die Spieler. Auch bei einem so jungen Trainer wie Thioune, der sich zweifellos noch intensiver individuell mit seinen Spielern beschäftigt als Hecking. Der hatte zusammen mit der sportlichen Leitung im Vorjahr darauf verzichtet – was sich im Nachhinein deutlich als Fehler herausstellte. Aber am wichtigsten für diese Veränderung ist: Sie muss im Vorfeld einer Saison getroffen werden. Alles andere macht keinen Sinn.

 

 

Thioune ist offen für derlei Veränderungen. Das hat er intern bereits mitgeteilt. In den nächsten Tagen will er sich zudem mit dem Staff beschäftigen. Zusammen mit Boldt und Co. will er entscheiden, welchen der beiden Hecking-Cotrainer er dabei behält – sofern überhaupt einer bleibt. Berührungspunkte hatte er bislang nur mit Dirk Bremser. Mit Tobas Schweinsteiger soll es bereits heute ein längeres Gespräch gegeben haben. Entscheidung offen.

Wer sich einmal intensiver mit dem neuen HSV-Trainer unterhält, der bekommt schnell mit, mit welchem Feuereifer sich Thioune an die neue Herausforderung wagt. Er weiß um die Schwerfälligkeit, die der Traditionsklub HSV in den letzten Jahren entwickelt hat. Er wurde von verschiedenen bekannten bereits gewarnt, wie schwierig das HSV-Umfeld doch ist. Aber er nimmt es an. Er weiß, dass er es verändern kann – wenn die Leute ihm folgen. So, wie in Osnabrück, wo ein ganzer Klub gefolgt war und nach Thiounes Abgang vor einem ungewollten Neuanfang steht. Dort hat man zwar seinen Chef verloren – dafür aber eine Kultur im Verein, die gesund ist und fortgeführt werden kann.

Thioune lässt Fehler zu, um besser zu werden

Womit ich zu einem Punkt kommen will, der hier in Hamburg in den nächsten Wochen entscheidend dafür sein wird, ob man sich endlich, endlich dem Neuen öffnet und es zulässt – oder eben nicht. Bislang war es einfach zu leicht, z.B. als ehemalige HSV-Größe in Hamburg alles in Schutt und Asche zu legen, wenn es mal wieder nicht lief. Weil alte Fehler wiederholt werden. Und auch diesmal wird es schwierige Phasen geben, in denen Fehler gemacht werden. Der Unterschied ist dabei nur: Es werden Fehler sein, die gemacht werden, weil man alte Fehler vermeiden und neue Stärke entwickeln will. Thioune nannte es „zugestandenes Fehlerpotenzial“ bei seinen Spielern, sofern er den Willen der Weiterentwicklung als Ursache erkennt.

Und ich hoffe – nein: fordere, dass wir alle – egal ob Nordtribünen-Steher, Kuchenblock-Sitzer, Journalist oder auch Ex-HSV-Profi - auch Thioune dieses Fehlerpotenzial zugestehen. Ich hoffe, dass alle diesen mutigen, neuen Weg mitgehen und immer daran denken, dass der andere Weg in den letzten Jahren mehrfach gescheitert ist. Betrachte ich die Reaktionen auf meinen gestrigen Blog und die PK mit Thioune, bin ich tatsächlich guter Dinge. Nun ist es logischerweise i einem Blog wie diesem nicht selten, dass ich Reaktionen auf Beiträge bekomme. In den Posts, bei Facebook, Instagram, youtube und Co. sind die sogar immer und für alle sofort nachlesbar. Aber Reaktionen der so genannten „Edelfans, von den Hardcore-Fans, den Capos, anderen Ultras und eben jenen kritischen Ex-Profis bekomme ich eher selten. Bis jetzt. Und das freut mich riesig.

 

Es hätte mich tatsächlich auch gefreut, wenn die Reaktionen kritisch bis negativ gewesen wären, weil das durchaus konstruktive Wirkung haben kann. Aber diesmal waren die Reaktionen ausgesprochen positiv. Von „du hast unser Stimmungsbild perfekt getroffen“ einiger Anhänger über „bitte bleib dran“ war alles dabei. Immer mit dem Tenor, doch bitte den in den letzten Blogs proklamierten Neunanfang unter Daniel Thioune inhaltlich zu stützen. Denn das sei es, was die Fans und Anhänger wollen. Und das Beste daran: Nichts fällt mir leichter als das – denn dieser Weg ist für mich alternativlos. Er ist es sogar, der mich überhaupt erst wieder hoffen lässt, eine weitere Zweitligasaison positiv angehen zu können. Diesmal sogar ohne das klar formulierte Ziel, aufsteigen zu „müssen“.

Kein Schritt zurück - sondern nur ein längerer Anlauf

Das mag für einige Ehrgeizlinge nach Kapitulation klingen. So ist es aber nicht. Ich halte es hier mit Thioune, der mich in der Theorie schon mitgenommen bekommen hat: Ich mache nur einen Schritt zurück, um länger und besser Anlauf nehmen zu können. Und ich hoffe, möglichst viele machen es mir nach.

In diesem Sinne, bis morgen. Da melde ich mich natürlich wieder mit dem MorningCall um 7.30 Uhr bei Euch und werde Euch wieder zum Frühstück über alles in Kenntnis setzen, was über den HSV berichtet wird. Am Abend gibt es dann den nächsten Blog. Der wird sich dann mit der internen Neuordnung beim HSV auseinandersetzen. Denn ohne die ist alles das, was Thioune angedeutet hat, nichts wert. Warum das so ist? Morgen...

Bis dahin!

Scholle

 

P.S.: Leider habe ich gerade erfahren, dass sich Heidenheims Niklas Dorsch wohl zu einem Wechsel nach Belgien entschieden hat. Er kann demnach für die festgeschriebene Ablösesumme von 3,5 Millionen Euro wechseln - was mich wiederum zu dem Gedanken gebracht hat: Warum nicht Dorsch für diese Summe holen, sofern tatsächlich Jeremy Dudziak für 3 Millonen Euro zum VfL Wolfsburg wechseln sollte? Eine sinnvolle Investition wäre es meiner Meinung nach, denn ich glaube, dass Dorsch das Potenzial zum richtug guten Erstliga-Sechser hat und seinen Wert dementsprechend noch massiv stegern könnte.

Nur so ein Gedanke...

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