Marcus Scholz

23. Oktober 2018

Es ist eigentlich gar nicht so überraschend. Nicht einmal ein echter „Hammer“, auch wenn ich das heute Nachmittag noch meinte. Vielmehr ist die Trainerentlassung von Christian Titz eine lange bereits erwartete und ebenso lang vorbereitete Aktion gewesen. „Als ich am Sonntag nach dem Spiel nach Hause gefahren bin, habe ich nicht gedacht, dass wir heute in so einer Konstellation hier zusammensitzen würden“, sagte Sportvorstand Ralf Becker und blickte dabei in die Runde auf dem Podium insbesondere in Richtung Hannes Wolf, dem neuen HSV-Trainer, der heute schon die Arbeit aufgenommen hat, bis 2020 unterschrieb und knapp 1,5 Meter neben dem Sportvorstand saß. Becker sagte das, obwohl er intern in den letzten Wochen schon seine anfänglich enge Bande zu Titz abgebaut hatte und zu den Kritikern gewechselt war. Offenkundig aus Überzeugung.

Becker wirkte heute nicht glücklich auf der Empore. Er lächelte ob der angespannten Situation wenig bis nicht, was zunächst einmal nicht gegen ihn spricht. Trainerentlassungen sollten auch nicht allein mit Jubelarien für den Neuen begangen werden, sondern auch mit dem respektvollen Umgang dem gerade Geschassten gegenüber. Zumal eben dieser Umgang in den letzten Wochen schon in ein Un-Verhältnis übergegangen war. Auf der einen Seite der Vorstand, der intern keinen Hehl daraus machte, höchst unzufrieden zu sein. Auf der anderen Seite Titz, der im Wissen um dieses Misstrauen unverändert intensiv versuchen musste, die Mannschaft tabellarisch auf Kurs zu halten.

Zwei Punkte Rückstand sind es aktuell auf den Tabellenführer, was Becker als eher glücklich im Zustandekommen nannte. „Wir haben alle Spiele in der Saison Revue passieren lassen und waren mit der Art und Weise nicht zufrieden“, so der Sportvorstand. „Wir wollen jetzt so auftreten, dass wir die Spiele souveräner gestalten. Das ist das Ziel in den nächsten Wochen.“ Mit eben jenem Hannes Wolf, der zuletzt den VfB Stuttgart zum Wiederaufstieg verhalf, anschließend aber nach einem halben Jahr Erste Liga dort als Tabellen-14. nach einem 0:2 gegen Schalke am 20. Spieltag gehen musste. Dass er saisonübergreifend in 52 Spielen einen Punkteschnitt von 1,6 hatte, während Titz in Hamburg saisonübergreifend 1,78 Punkte hatte verdeutlicht noch einmal, dass hier nicht der Erfolg das ausschließliche Kriterium war, sondern etwas grundsätzliches. Das Spielsystem Wolfs (er spielte mit dem VfB zumeist 4-1-4-1 oder auch 4-2-3-1) ist wie bei Titz zumeist mit einer echten Spitze ausgestattet gewesen, also ebenfalls sehr ähnlich. Ob Pierre Michel Lasogga diese Rolle spielen werde, wollte ein Kollege wissen. Aber Wolf machte alles richtig, indem er die Frage ablehnte aus Respekt vor den Spielern, mit denen er noch nicht gesprochen hatte und an die er appellierte, sie mögen offen für Neues sein.

Ein Appell, der nicht von ungefähr kommt, denn mannschaftsintern wurde der Rausschmiss von Titz mit Skepsis wahrgenommen. Intern hatte man dem sportlich Verantwortlichen Becker in den letzten Tagen noch einmal deutlich gemacht, dass die Mannschaft nahezu geschlossen hinter dem Trainer stünde. Ein seltener Akt der Solidarität, der nur noch von den Fan-Reaktionen heute getoppt wurde. „Ich weiß, dass ich mit dieser Entscheidung keinen Beliebtheitspreis gewinne“, sagte Becker - und damit untertreibt er noch. Denn während Fiete Arp mit seinem Post via Instagram seine Solidarität zu Titz und seiner Verärgerung über dessen Entlassung deutlich machte (Becker: „Es ist klar, dass wir diese Art der Meinungsäußerung nicht akzeptieren.“) und dafür in den nächsten Tagen Ärger von der Klubführung erwartet, braut sich im Fanbereich eine sehr dunkle Wolke zusammen. Objekt der Kritik ist dabei neben Becker insbesondere Vorstandsboss Bernd Hoffmann, der schon in seiner ersten Amtszeit ein eher ambivalentes Verhältnis zu den Fans hatte und mit dieser Entscheidung den Konflikt neu entfacht haben dürfte.

Womit man allerdings auch zu einem klaren Pro und einem ebenso klaren Contra kommt. Denn  Fakt ist: Hätte man Titz behalten, hätte man keinen Ärger mit den eigenen Anhängern und Spielern riskiert, dafür aber intern weiterhin eine gereizte und wahrscheinlich unproduktive Stimmung gehabt. Andererseits ist der unter Titz eingeschlagene Weg außen deutlich wohlwollender aufgenommen worden und hat eine Art Aufbruchstimmung erzeugt, die nicht einmal von einer klaren Heimniederlage wie dem 0:5 zuletzt gegen Regensburg erschüttert wurde. Im Gegenteil: Die Fans forderten Geduld für ihren Trainer, feierten ihn während und nach dem Spiel in Darmstadt demonstrativ mit Sprechchören. Die Mannschaft bis auf wenige Ausnahmen nicht minder. Und dennoch haben Becker und Hoffmann konsequent ihren Willen durchgesetzt und sich von Titz getrennt - wissend, dass die folgende Entwicklung auch an Ihn angerechnet werden wird. Der Druck, den sie sich dadurch auflasten, ist also ungleich höher als zuvor, was für einen hohen Grad der Überzeugung spricht.

Dennoch, mal völlig unabhängig von den Qualitäten Wolfs, muss man konstatieren, dass der HSV in sein altes Schema zurückfällt. Auch wenn ich vorhin von einem sehr geschätzten Kollegen eine komplett gegenteilige Meinung gelesen habe, sehe ich diesen Wechsel als falsch an. Es ist ein Rückfall in die Ungeduld, die in Hamburg zu 20 Trainern in knapp 13 Jahren geführt hat. Und letztlich auch zum Abstieg. Den oft so geforderten Mut zu neuen Wegen, überhaupt einmal zu einem eigenen Weg, einer eigenen Philosophie, den unterbricht man an einem zugegeben diskutablen Punkt. Denn der Tendenz, kein Tor zu schießen kann man sehr wohl die klare Tendenz entgegenstellen, dass man sich parallel dazu mit der jüngsten Mannschaft aller 36 Profiklubs defensiv stabilisiert hat und kein Tor eingefangen hat. Tabellarisch ist man mit zwei Punkten Rückstand zum Tabellenführer eh im Soll.

Dafür ist die Begleiterscheinung, dass Titz es als erster  Trainer seit Thomas Doll (2004 - 2007) wieder geschafft hat, den Fans das Gefühl zu geben, dass wieder eine hohe Identifikation zwischen Fans und Mannschaft bzw. dem ganzen HSV besteht. Ich glaube tatsächlich, dass man sich hier der großen Chance beraubt hat, dem HSV ein neues, endlich wieder sympathisches Profil zu verleihen. Und das alles hätte man wohlgemerkt mit Titz weiterentwickeln können, ohne dabei den sportlichen Erfolg außer Acht zu lassen. Denn ich bin überzeugt davon, dass sich selbiger auch eingestellt oder besser gesagt stabilisiert hätte, wenn man dem Trainer konsequent den Rücken gestärkt hätte. An diesem Punkt war Becker, wie er heute sagte - er bog nur anders ab. „Für mich ist am Abend nach dem Spiel am Sonntag eines klar geworden: Entweder wir sprechen dem Christian das absolute Vertrauen aus und gehen mit ihm durch die nächsten Wochen und am besten die ganze Saison zu gehen - oder wir müssen uns von ihm trennen, weil wir nicht überzeugt sind.“

Ich finde es sehr bedauerlich, dass die Verantwortlichen nicht den Mut hatten, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen und wünsche zunächst einmal Christian Titz alles Gute bei seinen nächsten Aufgaben, bevor ich ebenso herzlich natürlich auch Herrn Wolf begrüßen möchte. Alle Gute für die bevorstehende Aufgabe beim und mit dem HSV! Was man hier von ihm erwartet, machte Becker früh klar, als er den neuen Trainer, der übrigens mit dem alten Cotrainer-Stab von Titz weiterarbeitet, über alle Maße lobte: „Hannes verbindet viele Dinge, die für uns wichtig sind: Er steht für das, für das wir stehen. Wir haben die jüngste Mannschaft der Liga, Hannes steht wie kein Zweiter für junge Spieler. Er hat Pulisic und Bruun Larsen zu Topspielern geformt.“ Das war zu seiner Zeit als Jugendtrainer in Dortmund, wo er auch Orel Mangala entdeckte, zum BVB und später auch zum VfB Stuttgart lotste. Die Frage ist: Bekommt er auch genug Zeit, um beim HSV einen entsprechend bleibenden Eindruck zu hinterlassen?

In diesem Sinne, bis morgen. Da wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainiert.

Scholle

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