Marcus Scholz

23. November 2017

Die Grippewelle hatte schon gestern Opfer gefordert – und auch heute blieben Andre Hahn und Trainer Markus Gisdol dem Training, das zumeist aus Zweikampf- und Torabschlussübungen bestand, krankheitsbedingt fern. Der Cheftrainer des HSV soll aber morgen zumindest wieder ins Training einsteigen und vorher die Pressekonferenz um 13 Uhr (live bei Facebook) abhalten. Anders als Hahn, der auch morgen noch auszufallen droht und somit auch für das Spiel am Sonntag eher keine Alternative sein dürfte. Da heute auch Jann Fiete Arp fehlte, rechnete sich der eine oder andere Trainingszuschauer schon aus, dass US-Nationalspieler Bobby Wood wieder zur ersten Alternative werden könnte.

Allerdings irrten sie. Zum Glück. Denn Arp fehlte am Vormittag nur, weil er kein schulfrei bekommen hatte. Dafür trainierte der Angreifer am Abend mit dem Nachwuchs, um seine gute Form beizubehalten. Denn trotz dieses Ausfalles gestern und heute – Arp ist und bleibt auch für das Spiel gegen Hoffenheim erste Wahl. Soll heißen: Der 17-Jährige hat sich in den letzten drei Partien eine derart starke Position geschaffen, dass er selbst dann die Nase vorn hat, wenn er von fünf Einheiten mit der Mannschaft gerade einmal zwei mittrainiert. Kein besonders schmeichelhaftes Zeugnis für seine Konkurrenten – umso mehr aber für Arp.

Gestern hatte ich an selber Stelle darüber geschrieben, dass der HSV sein Scouting neu aufstellen muss. Und ich ahnte noch nicht, wie schnell sich das auch beim HSV bewahrheiten sollte. Denn heute wurde bekannt, dass Benjamin Schmedes als Sportchef zum VfL Osnabrück wechselt. Benjamin wer? Genau: Schmedes. Den jungen Mann, der früher als guter Amateurkicker bei Hannover 96’s Reserve kickte und seine Karriere in Norderstedt beendet. Der heute 32 Jahre junge Mann, der sich beim HSV seit Oktober 2014 als Chefscout verdingen durfte, hat sich für die Aufgabe des Sportchefs beim Drittligisten aus Osnabrück zu empfehlen gewusst - was durchaus ein Kompliment ist. Die Frage für den HSV ist nur: Ist es ein kleiner Rückschlag, oder eine neue Chance? Ich glaube, Letzteres ist es. Denn man kann sich gänzlich neu sortieren. Oder besser gesagt: Man MUSS seine eigene Scoutingabteilung hier einfach neu erfinden, um wieder konkurrenzfähig zu werden. Dennoch, in der Vorbereitung der Wintertransferphase ist ein solcher Wegfall zumindest schwierig.

Schwieriger ist auch zunehmend der Kontakt zu der Mannschaft. Weniger für uns Journalisten, aber umso für die Zuschauer und Fans. Selbst wenn das heute ein wenig untergegangen ist, den Appell von HSV-Kultfan Friedel Schuler sollte der HSV sehr ernst nehmen. Nicht allein, weil Schuler vom HSV selbst vor drei Jahren zum „größten Fan aller Zeiten“ gekürt wurde, sondern vielmehr, weil er einen heftigen Missstand beim HSV anklagt. Der Lohbrügger, der seit 36 Jahren nah am Geschehen ist und einst einer der besten Freunde von Trainierlegende Ernst Happel war, sieht beim HSV den Wandel zur Unnahbarkeit. Seit zehn Jahren sammelt „Tiroler Friedl“ nun schon Devotionalien der Fußballer, um sie am Ende auf einem Basar in Bergedorf zur Weihnachtszeit zu verkaufen und den Erlös dem Kinderhospiz „Sternenbrücke“ zukommen zu lassen. Dieses Jahr feiert dieses Even zehnjähriges Jubiläum – und älter wird es wohl auch nicht mehr. „Ich habe es satt, um Autogramme oder Basar-Spenden von den Profis betteln zu müssen. Das Management schirmt sie von allem ab. Das tut dem Verein nicht gut und macht die Fans sauer“, sagte der Lohbrügger.

Klar, viele werden jetzt sagen, dass da ein frustrierter Fan zu viel Nähe gesucht haben wird und der Verein nun mal Grenzen einhalten muss. Aber in diesem Fall ist das anders. Friedel ist im Klub bekannt, sein Engagement wurde in den letzten Jahren immer wieder von Spielern wie Funktionären unterstützt, weil er damit Gutes tun konnte. Und das fiel letztlich auch auf den HSV zurück, der in den letzten Jahren einen Wandel vollzieht, den auch ich für a) gefährlich und b) extrem verwunderlich halte. Denn obgleich es fußballerisch immer schlechter geworden ist, werden die Profis immer mehr in Watte gepackt. Einige Profis haben sich sogar gänzlich weigern können, Fan-Events zu besuchen. Anstatt ihnen klar zu machen, dass es alles andere als selbstverständlich ist, dass die Stadien angesichts der immer weniger werdenden Erfolgen stets prall gefüllt sind, und ihnen zugleich zu verdeutlichen, dass sie sich kümmern müssten, werden sie in Watte gepackt und behandelt, als seien sie große Stars. Und ganz ehrlich, für mich ist genau das die erste Stufe auf dem Weg, den Boden unter den Füßen zu verlieren und abzuheben. Gefördert (provoziert?) von den Verantwortlichen des HSV, die das dann an anderer Stelle plötzlich wieder monieren und den Spielern vor- oder bei unrühmlichen Abgängen hinterherwerfen.

Es ist gar nicht allzu lang her, da hat der HSV ein teuer produziertes Leitbild veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem:

„FANS UND MITGLIEDER SIND UNSER EMOTIONALER ANTRIEB UND UNSER RÜCKHALT. Wir verpflichten uns zum Erhalt und zur Pflege unserer Tradition. Wir fördern die Atmosphäre im Volksparkstadion und die Gemeinschaft im HSV. Wir wollen stets neue Fans und Mitglieder hinzugewinnen und kümmern uns um sie. Wir leben Service und Wertschätzung.“

Und ich finde, es wird Zeit, diese eigens formulierten Vorsätze auch umzusetzen. Zumal diese Mannschaft die Typen dafür zweifellos beinhaltet – Andre Hahn, Dennis Diekmeier, Mergim Mavraj, Gotoku Sakai, Christian Mathenia und Tom Mickel beispielsweise – um nur ein paar zu nennen. Alles bodenständige Typen, die sich nicht zu fein sind, das Gespräch mit den Fans zu suchen bzw. anzunehmen. Man muss sie nur lassen und ihnen vertrauen, anstatt sie zunehmend zu kontrollieren und abzuschotten. Fanabende wie der am Mittwoch mit Julian Pollersbeck beispielsweise sind gut – aber letztlich auch ein Stück weit inszeniert. Gelebte, authentische und Nähe zur Basis hingegen führt zu Sympathie. Und die braucht jeder Verein. Auch der HSV.

Ich weiß, dass das ein Thema ist, das momentan sicher nicht als Priorität eingestuft wird. Aber es ist bei allen finanziellen Nöten, vereinspolitischen Reibereien und sportlichen Missständen und der Freude über Talente wie Arp und Ito eben auch ein Thema, das niemals vernachlässigt werden darf. Im Gegenteil: Es muss immer gleichbleibend intensiv gepflegt werden – im Falle eines Abstieges ebenso wie beim Gewinn der Champions League. Und glaubt mir, ich kenne Tiroler Friedl schon seit vielen Jahren und habe miterlebt, wie er sich gekümmert hat. Und wenn schon ein gutmütiger, geduldiger Typ wie er sich über eine gewisse Form der Entfremdung beim HSV beschwert, dann ist das ein durchaus ernstzunehmendes Alarmsignal.

Entwarnung gab es derweil personell: Gotoku Sakai stand heute ebenso wieder auf dem Platz wie Christian Mathenia, der auch am Sonntag wieder einsetzbar sein soll. Ebenso wie Kyriakos Papadopoulos und Aaron Hunt, die heute individuell trainierten und morgen wieder auf dem Platz stehen sollen. Dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Bis morgen!

Scholle

 

 

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