Marcus Scholz

18. Juli 2020

Natürlich folge ich den HSV-Profis auf ihren Accounts im sozialen Web. Ebenso selbstverständlich meine Kollegen und tausende HSV-Fans. Und die Profis wissen inzwischen, dass ihre Posts sehr genau beäugt werden und nicht selten das Image maßgeblich mitprägen. Julian Pollersbeck beispielsweise hat 25.100 Follower auf Instagram – und er weiß das zu nutzen. Immer wieder postet der Keeper derzeit Bilder von sich und anderen Profis, die bei der Beraterfirma ROGON unter Vertrag stehen, um zu demonstrieren, wie fleißig er ist. Langhantel, Laufvideos, Stabilisationstraining und andere Trainingsformen sind zu sehen. Und die Kommentare dementsprechend positiv. Es wird wertgeschätzt, dass der HSV-Keeper in seinem Urlaub schuftet. Pollersbeck erweckt bei vielen Anhängern den Eindruck, die gerade erst in der Schlussphase der alten Saison zugestandene Position der Nummer eins beim HSV behalten zu wollen. Die Frage ist nur – wo…?

Denn momentan ist alles offen. Der HSV hat Pollersbecks Berater – wie allen anderen Spielerberatern auch – signalisiert, dass er bei einem passenden Angebot gehen dürfte. „Kein Spieler ist unverkäuflich“, hatte Sportvorstand Jonas Boldt gesagt – und so ist es auch. Denn der HSV braucht Geld, um überhaupt erst wieder auf dem Transfermarkt tätig zu werden. Und Pollersbeck ist der Keeper unter den drei HSV-Torhütern, der wahrscheinlich am meisten einbringen kann. Auch deshalb suchen die HSV-Verantwortlichen aktuell das Gespräch mit Daniel Heuer Fernandes, um auszuloten, inwieweit der Deutsch-Portugiese nach seiner Degradierung dem HSV noch helfen kann und will. Es wird überprüft, ob Heuer-Fernandes für den Fall eines Pollersbeck-Verkaufs als neue Nummer eins tragbar ist.

Fernandes' Schwächen haben Punkte gekostet

Dass sich Neutrainer Daniel Thioune und Heuer-Fernandes kennen, erleichtert das Ganze ein wenig. Aber die Frage, die ich heute stelle – und versuchen werde, zu beantworten – ist: Reicht das für einen Spitzenplatz in der Liga? Ich habe hier nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich Pollersbeck für den mit Abstand talentiertesten der drei HSV-Keeper halte. Ich habe an dieser Stelle immer wieder erklärt, weshalb ich es für einen Fehler gehalten hatte, Pollersbeck hinter heuer-Fernandes zu setzen.

Einer der Gründe waren die hohen Bälle, bei denen Heuer-Fernandes einfach zu schwach war -  und das wahrscheinlich noch immer ist.  Von daher wird bei der Beurteilung, ob man mit Heuer-Fernandes als Nummer eins in die Saison gehen kann, entscheidend sein, wie sich die Abwehr zusammensetzt und ob der HSV ansonsten ausreichend gute Kopfballspieler hat. Denn noch einmal so viele Punkte abzugeben, nur, weil man bei hohen Bällen nicht ligatauglich ist, darf nicht passieren. Auch das hat den Aufstieg gekostet.

 

Mit Klaus Gjasula hat der HSV einen Kopfballspieler dazugeholt. Auf Ewerton darf man zwar erneut hoffen – aber man darf sich ganz sicher nicht auf seine Gesundheit verlassen. Im Gegenteil. Von daher wäre Stand heute Heuer Fer5nandes für mich nicht ausreichend als neue Nummer eins. Denn obgleich der 1,88 Meter große HSV-Keeper wenige wesentliche Fehler gemacht hat, kann er ob seiner Defizite schlichtweg nicht die Sicherheit ausstrahlen, die eine Mannschaft braucht, um dauerhaft souverän aufzutreten.

Hierbei wäre Pollersbeck sicher geeigneter. Er ist auch deutlich stärker bei hohen Bällen und strahlt von seinem Naturell her schon eine Form positiver Arroganz aus, die seinem durchaus auffällig großen Selbstvertrauen geschuldet ist. Aber so voll des Lobes ich ob seines Talentes auch für „Polle“ bin, auch er muss jetzt den nächsten Schritt machen und auch mal Spiele gewinnen. Denn so platt dieses „ein Torhüter muss auch mal Unhaltbare halten“ auch klingt, die guten Torhüter zeichnen sich eben auch darin aus, in entscheidenden Phasen Bälle zu halten, die andere nicht halten. Und von solchen Spielen hatte Pollersbeck deutlich zu wenige. Ehrlich gesagt fallen mir sogar nur zwei, drei überragende Paraden ein. Dafür gab es einige Tore aus der Distanz, bei denen ich glaube, dass andere Keeper die Bälle pariert hätten. Allerdings ist diese Qualität im Gegensatz zu Körpergröße durchaus trainierbar.

 

In der rückblickenden Analyse muss man sagen, dass der HSV nur auf der Position des dritten Keepers zweifellos überdurchschnittlich stark besetzt ist - mit Tom Mickel. Nicht wenige wollen Mickel sogar als Nummer eins im Tor des HSV sehen. Das allerdings dürfte bei allem Respekt zum allergrößten Teil der sympathischen Art des Vollblut-HSVers geschuldet sein. Die Fans können sich mit ihm identifizieren. Aber mit 1,85 Meter ist Mickel noch einmal etwas kürzer als Heuer Fernandes und hat ebenso seine Probleme bei hohen Bällen. Leider ist auf der Position des Torwartes auch die Regel „Wille schlägt Talent“ nur sehr bedingt tragbar.

Mickel als Nummer 3 ist der einzig gesetzte Keeper

Fakt aber ist: Tom Mickel ist für den HSV eine Luxus-Lösung als dritter Keeper. Das wäre er für jeden Zweitligisten. Ihn reinzuwerfen würde tatsächlich niemanden beunruhigen. Aber so romantisch die Vorstellung auch für mich wäre, mit einem Spieler wie Mickel, der den HSV tatsächlich mehr lebt als alle anderen, als Nummer eins in die Saison zu gehen, sie wäre riskant. Zu riskant, befürchte ich.

Gleiches gilt für Heuer Fernandes, der auf der Linie tatsächlich ebenso wie Mickel seine größte Qualität hat. Und während Mickel es nur im Training immer wieder mal zeigen konnte, demonstrierte Heuer-Fernandes in der Liga, dass er zudem in Eins-gegen-Eins-Situationen außergewöhnlich stark ist. Auch in Sachen Einstellung ist Heuer Fernandes absolut nichts vorzuwerfen – allerdings fehlt ihm neben ein paar Zentimetern Körpergröße auch die souveräne, bei starken Keepern manchmal etwas arrogant wirkende Art, die man braucht, wenn man nicht allein über sportlich herausragende Leistungen zu gefallen weiß.

Auf mich machte Heuer-Fernandes manchmal sogar einen leicht unsicheren Eindruck, weil er hier in Hamburg vom ersten Tag an  sehr kritisch gesehen wurde. Und leider reichte das am Ende zu nicht mehr als einer sehr durchschnittlichen Gesamtleistung. Und die Frage wird sein, ob Thioune glaubt, deutlich mehr aus Heuer Fernandes und/oder Pollersbeck herausholen zu können und noch einmal eine echte Nummer eins aus ihnen zu formen. Extrainer Dieter Hecking hat  mit dem Mute der Verzweiflung in den letzten Spielen zwar noch einmal alles versucht – aber durch den verpassten Aufstieg eben auch alles verloren. Heuer-Fernandes weiß seither, dass er beim HSV nicht unumstritten ist. Pollersbeck ebenso. Aus zwei ersten Torhütern sind zwei Ersatzkeeper geworden. So ehrlich muss man die Torwartsituation sehen.

Pollersbeck und Heuer-Fernandes sind angezählt

Sowohl Pollersbeck als auch Heuer-Fernandes wurden in Hamburg als Nummer eins zu lange und zu stark angezweifelt. Sie sind nachhaltig angeschlagen. Beide. Und das allein erschwert es beiden schon, überhaupt noch einmal beim HSV als souveräne Nummer eins aufzutreten (obgleich Pollersbeck sich hier leichtet tut). Hinzu kommt, dass das außen nicht unerkannt geblieben ist und eben dieser Umstand es dem HSV wiederum schwer machen wird, seine Keeper teuer zu verkaufen.

Nicht die besten Voraussetzungen für die Kaderplanung auf der Torwartposition. Auch deshalb prüft der HSV auf der Position der Nummer eins alle Szenarien. Von einer Komplett-Neubesetzung (nur Mickel bliebe dann) bis hin zu einer teilweise neuen Besetzung. Von einem Neuen über zwei Neue bis hin zu keinem Neuen - es ist tatsächlich alles offen.

In diesem Sinne, bis morgen! Da kümmere ich mich hier um die Abwehr, die den HSV – Achtung: Spoiler! - vor nicht minder schwere Probleme gestellt hat im Laufe der Saison. Und wie bei Euch ist es auch bei uns in der Redaktion so, dass wir durchaus unterschiedlich Dinge bewerten. Wie die Kollegen die HSV-Profis gesehen haben, könnt Ihr Euch hier ansehen.

 

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