Marcus Scholz

11. Juni 2020

Köpfe frei bekommen, mal ablenken. Und einfach mal entspannt miteinander Spaß haben. Das alles war in den fünf Spielen nach der Coronapause bislang noch nicht drin für den HSV, der sich dafür am Mittwoch einen Trainingstag wählte. Fußball-Golf (sehr zu empfehlen!!) in Soltau stand an. „Es war gestern ein sehr schöner Tag“, sagte Trainer Dieter Hecking uns heute, einen Tag vor dem Auswärtsspiel bei Dynamo Dresden (Freitag, 18.30 Uhr Rudolf-Harbig-Stadion), in der virtuellen Pressekonferenz. Und obgleich Hecking auch heute wieder versuchte, das vorhandene Kopfproblem wegzudiskutieren, gestand er ein: „Wir müssen einen guten Mix aus Anspannung und Entspannung finden.“ Auf andere Gedanken zu kommen, Gespräche jenseits des Fußballs zu führen, auch einmal vier Stunden ohne Handy auszukommen - das gehörte zu Heckings Plan. „Ich glaube, dass die Mannschaft diesen Tag gebraucht hat. Nur mit Verbissenheit und nur mit Druck werden wir es sowieso nicht schaffen.“

In fünf Spielen nach dem Corona-Stopp dreimal in der Nachspielzeit per späte, unnötige Gegentore fünf Punkte verschenkt. Das schlägt aufs Gemüt. Und so, wie es Ex-HSV-Trainer Huub Stevens heute bei den Abendblatt- und Mopo-Kollegen sagte, bedurfte es zwingend einer Abwechslung, bevor aus dem Albtraum ein richtiges Trauma wird. Wie sich dieser Zustand in den letzten Tagen verhalten habe, wollte ich vom Trainer wissen und fragte dabei auch speziell nach Xavier Amaechi, der in seinem erst zweiten Einsatz komplett neben der Spur war. „Die Mannschaft war schon sehr, sehr enttäuscht“, verriet Hecking kein Geheimnis und fügte an, dass es gerade für Amaechi ein bitterer Abend war, da seine zuvor gezeigten guten Trainingsleistungen in keinster Weise bestätigen konnte. Er sei verkrampft und übermotiviert gewesen, kritisierte Hecking und nahm seinerseits Kritik von außen an.  Seine Wechsel im Spiel gegen Kiel heute bezeichnete er selbst als „nicht die besten Lösungen“. Zumindest ein Ansatz von Selbstreflexion.

Amaechi und Heuer Fernandes sind raus

Und es scheint kein großes Geheimnis zu sein, dass der vor der Saison als Toptalent gehandelte Amaechi die aktuelle Saison komplett als verlorenes Jahr abhaken kann. Seine Einsatzchancen in den letzten Partien liegen in etwa bei denen vom weiter verletzten Ewerton. Oder bei denen von Daniel Heuer Fernandes. Es werde zwar immer wieder „überraschende Aufstellungen“ geben, kündigte Hecking heute an. Aber er legte sich auch fest: Julian Pollersbeck, der vor zwei Partien Stammtorhüter Heuer Fernandes verdrängt hatte, wird bis zum Saisonende im Tor stehen.

Allein, was er alles ändern wolle, ließ Hecking heute bewusst offen. Nach eigener Aussage weiß er es selbst noch nicht so genau. „Genau wie sie jetzt ein weißes Blatt Papier vor sich haben und bei den möglichen Aufstellungen variieren, ist es bei mir auch“, antwortetet der HSV-Trainer auf die Frage meines Abendblatt-Kollegen Henrik Jacobs nach möglichen Umstellungen im Mittelfeld. Wobei die gar nicht zwingend nötig sind, wie ich finde. Denn zumindest bis zur 60. Minute wirkte der HSV gegen Kiel mit einem durchschnittlichen David Kinsombi, einem unterdurchschnittlichen Adrian Fein und einem endlich mal wieder starken Aaron Hunt stabil genug, um in Führung zu gehen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sich Kinsombi und Fein stärker präsentieren, hinzugerechnet, würde mich dieses Trio als erste Wahl für das Spiel in Dresden nicht nervös machen. Im Gegenteil: Ich glaube, dass der HSV Konstanz in der Startelf gut gebrauchen kann. Trotz aller Belastungen durch die erneut bevorstehende Englische Woche.

 

Dass es hierbei immer wieder Härtefälle geben kann – logisch. Deshalb verwunderte Heckings Andeutung, dass Sonny Kittel ob seiner chronischen Kniepropbleme bald mal wieder eine Pause braucht, nicht. Zumal Kittel zuletzt zwar immer wieder an Toren beteiligt war, ansonsten aber durchwachsene Leistungen zeigte. Sollte Hecking in Gesprächen oder im Training eine Form der Müdigkeit bei Kittel erkannt haben, dann wird er handeln. Handeln müssen. „Es wird immer nur darum gehen, wer in dem gerade anstehenden Spiel die beste Lösung ist“, so Hecking, der auf geistige Frische erhöhten Wert legen wird: „Wir müssen in einer solchen Schlussphase wie zuletzt mehr Ruhe ausstrahlen, die spielerischen Lösungen finden und mehr Zeit von der Uhr nehmen. Wir müssen mehr Ruhe ausstrahlen, dürfen nicht hektisch werden.“

HSV spielt gegen Dresden - und gegen sich selbst

Und was so leicht klingt, ist doch so schwer. Denn der Kampf gegen das eigene Gedächtnis ist eigentlich nur zu gewinnen, wenn man Erfolgserlebnisse hat, die die negativen Erfahrungen vollständig überlagern. Und dafür muss gewonnen werden. Es ist ein bisschen so wie beim Huhn und dem Ei – aber Dresden bietet dem HSV aus meiner Sicht zumindest die große Chance, sich genau dieses Erlebnis zu verschaffen. Auch, wenn Hecking warnt: „Die Ergebnisse an den vergangenen Spieltagen haben gezeigt, dass es in dieser Liga keine einfachen Spiele gibt“, so Hecking. Dresden sei hochmotiviert, seiner Mannschaft ein Bein zu stellen. Allerdings müssen die Dresdner ihrerseits wohl auf Stürmer Simon Makienok verzichten. „Er hat einen Schlag aufs Sprunggelenk bekommen. Der Fuß ist recht dick, heute würde er in keinen Fußballschuh passen“, meinte Dynamo-Trainer Markus Kauczinski heute.

 

Und das ist für den HSV wirklich alles andere als schlimm. Denn der Däne im Angriff der Sachsen war der einzige Akteur am Dienstag im Spiel gegen Greuther Fürth, der mich voll überzeigen konnte und dem ich zugetraut hätte, dem HSV große Probleme zu bereuten. Der 2,01 Meter große Sturmhüne war zuletzt auch so etwas wie die Lebensversicherung im Abstiegskampf und hätte der kopfballschwachen Abwehr des HSV allein schon bei jedem hohen Ball Probleme bereiten können. Drei Tore steuerte er in seinen bisher sechs Einsätzen bei und sicherte dem Schlusslicht mit seinem späten Siegtor in Wiesbaden sowie dem Ausgleichstor vom Dienstagabend gegen Greuther Fürth vier Zähler. Dennoch setzt Trainer Kauczinski weiter voll auf Offensive: „Ich glaube daran, dass der Angriff noch immer die beste Verteidigung ist“, sagte Kauczinski und kündigte an: „Wir werden schon einen Fokus auf unserem eigenen Spiel haben.“

So, wie der HSV. Und der hat morgen neben Dynamo Dresden noch einen schweren gegner: sich selbst. Im nächsten Finalspiel werden die HSV-Profis auch gegen sich selbst kämpfen und alles daran setzen, endlich mal wieder ein Spiel zu gewinnen, ohne in den letzten Sekunden wieder zittern zu müssen. Und das voraussichtlich mit nur wenig Veränderungen. Glaube ich zumindest. Die Startelf, von der ich glaube, dass Hecking sie wählen wird: Pollersbeck – Vagnoman, Letschert, van Drongelen, Leibold – Fein – Harnik, Hunt, Kinsombi, Jatta – Pohjanpalo. Und ehrlich gesagt würde ich tatsächlich genau so aufstellen. Oder habt Ihr einen besseren Vorschlag?

In diesem Sinne, bis morgen. Da melde ich mich um 7.30 Uhr wieder pünktlich mit dem MorningCall bei Euch und werde Euch am Frühstückstisch noch einmal komplett auf das bevorstehende Spiel in Dresden vorbereiten. Am Abend ab 18 Uhr melden wir uns dann wieder von der Auswärtscouch bei Euch, zu der wir Euch alle ganz herzlich einladen. Vielleicht haben wir dann ja morgen endlich mal wieder ausschließlich Gründe zum Feiern. So, wie es auch Helm Peter (Spieltagspipps im Anhang) endlich wieder haben will

Bis dahin!

Scholle

 

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