1. März 2020
„Nennt dich jemand das erste Mal einen Ochsen, ignoriere ihn. Nennt dich jemand ein zweites Mal einen Ochsen, hau ihm eine rein. Nennt dich jemand ein drittes Mal einen Ochsen, solltest du dich nach einem Ochsenstall umsehen.“ Diese alte Weisheit trifft dieser Tage auf den HSV zu. Zum dritten Mal in Folge wählte der Gegner dasselbe System – und zum dritten Mal fand der HSV keine Lösungen.
Aues Trainer Dirk Schuster hat sich offenbar das Hamburger 1:1 gegen Hannover 96 sowie die Derby-Niederlage gegen St. Pauli genau angeschaut. Er stellte seine Mannschaft um, damit sie genauso auftreten konnte wie die vorherigen HSV-Gegner. Aue begann die Partie in einer 3-4-2-1-Formation. Dieter Hecking blieb seiner Stammformation treu: Der HSV begann in einem 4-3-3, wobei Khaled Narey den Rechtsaußen gab. Bakary Jatta rückte dadurch nach Linksaußen.
Das 3-4-1-2 kristallisiert sich immer stärker als das perfekte Anti-HSV-System heraus. Die Aufteilung auf dem Feld sorgt dafür, dass jeder HSV-Akteur stets einen Gegenspieler an seiner Seite weiß. Die beiden Stürmer nehmen Hamburgs Innenverteidiger auf, die Außenverteidiger decken die Außenverteidiger, die Mittelfeldspieler die Mittefeldspieler. (Die Grafik veranschaulicht, wie dieses Prinzip funktioniert.)
Während der HSV in den vergangenen beiden Spielen zumindest zeitweise Lösungen fand gegen das mannorientierte System des Gegners, tat er sich gegen Aue von Beginn an schwer. Das hatte mehrere Gründe. Der eine war der Gegner: Aue interpretierte das System sauberer und zugleich aggressiver als die vorherigen Gegner. Gerade das Auer Mittelfeld zeigte sich präsent. Sie standen nicht direkt am Mann, sondern luden Pässe zu ihren Gegenspielern ein. Sobald der Ball zu Hamburgs Mittelfeldspielern kam, stürmten sie jedoch sofort drauf. Der HSV tat sich merklich schwer mit dem schnellen und zugleich körperbetonten Anlaufen der Auer. Das Spiel war äußerst zerfahren in der ersten halben Stunde.
Zudem fand der HSV seltener Lösungen gegen das gegnerische System, als dies noch gegen St. Pauli der Fall war. Hier fanden sie zumindest in der Anfangsphase einen Weg, die Mannorientierungen des Gegners zu knacken. In meiner Analyse des Derbys habe ich zwei Ideen skizziert, wie sich ein derart mannorientiertes System knacken lässt: Entweder können die Spieler Eins-gegen-Eins-Duelle suchen. Haben sie ihren direkten Gegenspieler ausgetanzt, kommt die Ordnung des Gegners durcheinander. Der zweite Weg sind Positionswechsel, mit denen die Manndecker aus ihren Räumen gezogen werden.
Dem HSV gelang es jedoch nicht, diese Facetten umzusetzen. Erfolgreiche Dribblings oder gewonnene Eins-gegen-Eins-Zweikämpfe waren eine Seltenheit. Die Auer waren in den direkten Duellen schlicht überlegen. Positionswechsel wagte der HSV wiederum zu selten. Louis Schaub rückte ab und an auf den rechten Flügel, Bakary Jatta bewegte sich in den Halbraum. Das war zu wenig, um die Auer Mannorientierungen aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Deutlich wurde im Verlauf der Partie auch, dass die 4-3-3-Formation der Hamburger an sich nicht funktionierte. Hecking setzt weiterhin auf diese Variante, auch wenn einige Schlüsselspieler der ersten Saisonhälfte fehlen. Vor der Abwehr fehlte Adrian Fein als Ankerpunkt. Ohne Kittel blieb die Möglichkeit verwehrt, Spielverlagerungen auf die linke Seite zu schlagen. Lukas Hinterseers charakteristisches Ausweichen auf die Flügel blieb wiederum wirkungslos, weil er dort keine Kollegen fand, mit denen er Kombinationen spielen konnte.
So zeigte sich der HSV äußerst handzahm im Vergleich zu den aggressiv auftretenden Auern. Ballzirkulation gab es nur zwischen den Innenverteidigern. Die Mittelfeldräume beim HSV verwaisten zunehmend, da Hunt und Schaub sich weit fallen ließen oder auf die Flügel auswichen. Auf den Flügeln wiederum gewann Narey so gut wie kein Eins-gegen-Eins-Duell, sodass auch hier kein Raumgewinn erzielt werden konnte. In Temposituationen gelangte der HSV nur, wenn er Jatta in den Zwischenräumen fand.
Zu der offensiv wenig inspirierten Leistung gesellten sich noch defensive Fehler. Auf der (ohnehin nicht kurzen) Liste an vermeidbaren Gegentreffern dieser Saison markiert das 0:1 (39.) einen neuen Tiefpunkt. Gideon Jungs mehr als unnötige Gelb-Rote Karte (58.) beendete dann praktisch das Spiel. In Unterzahl war es für Aue noch leichter, den HSV über Mannorientierungen aus dem Spiel zu nehmen.
Hecking versuchte noch, über seine Wechsel neuen Schwung hereinzubringen. Fein (64., für Schaub) sollte als tiefer Sechser den Spielaufbau ankurbeln. Da jedoch auch Hunt sich fallen ließ, verkam das Hamburger Spielsystem zu einem gestreckten 4-2-0-3. Der HSV kam so selten in die hohen Räume. Später stellte Hecking auf eine Dreierkette um. Die 3-4-2-Formation war jedoch defensiv zu riskant, als dass sie hätte funktionieren können. Aue schraubte das Ergebnis folgerichtig auf ein 3:0 hoch.
Es steht mir nicht zu, die Einstellung oder Kampfstärke der Mannschaft zu bewerten. Aus taktischer Sicht ist jedoch unbestreitbar: Es muss sich etwas ändern beim Hamburger Sportverein. Im dritten Spiel in Folge gelingt es dem Gegner, mit einem mannorientierten 3-4-1-2 den HSV schachmatt zu setzen. Die kommenden Gegner wären blöd, würden sie nicht auch auf diese Variante setzen. Es braucht dringend Lösungen, wie der HSV sich gegen solche Gegner besser verkaufen kann. Ansonsten sollte sich die Führung wirklich bald nach einem Ochsenstall umschauen.