Marcus Scholz

16. August 2020

Ich hatte es Euch versprochen – und der schon fachlich unglaublich spannende Artikel von Dr. Olaf Ringelband hat alles gehalten. Der Artikel zeigt deutlich auf, wie weit weg wir bei der Nachwuchsentwicklung auf Fußballprofi-Basis noch von der Vorbereitung auf das reale Leben sind. Dass die Persönlichkeitsentwicklung noch hinter dem Sportlichen steht ist hinlänglich bekannt – es wird aber gern totgeschwiegen und verharmlost. „…Persönlichkeitsentwicklung ist (in den NLZ) oftmals eben nur zweit- oder drittranging. Man gewichtet das Sportliche immer höher. Man hat noch zu wenig verstanden, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt…“, sagt ober besser: schrieb Olaf gestern. Das bedeutet nicht selten: Je besser der Spieler, desto mehr darf sich dieser erlauben. Beispiele dafür hatte ich Euch ja auch schon genannt. Wobei es mir viel weniger darum ging, dieses oder jenes NLZ anzuklagen. Es ging mir nur darum, aufzuzeigen, warum wir bei der Generation X oft kaum noch echte Werte vorfinden, die mit Normalsterblichen gemein haben. Aber: Wo sollen die Jungs das denn auch herhaben, wenn sie in ihrer vielleicht prägendsten Phase davon nicht nur nichts beigebracht sondern sogar das Gegenteil vorgelebt bekommen?

Aber das soll alles anders werden. Beim HSV hat sich in den letzten Jahren intern schon sehr viel getan. Bernhard Peters hat Strukturen geschaffen, die langsam greifen. Zudem haben Trainer – wie am Freitag im Blog beschrieben – beweisen, dass man beim HSV sehr wohl weiß, was Verantwortung bedeutet. Selbst wenn der eigene Erfolg darunter litt, hat man Spieler nach oben (und manchmal auch nach unten) abgegeben, wenn die Aussicht auf Entwicklung woanders für die Spieler besser war. Zudem, und das ist am Freitag deutlich zu kurz gekommen, hat der HSV sein Individualtraining deutlich forciert und mit Rodolfo Cardoso, Mehdi Mahdavikia und Christian Rahn hier Ex-Profis dazu geholt, die sich intensiv den Talenten in Einzeltrainings widmen. Und das mit Erfolg, wie der aktuelle HSV-Kader schon bald aufzeigen soll. Denn mit Aaron Opoku, Jonas David, Josha Vagnoman  hat man drei eigene Talente zudem mit Amadou einen Neuzugang im Kader, die den Sprung schaffen können und sollen. Zumal mit Trainer Daniel Thioune ein Jugend-affiner neuer Trainer da ist, unter dem (mal wieder) ein Neuanfang gestartet werden soll.

Bei Thioune ginge es mit Hinterseer UND Terodde

Da passt die Meldung, dass der HSV an dem inzwischen schon 32-jährigen Zweitliga-Topstürmer Simon Terodde dran ist,  irgendwie nicht rein. Oder doch? Immerhin verdient Terodde beim Erstligisten 1. FC Köln noch 2,5 Millionen Euro bis Vertragsende 2021. Ergo: Ein teurer, alter Spieler auf dem Weg zum Karriereende anstelle eines jungen, günstigen Juwels auf dem Sprung in die Weltspitze. „Wenig einfallsreich“ bis „komplett uninspiriert“ nennen es viele. Und beides stimmt. Allerdings ist es irrelevant, solange der Spieler am Ende seinen Teil zum Plan beiträgt, den man verfolgt. Und der heißt beim HSV weiterhin Aufstieg in die Erste Liga. Mit der Einschränkung, dass nichts sofort „muss“. Aber: So schnell wie möglich.

Die Diskussionen werden solange geführt werden, bis entweder der Deal noch platzt – oder Terodde die ersten Siegtreffer erzielt hat. Das ist klar. Terodde bringt tatsächlich eine außergewöhnlich hohe Wahrscheinlichkeit mit, viele Tore zu erzielen. Und Fakt ist auch: Aktuell noch hat der HSV einen sehr jungen Kader. Zudem ist der neue Trainer nicht im Ansatz so festgelegt auf eine Sturmspitze, wie es Vorgänger Dieter Hecking noch war. Von daher ist sogar ein Verbleib vom spielerisch sehr ähnlich strukturierten Lukas Hinterseer im Falle einer Terodde-Verpflichtung denkbar.

 

Die Argumentation der HSV-Verantwortlichen basiert letztlich allein auf den Zahlen. Zehn, 16, 16 und 25 Treffer bei rund 33 Saisoneinsätzen im Schnitt – das ist Teroddes Zweitligabilanz der letzten vier Saisons, eher er in der abgelaufenen Saison einen erneuten Versuch, in der Ersten Liga durchzustarten, als erneut erfolglos abhaken musste. Statistiken, die aufzuzeigen, dass Terodde weiß, wie man in der Zweiten Liga erfolgreich ist – und das allein spricht für ihn.

Der HSV darf seine Linie nicht wieder verlassen

Aber wenn man sich schon so stark an Zahlen orientiert, dann MUSS der HSV dies auch konsequent bis zum Ende denken. Also inklusive aller Zahlen, wie Alter, eine mögliche  Ablösesumme, Gehalt und Vertragslaufzeit. Denn das Ziel Aufstieg kann man mit Terodde planen – darüber hinaus offensichtlich nicht. Denn so sicher Terodde in der Zweiten Liga trifft, in der Ersten reicht sein Durchsetzungsvermögen offensichtlich nicht. Von daher kann man von HSV-Seite nur einen kurzfristigen Vertrag  machen. Oder eben einen, der sich allein auf die Zweitligazugehörigkeit beschränkt.

Zudem muss von HSV-Seite die eigene Gehaltsstruktur eingehalten werden. Ausnahmen kann und darf es nicht geben, wenn man sich in den nächsten Jahren endlich vom Ruf des Eldorados für satte Fußballer lösen will. Dass das bei einem Jahresgehalt von 2,5 Millionen Euro schwer wird, sich mit dem Spieler zu einigen, hat beim HSV zuletzt der Fall Bobby Wood mehr als deutlich gemacht. Verzichten will keiner freiwillig. Daher hofft der HSV darauf, dass der 1. FC Köln seinem ausgemusterten Angreifer noch einen satten Geldbetrag mit auf die Reise gibt, damit man hier mit dem zuletzt zum maximalen Grenzwert titulierten Betrag von 600.000 Euro pro annum im Jahresgehalt auskommt. Alles andere wäre mehr als fatal.

 

Damit rechnen, dass sich dieser Transfer in den nächsten Stunden finalisiert, sollten wir meinen Informationen nach nicht. Von daher bleibt den Verantwortlichen noch Zeit, vielleicht doch noch die junge Vollgranate zu finden, die man beim HSV seit (zu) vielen Jahren nicht mehr hatte. Wie wichtig es wird, sich über Transfererlöse finanziellen Spielraum zu verschaffen, war selten deutlicher als heute. Und auch der Fingerzeig in Richtung Entwicklung anstelle zu so genannten „Sicherheitstransfers“ wäre wichtig.

Uninspiriert? Terodde nur „Sicherheitstransfer“

„Wir werden nur machen, was wir für vernünftig halten“, hatten zuletzt Sportdirektor Michael Mutzel und Sportvorstand Jonas Boldt gesagt – und ich muss zugeben, ich hatte tatsächlich auf mehr Eingabe der HSV-Scoutingabteilung gehofft. Darauf, den aufstrebenden Topstürmer zu finden, dessen Karriere hier begründet wird und mit dem der HSV sich wieder in die Erste Liga kämpft, um ihn dann teuer und gewinnbringend zu verkaufen. Das wird mit Terodde nicht passieren. Leider. Denn dessen sportliche Perspektive ist angesichts seiner 32 Lenze schon sehr endlich.

Und das ist dieser Blog für heute auch. Ich verabschiede mich aber nicht, ohne mich für morgen früh 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch anzumelden. Zudem melde ich mich selbstverständlich morgen Abend um 19 Uhr wieder mit dem Tagesblog an dieser Stelle. Bis dahin!

Scholle

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