Marcus Scholz

11. September 2019

Das Beste vorweg: Jan Gyamerah hat die schwierige Operation bereits hinter sich. Der schwer verunfallte Rechtsverteidiger wurde im Universitätsklinikum Eppendorf gleich am heutigen Nachmittag operiert. Die Diagnose: Bruch des linken Wadenbeines. „Die Verletzung ist ein großer Schock für uns alle. Es tut uns unglaublich leid für Jan, der sich menschlich und spielerisch großartig bei uns integriert hat und nach kurzer Zeit ein wichtiger Bestandteil unserer Mannschaft wurde“, sagte Sportvorstand Jonas Boldt heute via Vereinswebsite. Boldt weiter: „Wir werden alles dafür tun, um ihn in der schweren Reha-Phase bestmöglich zu unterstützen und haben vollstes Vertrauen in unsere medizinische Abteilung.“ und auch von uns kann es gar nicht oft genug wiederholt werden: Gute Besserung, Jan!

Was war passiert?

Um 10.48 läuft gerade das zweite Spiel in Turnierform auf verkürztem Feld. Vier Mannschaften sollten eine Siegermannschaft ermitteln. Plötzlich wurde es laut auf dem Platz - und still auf den Zuschauerrängen. Nach einem harmlosen Zweikampf mit Josha Vagnoman blieb HSV-Verteidiger Jan Gyamerah so unglücklich mit dem linken Bein im Rasen hängen, dass er sich selbiges schwer verdrehte und zu Boden ging. Das laut knackende Geräusch dabei habe ich noch immer in den Ohren - und allein das klang schon richtig übel. Allerdings wurde es im Anschluss noch viel schlimmer, als der Rechtsverteidiger selbst an sich herunter sah und mitbekam, was da gerade passiert war. Das linke Bein lag verkehrt herum auf dem Boden und sorgte zum einen für einen üblen Schock bei Gyamerah, zum anderen schrie er so laut vor Schmerzen, dass es auf den Zuschauerrängen blitzartig ruhig wurde.

Es war sofort klar, dass dieser Schrei eine üble Ursache haben müsste - und so kam es letztlich dann auch. Die herbeieilenden Co-Trainer Tobi Schweinsteiger und Alexander Hahn sowie der Physio Christian Tambach und Torwarttrainer Kai Rabe sahen die Schwere der Verletzung und kümmerten sich um den am Boden vor Schmerzen schreienden Gyamerah. Schweinsteiger hielt Gyamerahs Kopf ganz ruhig in den Händen und tröstete den Spieler - soweit das in der Situation noch ging. Derweil hielt Physio Tambach das linke, verdrehte Bein möglichst ruhig, während Rabe im Vollsprint loseilte und einen Krankenwagen rief, der dann auch binnen fünf Minuten vor Ort war. Er fuhr direkt auf den Platz, den Trainer Dieter Hecking inzwischen ebenso hatte räumen lassen wie Co-Trainer Hahn die Zuschauerplätze.

Hecking bricht das Training ab und kümmert sich um Gyamerah

Hecking wanderte mit seiner Mannschaft zwar zunächst noch einen Trainingsplatz weiter und ließ dort ohne Ball arbeiten - an richtiges Training war aber angesichts dieses Schocks kaum noch zu denken und Hecking brach auch gegen 11.30 Uhr ab. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Rettungssanitäter Gyamerah bereits an den Tropf angeschlossen und ihm ein Beatmungsgerät angelegt, während Hecking zum RTW ging, um sich nach Gyamerah zu erkundigen und ihm bis zu dessen Abtransport beizustehen. Nichts Unnormales in einer solchen Situation - ganz klar. Aber auch dieser Zusammenhalt - selbst Kaderplaner Mutzel eilte nach Empfang der Nachricht schnell von seinem Büro im Stadion raus zum Trainingsplatz - ein weiteres Indiz dafür, dass dieser HSV aktuell die richtigen Werte lebt. Man hält zusammen beim heutigen HSV.

Dennoch wirft diese schwere Verletzung auch sportlich eine Frage auf, die es für die HSV-Verantwortlichen gänzlich unromantisch zu beantworten gilt. Denn Rechtsverteidiger hat der HSV nicht gerade im Überfluss, obwohl gerade in den letzten Wochen ein Spieler wieder positiv auf sich aufmerksam zu machen wusste, der lange in einem Formtief steckte: Josha Vagnoman. Der Gewinner der silbernen Fritz-Walter-Medaille des DFB hatte sich geraden den letzten Tagen wieder in den Fokus des Trainers spielen können. „Josha ist seit drei Wochen zunehmend gut drauf. Das ist sehr ordentlich“, hatte Hecking gestern noch gelobt - und da noch nicht gewusst, wie wichtig der junge Außenverteidiger (der Rechtsfuß kann beide Seiten defensiv und offensiv spielen) so schnell schon werden würde. Denn abgesehen von Tim Leibold und eben Gyamerah ist Vagnoman der einzige nominelle Außenverteidiger - sofern man Khaled Narey nicht dazurechnet. Denn den hatte Hecking zuletzt schon als Rechtsverteidiger spielen lassen, um sich so eine weitere Option zu verschaffen. Wirklich zufrieden war Hecking mit dem „umfunktionierten“ Offensivspieler allerdings nicht.

Kommt noch ein weiterer Neuer? Tendenz: nein.

Da sich auch aus der eigenen U21 niemand wirklich aufdrängt, wird die Frage laut, ob sich der HSV noch einmal auf dem Markt der vertragslosen Spieler bedient. Die noch ohne Vertrag dastehenden Spieler wären sofort spielberechtigt - und es gibt auch tatsächlich gleich eine ganze Menge davon. Allerdings bewegen sich diese zumeist altersmäßig jenseits der 30. Einer der bekannteren Namen von ihnen: Giulio Donati. Der 29 Jahre alte Italiener lief bis zuletzt in 124 Bundesligapartien beim FSV Mainz und zuvor bei Bayer Leverkusen auf. Interessant: Im Juli 2013 holte Hamburgs Sportvorstand Jonas Boldt ihn von Inter Mailand zu Bayer Leverkusen. Ansonsten ist der Markt zwar breit - aber in der Spitze doch sehr überschaubar. Gut möglich bis sehr wahrscheinlich daher, dass der HSV versucht, bis zum Winter so über die Runden zu kommen, um dann gezielt einen Spieler verpflichten zu können.

Bisher die wahrscheinlichste Lösung wäre, Narey eine Position zurückzuziehen und dafür einen anderen Rechtsaußen zu bringen. Zumal Hecking gerade auf der Außenposition in der Offensive ein echtes Luxusproblem hat. Narey, Sonny Kittel, Bakery Jatta, Jairo Samperio, Xavier Amaechi und der gerade erst verpflichtete Martin Harnik beanspruchen allesamt ihren Platz in der Startelf. Und während Amaechi in der U21 Spielpraxis sammeln soll, scheinen die Karten für den erfahrenen und sowohl im Testspiel beim VfL Wolfsburg als auch im Training äußerst effektiven Harnik sehr gut zu sein. Ebenfalls denkbar: Hunt kehrt nach seiner Verletzung wieder ins Mittelfeldzentrum zurück, während Kittel auf die linke und Jatta auf die rechte Außenbahn rücken. Letztere wäre zwar nicht meine A-Lösung - ist aber nicht auszuschließen.

 

Fakt ist, dass es in den nächsten Trainingstagen noch einmal spannend wird, wer sich denn für das Derby am Montag beim FC St. Pauli für die Startelf empfehlen kann. Wichtiger als das ist jedoch, dass Jan Gyamerah schnell wieder gesund wird. Gerade er, der sich nach seinen schweren letzten Jahren mit unzähligen Verletzungen vom Karriereende wieder in Topform gespielt hat, hat so einen miesen Rückschlag am allerwenigsten verdient. Umso schöner ist, dass er beim HSV ein Umfeld vorfindet, das gerade in diesen Monaten eindrucksvoll bewiesen hat, wie loyal es gegenüber den eigenen Spielern ist. Von daher zweifle ich auch nicht eine Sekunde daran, dass Gyamerah das schafft, was zuletzt ein Jairo Samperio eindrucksvoll geschafft hat: Auch Gyamerah wird sein Comeback auf dem Rasen im HSV-Trikot feiern. Davon bin ich nicht nur fest überzeugt - sondern das wünsche ich ihm von dieser Stelle noch einmal von ganzem Herzen!

In diesem Sinne: Wir vom Rautenperle-Team wünschen Dir unendlich viel Kraft und Ausdauer auf dem Weg zurück, Gyambo! Du schaffst das!

Ich melde mich dann morgen früh um 7.30 Uhr wieder mit dem MorningCall bei Euch. Den Rest des Tages haben die HSV-Profis frei.

Bis morgen! Scholle

 

P.S.: Vielen Dank an Udo Magsig, der uns sein Foto zur Verfügung gestellt hat!

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