Marcus Scholz

31. März 2020

Ich weiß noch genau, wie der eine Teil der HSV-Mitglieder in der Kuppel in dem Moment tobte, als Bernd Hoffmann 2018 zum Präsidenten gewählt worden war. 12 Stimmen mehr als sein  Vorgänger Jens Meier reichten am Ende zum knappsten Ergebnis der HSV-Geschichte. „So sehen Sieger aus“ sang der eine Teil der HSV-Mitglieder, während die anderen pfiffen und wütend aus dem Zelt marschierten. Worte wie „das wird sich rächen“ waren da noch die netteren Kommentare der Hoffmann-Gegner, die am Sonnabend gejubelt haben dürften, als der seit 2018 im Eiltempo zum Vorstandsvorsitzenden aufgestiegene Hoffmann vom Aufsichtsrat freigestellt worden war. Hoffmann selbst hat die Vorwürfe gegen ihn intern als „Putsch“ bezeichnet und sieht sich als Opfer einer Verschwörung. Fakt aber ist: Bernd Hoffmann startete 2018 als Präsident mit einer Hypothek und vorhersehbaren Problemen einen Neuanfang, der nie wirklich einer wurde. Weil es nie einer war. In etwa so wie jetzt, wo der nächste Neuanfang beginnt, indem Angstszenarien geschürt und Gerüchte mit Tatsachen vermischt werden.

Denn wenn eines bei der gestrigen Pressekonferenz mit Marcell Jansen klar wurde, dann, dass sich der Exprofi nicht einer unbeschwerten oder gar entfesselten Zukunft widmen kann, sondern dass er aufräumen muss. Diesmal mit Gerüchten, die auch ihn betreffen. Er wolle Vorstand werden, heißt es. Und das wiederum nur, weil Klaus Michael Kühne sein Vertrauter ist und durch ihn endlich mehr Einfluss auf die Geschehnisse im Klub nehmen kann. So wird es auch hier kolportiert. Von vielen. Seltsamerweise auch von einigen, die auf der anderen Seite monieren, dass es der HSV nie wirklich schafft, einen Neuanfang hinzulegen.

Die Frage ist: Warum ist das in Hamburg so schwer?

Wobei die Antwort ebenso einfach wie tragisch ist: Weil der HSV es immer wieder zugelassen hat. Um mal beim aktuellen Beispiel zu bleiben: 2018 waren es die Geister, die man mit verschiedenen Aussagen selbst gerufen hatte. Immerhin hieß es vor Amtsantritt als Präsident 2018 von Hoffmann, dass er nicht auf das Amt des Vorstandsvorsitzenden aus sei. Knappe drei Monate später war er Interimsvorstand, im September wurde er hauptamtlicher Vorstand. Spätestens hier fühlte sich auch der letzte Kritiker bestätigt.

Und dieses Szenario wird heute bei Jansen gleichgesetzt vermutet. Wobei der Präsident des HSV e.V. zumindest diese Frage auf seiner ersten Pressekonferenz als Aufsichtsratsboss so beantwortete, dass hier keine Zweifel übrig geblieben sein dürften: Er sei mit Leib und Seele e.V.-Präsident und wolle dieses Amt bis mindestens zum Ende seiner Amtsperiode 2022 ausfüllen. Worte, an denen er sich messen lassen wird.

 

Und das sogar völlig zurecht, denn er hat die Worte selbst gewählt. Hätte er nicht machen müssen - hat er aber. Anders gestaltet sich das dagegen bei Klaus Michael Kühne. Hier bleiben sich die HSV-Anhänger und -Mitglieder treu und machen, was im Journalismus schon fatal ist, wie ich finde: Sie verwechseln Gerüchte mit Wahrheiten, nur weil die Szenarien theoretisch möglich sind. Wie gespalten der Zustand hier ist, hat unsere „Rautenperle-Frage der Woche“ auf den sozialen Kanälen noch einmal gezeigt. Während bei Twitter eine Mehrheit von 58,2 Prozent  bei 170 Votes in Kühne einen Fluch für den HSV sieht, sind es bei Facebook 712 Prozent der 4075 Stimmen, die in Kühne einen Segen für den HSV sehen. Aber allein die Tatsache, dass Kühne hier zum Kern-(Streit-)Thema wird zeigt, dass dieser HSV sich mal wieder selbst die Chance nimmt, tatsächlich neu durchzustarten.

Den Weg zu Kühne darf man nicht zubauen

Und das ist gefährlich. Zumal sich der HSV schon jetzt anfängt, Wege zu verbauen, die er vielleicht irgendwann brauchen kann. Mal ein Beispiel, was ich meine: Es gab beim HSV mal einen Sportlich Verantwortlichen, der für den Fall, dass der damals aktuelle Trainer gehen müsse, den Trainermarkt sondierte und einen interessanten Kandidaten ausgemacht hatte. Alles in Absprache mit dem restlichen Vorstand. Ein Problem wird das Ganze erst, als der vermeintliche Favorit des sportliche Verantwortlichen einem anderen Vorstand nicht gefiel und dieser einem ihm sehr wohl gesonnenen Medium zuspielte in einer Phase, in der es alternativlos war, dem aktuellen Trainer den Rücken zu stärken. So zwang der Vorstand den sportlich Verantwortlichen dazu, öffentlich alles bezüglich des neuen Kandidaten abzustreiten, um seinem Trainer nicht die Autorität abzugraben und so das Wohl des Vereines nicht zu gefährden. Denn der befand sich in einer entscheidenden, kritischen Phase der Saison  - und war fortan einen interessanten Trainerkandidaten ärmer. Und für alle, die jetzt aufschreien, wie himmelhoch unehrenhaft es doch sei, schon Nachfolge-Kandidaten zu scouten, bevor der aktuelle Coach entlassen wurde - genau so handhaben es tatsächlich alle Profiklubs. Und es tatsächlich nur fatal, wenn man eben nicht diesen Plan B bereithält.

In diesem Fall verbaut man sich für die nächsten Wochen und Monate jeden Weg, Klaus Michael Kühne wieder mit an Bord zu nehmen. Der war tatsächlich unter Hoffmanns Führung nicht bereit, in den HSV zu investieren. Und nur um auch mit dem Gerücht einmal aufzuräumen, Hoffmann hätte Kühne aktiv vom HSV ferngehalten: Auch Hoffmann hatte intern nie einen Hehl daraus gemacht, sehr wohl mit Kühne - wie mit allen anderen potenziellen Investoren - zusammenarbeiten zu wollen, sollt dieser denn hilfreich sein. Auch deshalb versuchte der geschasste Vorstandsvorsitzende noch im Februar dieses Jahres, den Wahlschweizer in einem persönlichen Gespräch für sich und die Abtretung seiner Darlehensforderungen zu gewinnen. Erfolglos. Denn Kühne wollte partout nicht mehr mit Hoffmann zusammenarbeiten. Und demnach auch nicht mehr mit dem HSV - was sich jetzt geändert haben dürfte.

Jansen und Co. gilt es kritisch zu begleiten

Selbstverständlich gilt es bei allen Vorhaben zu beachten, dass sich der HSV nicht wieder in Abhängigkeiten begibt. Die hatten Finanzvorstand Frank Wettstein und Marcell Jansen zuletzt erst gelöst, indem sie Kühne im Frühjahr 2019 dazu brachten, auf eine hohe zweistellige Millionensumme zu verzichten. Selbst unabhängige Finanzexperten wie Kai Krebs (Experte für Anlegermodelle und langjähriger Mitarbeiter von verschiedenen Versicherungskonzernen) sagte damals im NDR-Interview auf die Frage, wie lange der HSV noch durchhalten könne: „Gar nicht, weil in den vergangenen Jahren stets Sondereffekte die Bilanzergebnisse noch etwas erträglicher haben erscheinen lassen. Man möchte sich nicht ausmalen, welche Verluste der HSV tatsächlich hätte ausweisen müssen, wenn nicht Herr Kühne einen Forderungsverzicht von circa 40 Millionen und Vermarkter Lagardère einen Forderungsverzicht von bisher insgesamt sieben Millionen ausgesprochen hätten.“

Ergo: Kühne hat den HSV finanziell mit seinen Millionendarlehen in ein Abhängigkeitsszenario gebracht - das allerdings nicht er zu verantworten hat. Das haben die verschuldet, die auf Entscheidungsebene dafür verantwortlich waren, dass die vielen Millionen von Kühne nicht Erfolg steigernd sondern komplett erfolglos verpulvert wurden. Trotzdem hat sich Kühne letztlich dazu bereiterklärt, auf seine Millionenforderungen zu verzichten, um den HSV zu retten. „Ohne Kühne gäbe es den HSV schon lange nicht mehr“ heißt es heute immer wieder - und obgleich ich das nicht wirklich glaube, kann ich das zumindest nicht entkräften. Umso verwunderlicher ist es, dass Kühne jetzt plötzlich zum Inbegriff des Bösen herhält. Denn der HSV kann sich sehr wohl selbst schützen kann, indem er entweder seine Marketingerträge ausbaut oder mit Kühne alternative Finanzierungsmodelle beschließt, die für den HSV nicht in Abhängigkeiten münden. Der Stadionname ist da nur der Anfang.

Der HSV braucht keine Agst vor Kühne zu haben

Fakt ist: Der HSV hat sein Wohl und Wehe mit Kühne absolut selbst in der Hand. Kühne hatte keinen Einfluss auf die Abwahl Hoffmanns - er war nur einer von vielen Kritikern, wie er unverhohlen im Interview zugab. Stattdessen hat Kühne dem HSV die Unabhängigkeit überhaupt erst (teuer) geschenkt. Ich glaube, dass alle, die diesen Blog länger verfolgen, mir bestätigen werden, dass ich Kühne gegenüber immer kritisch war. Aber diese völlig verfrühte Panikmache vor dem bösen Investor ist für mich nicht tragbar. Sie mag vor Sonnabend dazu gedient haben, eine Position im Vorstandsstreit zu stärken. Aber damit muss es das auch gewesen sein. Ansonsten verbaut sich der HSV hier völlig voreilig einen Weg, der unter Umständen sogar unter Einhaltung aller Unabhängigkeit der HSV AG gangbar ist. Vielleicht ist eine gewisse persönliche Nähe zu Entscheidungsträgern in diesem Fall sogar der Schlüssel, um endlich einmal sinnvoll Millionen von Kühne zu investieren…

Wie schnell Gerüchte sich verselbständigen hat heute auch eine Meldung über die DFL gezeigt. Dabei soll bei der heutigen Telefon-Video-Konferenz der 36 Bundesligisten mit der DFL angeblich die Idee geboren worden sein, dass bei einem vorzeitigen Saisonabbruch nur die ersten beiden Mannschaften der Zweiten Liga aufsteigen und aus der Ersten giga niemand absteigt. „Quatsch“, habe ich vom HSV gesagt bekommen, es sei über ein solches Szenario heute nicht gesprochen worden. Aber das muss nicht heißen, dass es nicht noch Thema werden kann. Aber wie bei so vielem rund um den HSV dieser Tage sind alle gut beraten, sich mit den Fakten zu beschäftigen. Das ist zumeist schon aufreibend genug…

 

In diesem Sinne, der HSV und vor allem alle Anhänger sollten versuchen, das Thema Neuanfang beim HSV nicht auf der wackeligen Basis von Gerüchten schon im Keim zu ersticken. Denn bis dahin ist die aktuelle Situation eine Chance, die die Verantwortungsträger nutzen müssen. Mit guter Arbeit. In diesem Sinne, Euch allen einen ruhigen, schönen und vor allem natürlich gesunden Abend zuhause!

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