Marcus Scholz

12. Februar 2018

Da stehen wir nun. Auf Platz 17 der Tabelle. Mit einem ganz wesentlichen Unterschied zur Vorwoche: Denn dieses Wochenende hat uns noch mal verdeutlicht, dass es für den HSV um nichts anderes mehr gehen sollte, als den Relegationsplatz zu erreichen. Der direkte Klassenerhalt, wie ihn Felix Magath für die Hollerbach-Ära vorhergesagt hatte, ist weiter entfernt denn je. Nach den Siegen von Stuttgart und Bremen geht es aktuell nur noch darum, Köln hinter sich zu lassen und den FSV Mainz noch zu holen. Drei Punkte bis Mainz auf Rang 16, während Werder als 15. schon sechs und Stuttgart als 14. sogar sieben Punkte Vorsprung haben. Warum ich glaube, dass der HSV „weiter denn je“ vom Klassenerhalt weg ist? Weil dafür Siege vonnöten sind. Und der HSV gewinnt einfach nicht. Nicht so. Noch entscheidender für meine Aussage ist aber, dass man im Anschluss an die letzten Spiele (insbesondere nach Dortmund) selbst davon spricht, ein ordentliches Spiel gemacht zu haben. Das Positive hervorzuheben, wo man die offensichtlichsten und selbst verursachten Qualitätsmangel brutal vor Augen geführt bekommt – das ist Schönreden.

Wobei ich den Trainer hier noch herausnehmen würde. Er MUSS so sprechen. Er muss die Mannschaft schützen und sie aufbauen, ansonsten verliert er sie und damit wäre auch der letzte Funken Hoffnung zu begraben. Denn Zusammenhalt funktioniert mit dem öffentlichen Hammer bei diesen Sensibelchen im Kader nicht. Und viele Spieler, die überhaupt Bundesligaformat haben, hat der Trainer zudem nicht. Hollerbach kann sich gar keine Ausfälle mehr erlauben. Es sind insbesondere offensiv sogar so wenig Alternativen, dass heute schon ein Nicolai Müller von den Verantwortlichen als Hoffnungsträger genannt wird, obwohl dieser noch mindestens drei, vier Wochen, eher sogar sechs bis acht Wochen brauchen wird, um wieder spielfit zu sein. Nein, de facto werden hier Hoffnungen geschürt, die nicht realistisch sind. Und für alle, die jetzt kommen, und sagen „aber es ist doch besser geworden“: Ja, das stimmt. Aber so schlimm das auch klingt, selbst das reicht einfach noch nicht.

Und es werden jetzt mindestens sechs Tage folgen, die symbolisch für die letzten Jahre stehen werden. Glaube ich. Denn völlig unabhängig von dem Wahlergebnis am Sonntag bei der Mitgliederversammlung werden beide Kandidatenteams sich bemühen, möglichst viele Wähler mit möglichst plakativen Versprechen und Anklagen für sich zu gewinnen. Warum? Weil das am einfachsten und effektivsten ist. Es funktioniert. Bernd Hoffmann hat sogar ein Plus auf seiner Seite, für das er noch nicht einmal etwas machen muss: den aktuellen Misserfolg. Ich habe mich in den letzten Wochen mit sehr, sehr vielen Leuten unterhalten, die größtenteils auch eine Meinung zu den Kandidaten haben. Mein Eindruck danach hat mich einerseits erschreckt – andererseits ist er auch nicht wirklich überraschend. Denn in diesem Fall ist es wie in vielen anderen Bereichen des HSV der letzten Jahre auch, dass viele schon im Ausschlussverfahren wählen.

Und bei allem Wahlkampf werden die wahren Probleme zwar immer wieder benannt – aber bislang haben weder das Team Hoffmann noch das Team Meier klar gesagt, wie sie die Kernprobleme lösen wollen. Vorwürfe werden hervorgehoben. Eine erste echte Aufarbeitung mit Lösungsansätzen bietet diese Präsidiumswahl im Vorfeld nicht. Leider nicht. Was irgendwie auch wieder typisch ist für den HSV. Es ist typisch dafür, dass personelle Veränderungen selten den erhofften Effekt hatten. Egal wie großspurig hier Heilsbringer erwartet und angekündigt wurden, es wurde bislang eher schlimmer.

Am schlimmsten aber ist, dass hier das als Heilmittel erachtet wird, was diesen HSV sukzessive zerstört: Politik. Wie sonst ist zu erklären, dass dieser HSV mit dem vielleicht schwächsten Kader der eigenen Geschichte im Winter nicht personell nachgebessert hat. Oder besser formuliert: Wie kann es sein, dass die dafür Verantwortlichen noch in Amt und Würden sind? Wo ist hier die Führung? Wo ist hier der aktuell so viel diskutierte Aufsichtsrat gewesen? Richtig: Bereits ausgeschaltet, da der amtierende Präsident Umbesetzungen vorgenommen und der neue wiederum neue Umbesetzungen in den Raum gestellt hatte. Gut, dass die Räte nichts unternommen haben, ist tatsächlich nicht wirklich anders als das gesamte Wirken des Aufsichtsrates Nummer eins nach der Ausgliederung. Das Fatale hierbei: Dieses vernichtende Bild der Vereinsstruktur hat sich brutal auf das sportliche Abschneiden ausgewirkt.

Dass die gegnerischen Trainer immer wieder davon sprechen, der HSV habe es ihnen nicht leicht gemacht und sei ein schwieriger Gegner gewesen, das muss man stark relativieren. Das ist kein Indiz für tatsächliche Verbesserungen. Denn Trainer untereinander attackieren sich normalerweise nicht. Es ist eher ein Gebot der Höflichkeit und des Respektes, die Gegner erst einmal zu loben. Das machen selbst die Bayern immer wieder, obwohl sie 80 Prozent ihrer Spiele mit einer Dominanz gewinnen, dass das Zuschauen schon langweilig ist. Von daher ist es ein für mich umso alarmierenderes Zeichen gewesen, als Markus Gisdol anfing, immer wieder diese Komplimente als Beleg dafür anzuführen, dass eigentlich doch nicht alles so schlecht ist.

Auch Bernd Hollerbach, der eigentlich dafür bekannt ist, seinen ersten Gedanken ungeschönt mal laut auszusprechen, muss sich hier einigen Mechanismen ergeben. Das geht nicht anders. Schließlich ist er sogar vertraglich verpflichtet, gegenüber verschiedenen Medien Rede und Antwort zu stehen. Also auch dann, wenn ihm eigentlich nichts Positives in den Sinn kommt, wie in den letzten Wochen sicher oft genug. Ein Beispiel? Intern hatte der Neutrainer klar und deutlich signalisiert, dass dieser Kader Verstärkungen bekommen muss. Öffentlich nannte er es „der Sportchef kennt meine Wünsche“.

Nachdem der Sportchef dann diesen existenziellen Wunsch unerfüllt gelassen hatte, sagte Hollerbach nur, dass es den schwierigen finanziellen Möglichkeiten geschuldet sei. Und das in dem Wissen, dass Klaus Michael Kühne Hilfe angeboten und der Vorstand diese abgelehnt hatte. Zu allem Überfluss demonstrierte Hollerbach (wie Gisdol zuvor genauso) auch noch Loyalität, indem er anfügte, dass er auch so einen guten Kader habe. Die Folge ist absehbar: Im Falle von Hollerbachs Scheitern - und das wäre ein Abstieg zweifellos – werden alle wieder sagen, er habe die Mannschaft nicht besser gemacht. Dabei war sie nie ausreichend gut, um auf Erstligaebene zu bestehen und wurde trotz dauernder Warnungen von ihm nicht ausreichend verbessert, weil sich die Granden des HSV in Grabenkämpfen um Macht und Prestige wieder über das Wohl des HSV gestellt hatten.

Beim Namen genannt bedeutet das, dass dieser HSV geradewegs darauf zusteuert, mal wieder bzw. wie immer einen mit vielen Erwartungen verknüpften Neuanfang zu versauen. Weil auch der wieder nur halb gemacht wird. Ein neuer e.V.-Präsident wird gewählt – und dann? Nein, außer weiteren Themen, die vom Wesentlichen ablenken, nämlich dem puren Existenzkampf in der Bundesliga, ergibt sich daraus erst einmal nichts. Und erst, wenn es im Sommer zu spät ist, werden hier die ersten sagen: Hätten wir mal im Winter schon...

Was für den Moment bleibt? Tatsächlich nur Hoffen. Diese Hoffnung basiert allerdings auf immer weniger Grundlage. Womit wir wieder beim Beispiel Nicolai Müller sind, der schon angeführt wird. Oder die Youngster, die mehr aus der Not heraus denn konzeptionell begründet hineingeworfen werden. Sie müssen hineingeworfen werden, was man Hollerbach noch nicht einmal vorwerfen kann. Er verwaltet das Übel, das dem HSV von den Verantwortlichen eingebrockt wurde. Wie viele seiner inzwischen als untauglich befundenen und gefeuerten Vorgänger auch schon.

Apropos junge Spieler: Josha Vagnoman zählt zweifellos zu den größten Talenten des HSV. Auch deshalb wähnte ihn Vorstandsboss Heribert Bruchhagen schon vor Dortmund nahe am Kader. Und auch deshalb unterbreitete der HSV dem Jungen auch schon einen Profivertrag über fünf Jahre bis 2023. Aber der ist noch nicht unterschrieben. Zum einen, weil unklar ist, wo es mit dem HSV hingeht. Zum anderen, weil er finanziell - an den geringen Möglichkeiten des klammen HSV orientiert – nicht besonders lukrativ zu sein scheint. Und wie immer in solchen Fällen, stürzen sich die Topvereine auf derartig auffällige Talente. „The Sun“ vermeldet heute, dass neben Chelsea, Man City und Bayern auch der FC Arsenal Interesse an dem 17-Jährigen haben soll. Und weil das noch nicht genug Topklubs sind, kam heute auch noch Paris Saint Germain dazu, wenn man den französischen Kollegen trauen darf.

Okay, auch das ist zweifellos eine Personalie, die man mit Rücksicht aufs Sportliche noch in Ruhe und im Hintergrund bearbeitet werden muss, um im Vordergrund den Fokus nur auf das fußballerische Überleben zu legen. Aber sie ist deshalb nicht minder wichtig für die Zukunft und ein nicht zu unterschätzender Vorbote dessen, was in den nächsten Wochen ebenfalls auf den HSV zukommt: Allerlei Leichenfledderer, die auf der personellen Ebene beim designierten Absteiger das Schnäppchen wähnen und mit ihrem Werben hier für mächtig Unruhe sorgen werden.

In diesem Sinne, Euch allen einen ruhigen Montagabend. Morgen wird um 10 und um 15.30 Uhr öffentlich trainiert.

 

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