Marcus Scholz

6. Oktober 2018

Es ist dramatisch. Kein Handy – und das im tiefsten Osten. Das passt ungefähr so gut zusammen wie der HSV und die Champions League – denn ich habe hier nach langer Recherche tatsächlich gar kein Chance, mich wieder zu mobilisieren. SIM-Karte nach drei falschen Eingaben (meines kleinen Sohnes) gesperrt – PUK in Hamburg. Und die Telekom-Hotline ist so hilfreich wie – ach, lassen wir die Vergleiche. Es ist auf jeden Fall hoffnungslos, daher konnte ich diesen Blog leider erst sehr spät anfertigen. Und dabei habe ich ein paar Worte zur Wertung und Einschätzung des Spiels in Darmstadt gefunden, was sich mit einem Tag Abstand oft noch etwas objektiver beurteilen lässt.

Und dabei lasse ich Felix Magaths Interview noch mal komplett außen vor, um hier zunächst einmal auf das Wesentliche einzugehen. Cristian Titz hat darauf die richtige Antwort im Interview heute gegeben. Wesentlicher für mich ist und bleibt der HSV samt seiner Ergebnisse. Ein 2:1 in Darmstadt klingt dabei erst einmal knapp. Und das war es letzten Endes ja auch. Wie nahezu jedes Spiel mit einem späten Anschlusstreffer wurde auch dieses Spiel noch mal spannend, obgleich elbiges vorher längst hätte entschieden sein müssen.

Und allein darin mache ich einen Kritikpunkt an diesem Auswärtsspiel an sich fest. Denn die Art und Weise, wie der HSV in der zweiten Halbzeit die sich ihm bietenden Räume verschenkt hat, war fahrlässig. Aus einem klaren Sieg, den man 89 Minuten souverän spielte, wurde so noch ein Zitter-Ende. Und das, obwohl Aaron Hunt und Co. in den letzten Wochen immer genau davon geträumt hatten: Ein frühes Tor (oder gar zwei), um den Gegner aus seiner Betonabwehr zu locken und so endlich die Räume zu haben, um schnelle Gegenangriffe zu starten. Immer wieder wurde (zurecht, wie ich finde) die vorhandene Offensivqualität gelobt. Aber in Darmstadt stach sie nur in der ersten Hälfte. In der zweiten Hälfte verfiel der HSV trotz des prädestinierten Konterspielers Khaled Narey auf der linken Seite in eine Form von Selbstgefälligkeit und Trägheit, die gefährlich ist – und letztlich auch dazu führte, dass der eigentlich klare Sieg noch einmal unnötig in Gefahr geriet.

Und dabei muss man klar feststellen, dass die rechte HSV-Seite mit Gotoku Sakai und Hee-chan Hwang neben der Innenverteidigung eine deutliche Schwachstelle darstellte. Denn während Sakai 85 mal in Ballbesitz kam, schaffte er es, fast jeden vierten Ball zum Gegner zu spielen. Ein schlechter Wert – aber noch nicht dramatisch. Bedenkt man dabei aber, dass Sakai etliche schnelle Gegenangriffe zumeist abbrach, indem er in die Mitte zog oder zurück passte, wird deutlich, dass hier Bedarf besteht.

Ob und inwieweit das Spiel des Japaners das seines Vordermannes Hee-chan Hwang negativ beeinflusst, vermag ich nicht abschließend zu beurteilen. Aber bei dem Südkoreaner hakt es. Immer mehr. Aus teilweise großartigen Ansätzen heraus zeigt Hwang keine gezielten Vorstöße. Weder als Passgeber, noch im Eins-gegen-Eins. Dafür zeigt er zunehmend viele Ball- und Zweikampfverluste. Offensiv wohlgemerkt – den defensiv ist der letzte Neuzugang bislang noch nicht zu bewerten – da er gar nicht daran teilnimmt. Und das ist vielleicht auch besser so, denn wenn er dann doch mal hinten aushilft, wird es meist gefährlich. In die falsche Richtung…

Dafür haben gestern endlich mal wieder Lewis Holtby und Aaaron Hunt abgeliefert. Sie haben im Grunde genau das gemacht, wofür sie gehalten wurden: In einer außergewöhnlichen Drucksituation Verantwortung übernommen. Dass sie beide zudem noch getroffen haben, war umso schöner. Allerdings muss man auch so kritisch bleiben und erkennen, dass auch sie die Spannung im eigenen Team in der zweiten Halbzeit nicht hoch genug gehalten haben. Völlig am Arsch vorbei gehen sollte derweil die Kritik, dass Holtby zum Trainer läuft, um mit dem in die Kritik geratenen Coach sein Tor zum 2:0 zu feiern. Oder hat sich irgendwer darüber beschwert, dass die Fans in Darmstadt am Spielschluss minutenlang den Trainer mit Sprechchören gefeiert haben? Nein! Ud das ist auch gut so. Denn es ist eher ein positives denn ein negatives Signal. Eines, das übrigens auch von anderen Spielern aus der Mannschaft kommt, wie beispielsweise von Aaron Hunt.

Und der Kapitän ist nicht unbedingt bekannt für Überschwenglichkeit, dafür aber für Sschlichkeit. Und Hunt sagte gestern: “Wir haben heute eine gute Reaktion gezeigt und das Spiel knapp 80 Minuten komplett im Griff gehabt. In den letzten zehn Minuten haben wir es dann unnötig spannend gemacht.” Und dabei bezog er sich ausdrücklich mit ein. Zudem sagte er bei Sky zum medialen Theater im Vorfeld: “Natürlich kriegen wir das mit. Aber wir haben uns davon nicht verrückt machen lassen.”

Was ebenfalls bleibt ist das Thema Defensive. Und das lässt sich diesmal auch statistisch untermalen. Denn die Zweikampfwerte, die bei guten Verteidigern jenseits der 80 Prozent liegen, lagen bei den HSV-Verteidigern bei maximal 66 Prozent (nur Douglas Santos). Auf der anderen Seite erreichte Sakai gerade einmal 59 Prozent gewonnene Zweikämpfe, während van Drongelen nur jeden zweiten Zweikampf gewann und David Bates sogar nicht einmal das schaffte. Der Schotte gewann zehn Zweikämpfe – und verlor elf. Das sind wahrlich alarmierende Werte, die sich leider wiederholen und mehr als deutlich machen, dass sich der HSV defensiv nicht ausreichend aufgestellt hat für diese Liga.

Dass sowohl Trainerteam als auch Vorstand auf eine schnellere Rückkehr Gideon Jungs hoffen, verdeutlicht, dass man sich bei der Zusammenstellung des Kaders defensive verschätzt hat. Ergo: Wenn der HSV noch einen Notgroschen für etwaige Verstärkungen im Winter hat, dann sollte er sich zwingend nach einem Innenverteidiger und einem Rechtsverteidiger umsehen. Leo Lacroix und Bates sind jedenfalls nicht die Lösungen für dieses Problem. Übrigens wären sie dies in meinen Augen auch nicht, wenn sie nicht verstärkt am Aufbauspiel teilnehmen müssten…

Aber okay, da bis Winter eh nichts passieren kann, wird es in den nächsten Wochen auf ganz sicher so bleiben, dass diese Mannschaft von seiner Offensivqualität zehren und immer wieder darauf angewiesen sein wird, das gegnerische Abwehrbollwerk mit einem (möglichst frühen) Tor zu knacken, um anschließend die sich bietenden Räume zu nutzen und schnell ausreichend nachlegen. Dass dabei zwei Tore längst keinen sicheren Sieg bedeuten bieten wissen wir nicht erst seit Darmstadt.

Christian Titz versuchte dieses Problem zunächst mit massiv verstärkter Offensive zu lösen. Er suchte die Flucht nach vorn - und suchte zuletzt mit zwei Sechsern die Goldene Mitte der zwei (offensivere und defensivere) Varianten. Von Gideon Jung darf man sich in gesundem Zustand hierbei zweifellos eine deutliche Verstärkung erhoffen – aber Knieverletzungen und -Operationen wie die seine sind schwer abschätzbar und deshalb sollte man noch nicht zu viel Hoffnung auf dessen Rückkehr verschwenden. Zumindest nicht, bis er tatsächlich wieder da ist und topfit wieder spielen kann.

Wer also weiterhin davon spricht, dass dieser HSV der FC Bayern der Zweiten Liga ist  und diese Liga nach Belieben dominieren MUSS und gar meint, dass 2:1-Siege wie in Darmstadt oder ein 1:0 in Dresden zu wenig sind, der hat wirklich noch nicht verstanden, wo dieser HSV aktuell steht. Denn dieser HSV ist in der Zusammenstellung defensiv (bei egal welchem System) zu anfällig. Und es gilt, diese Anfälligkeit zu überbrücken und sie bis zum Winter nicht in zu viele Punktverluste münden zu lassen. Spätestens bis dahin müssen die Verantwortlichen (sofern noch nicht geschehen) genau analysieren, welche Korrekturen vorzunehmen sind, um mit seiner Offensivqualität endlich auch aus seiner sicheren, stabilen Defensive agieren zu können.

Übrigens: Eine Ableitung “Etat = Leistungsvermögen” verbietet sich beim HSV schon seit Jahren. Und das gilt sicher noch mindestens so lange, wie man Mond-Verträge wie den von Pierre Michel Lasogga und Kyriakos Papadopoulos mitschleppt. Ohne diese beiden würde sich der Gehaltesetat mal eben um knapp 6 Millionen Euro auf rund 22 Millionen absenken und somit noch deutlicher unter dem der meiner Meinung nach auch nominell stärkstens Zweitligamannschaft des 1. FC Köln (rund 31 Mio) liegen.   

Und dann noch eines: Ich habe heute bei Kolegen gelesen, dass das Vertrauensverhältnis Titz/Vorstand nicht so einfach zu kitten sei. Und das stimmt sicherlich. Allerdings kann man diese Situation auch umgekehrt nutzen: Denn nicht selten ist aus einer größeren, am Ende aber gemeinsam durchstandenen Krise eine gefestigte und umso unerschütterlichere Beziehung geworden. Und wenn der HSV den Blick für die Realität endlich ein wenig nachjustiert und sich nicht von Meinungsmachern beeinflussen lässt geschweige denn mit ihnen koaliert, sollte das tatsächlich drin sein...

In diesem Sinne, bis morgen! Da meldet sich unser Freund Tobias Escher an dieser Stelle bei Euch mit seiner Taktik-Analyse. Ich wünsche Euch erst einmal einen schönen Rest-Sonnabend und einen noch schöneren Sonntag!

Scholle

 

*** Update zum Blog am 07.10.2018: Aufgrund einer spontanen Unpässlichkeit muss die für heute angekündigte Taktikanalyse leider verschoben werden. Diese wird morgen folgen. Hierfür entschuldigen wir uns und bitten gleichzeitig um euer Verständnis. Vielen Dank! ***

 

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