Marcus Scholz

9. April 2020

Dass etwas mehr Ruhe hilfreich sein kann, dürfte bei kaum einem anderen Klub so bekannt sein, wie beim HSV, der sich in den letzten Jahren viel zu oft mit Unruhen in Unzeiten selbst geschwächt hat. Dass der HSV hier noch immer gefährdet ist hatte nicht zuletzt der Streit auf Vorstandsebene zu Beginn der Coronakrise verdeutlicht. Allein die Beteiligten schwören darauf, dass man sich jetzt so neu aufgestellt hätte, weil man aus den Fehlern der Vergangenheit dazugelernt hätte. Einer der Kernbereiche war zuletzt immer sich der eigene Nachwuchs. Wirklich von unten bis nach oben geschafft hatten es zuletzt Jonathan Tah und Heung Min Son. Fiete Arp, der zum Inbegriff der neuen Talentausbildung des HSV werden sollte, stürzte indes zuletzt erst einmal hart ab und wurde für die aktuellen HSV-Verantwortlichen so unfreiwillig zum Lehrbeispiel für alles das, was man im Umgang mit jungen Talenten falsch machen kann. Ergebnis: Es wurde zuletzt sehr ruhig um den eigenen Nachwuchs.

Okay, dass sich Josha Vagnoman und der HSV über eine Vertragsverlängerung bis 2024 einig sind, ist bekannt. das hatten wir hier ausführlich berichtet Der Rechtsverteidiger, der seit dieser Woche auch wieder im Mannschaftstraining steht, hat seinen Durchbruch auf Profiebene auch geschafft und gilt als Investition in die Zukunft. Ansonsten aber ist es beim HSV vergleichsweise ruhig um so genannte Toptalente. Die U21 hinkt in der Regionalliga den eigenen Ansprüchen aus verschiedenen Gründen noch deutlich hinterher. Die U19 spielt in der Bundesliga nur im Mittelfeld und hat jetzt schon 20 Punkte auf Tabellenführer Werder Bremen Rückstand. Entsprechend ruhig war es zuletzt um Nachwuchsspieler geworden. Und während in den letzten Jahren oft aktionistisch Spieler wie Jonas Behounek (inzwischen bei Großenaspach in der 3. Liga), Ashton Götz, Dren Feka (beide inzwischen Drochtersen-Assel/Regionalliga) und viele mehr öffentlichkeitswirksam mit Profiverträgen ausgestattet wurden, aber für den Profibereich bedeutungslos blieben, verzichtet man derzeit genau darauf.

Das Motto: Erst machen - dann reden

Und das aus Prinzip. Sportvorstand Jonas Boldt und Sportdirektor Michael Mutzel verzichten darauf, eigene Talente hochzujubeln, bevor diese nicht den Schritt geschafft haben. Das neue HSV-Motto „erst machen, dann darüber sprechen“ funktioniert. „Auch, weil man den jungen Spielern oft keinen Gefallen tut, wenn man sie zu früh einer erhöhten Aufmerksamkeit aussetzt“, weiß Michael Mutzel, der einen ständigen, direkten Draht zum Nachwuchsleiter Sebastian Harms pflegt. Mutzel war selbst in seiner Zeit bei der TSG Hoffenheim Leiter der Nachwuchsabteilung und kennt sich in diesem Bereich gut aus. „In den letzten Jahren ist es oft zu schnell dazu gekommen, dass zweifellos talentierte Fußballer Profiverträge bekommen haben. Aber ebenso kam es zu oft vor, dass nach der Unterschrift ein Abwärtstrend bei den Spielern einsetzte, weil der Druck abgefallen war, der zuvor wesentlicher Bestandteil der Motivation war, es schaffen zu wollen.“  Soll heißen: Zu oft wirkten Talente nach der Unterschrift unter den Profivertrag satt.

Ich habe mich in den letzten Tagen viel mit dem HSV-Nachwuchs auseinandergesetzt und hierbei natürlich vor allem um die Spieler gekümmert, von denen ich persönlich glaube, dass sie den Sprung in den Profibereich schaffen können. Im Winter schon waren Anssi Suhonen und Jona Fabisch im Portugal-Trainingslager der Profis dabei, um direkt im Anschluss trotz vieler Komplimente wieder in der U21 zu spielen. Das aus meiner Sicht größte Talent im Nachwuchs war dagegen gar nicht erst dabei: Faride Alidou. „Der Austausch mit den Trainern und der Leitung im Nachwuchs ist sehr intensiv und sehr umfangreich. Er geht immer auch über das hinaus, was auf dem Platz zu sehen ist. Wir haben den jungen Spielern gegenüber im Rahmen ihrer Entwicklung eine Gesamtverpflichtung“, so Mutzel, der betont, dass es gerade beim Übergang vom Nachwuchsspieler zum Profi sehr viele „Kleinigkeiten“ zu beachten gilt, die nicht selten sogar darüber entscheiden, ob die Talente den Sprung schaffen oder nicht.

 

Beim HSV hat das zu einer angenehmen Zurückhaltung geführt. Man hat im Nachwuchsbereich tabellarisch zweifellos Nachbesserungsbedarf. Allerdings hat man es endlich aufgegeben, für ein paar Tage Applaus Spieler zu Profis zu machen, die de facto noch nicht so weit sind. Mehr noch: Man hat inzwischen schon Spieler befördert, ohne das öffentlich bekannt zu machen. Dien lange Sicht wird dem kurzen Applaus vorgezogen, wie beispielsweise bei Faride Alidou. Der 18-Jährige wurde bereits zu Saisonbeginn vom Jugendspieler zum Profi befördert - ohne es öffentlich zu kommunizieren, da man dem jungen Offensivspieler zwar Anerkennung für seine Leistungen zeugen wollte - ihm aber parallel zu viel Druck durch erhöhte Aufmerksamkeit ersparen wollte. Anstatt ihn publikumswirksam ins Profitraining zu ziehen, verzichtete man bei dem Offensivspieler darauf und ließ ihn größtenteils sogar altersentsprechend in der U19 spielen.

Zwei Talente schon heimlich langfristig gebunden

Schaut man sich bei transfermarkt.de um, steht hinter Falidou sogar noch der 30. Juni 2020 als Vertragsende beim HSV. Dabei hat er seinen Vertrag längst verlängert. Gleiches gilt für andere Nachwuchsspieler wie Schonen beispielsweise, die teilweise längerfristige Vertragsbieler-Verträge („Nicht-Amateur ohne Lizenz“) bekommen haben, die sich in Profiverträge wandeln, wenn entsprechende Leistungen erreicht wurden. Diesen Spielern habe der HSV durch die Vertragsverlängerungen deutlich gemacht, dass man große Stücke auf sie hält und mit ihnen langfristig zusammenarbeiten will, so Mutzel. Parallel dazu hat man aber vermieden, den Spielern verfrüht das Gefühl zu vermitteln, sie hätten schon alles geschafft. Soll heißen: Der HSV hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Statt darüber zu sprechen, was man machen will macht man erst und spricht dann darüber. Übrigens: Dass ich das mit Alidou und Suhonen herausgefunden habe war den HSV-Verantwortlichen gar nicht so lieb. So positiv solche Meldungen auch sind, hat man darauf verzichtet. Ginge es nach Boldt, Mutzel und Co, würde es weiterhin nicht kommun ziert werden.

 

Da inzwischen aber etliche Berater und Scouts anderer Vereine auf diese Spieler aufmerksam geworden sind und sich nach ihren Vertragssituationen erkundigt hatten, war dieses Geheimnis als solches nicht mehr zu halten. Und mich bestärkt diese vernunftorientierte Zurückhaltung der HSV-Verantwortlichen in dem Gefühl, dass man nach innen an seine Nachwuchsspieler die richtigen Werte vermittelt. Dass man noch immer Luft nach oben hat, was Eigengewächse im Profiteam betrifft, die es letztlich auch schaffen - logisch. Aber man hat im Umgang mit seinen Talenten definitiv dazugelernt und verzichtet endlich auf falschen Aktionismus.

In diesem Sinne, bis morgen. Da werden wir uns hier wieder melden. Ob des Feiertages leider ohne MorningCall, dafür aber am Abend wieder mit dem Tagesblog. Bis dahin Eich allen einen schönen Abend! Und vor allem: Bleibt gesund.

Scholle

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