Marcus Scholz

29. Juli 2019

Und plötzlich wurde er laut. „Ich bin da gestern nicht groß drauf eingegangen, aber wenn der Videoassistent ihn der ersten Halbzeit den Elfer für uns gibt, dann läuft das Spiel vielleicht auch ganz anderes. Wir müssen immer alles betrachten, nicht nur schwarzweiß“, fing HSV-Trainer Dieter Hecking noch relativ moderat an, sich über die heutige Berichterstattung zu ärgern. In der Tagespresse war des Öfteren von einem glücklichen Punkt per geschenkten Elfmeter die Rede. Und auch deshalb wurde Hecking an diesem Punkt etwas lauter, energischer: „Dass wir Glück haften ist doch Schwachsinn. Es hat noch nichts mit Hilfe oder Geschenk zu tun, dass sie da eingreift. Das ist eine Meinungsmache, die ich null akzeptiere. Da wird auch Bibiana Steinhaus (saß als Videoschiedsrichterin in Köln, d. Red.) in ein Licht gesetzt, als wolle sie uns irgendein Geschenk machen in der 95. Minute. Das geht nicht - und  das war ein klarer Elfmeter“, echauffierte sich Hecking zunehmend. „Das wird auch dem Videoschiedsrichter nicht gerecht. Das ist doch kein Geschenk gewesen! Ich hätte mich eher fürchterlich drüber aufgeregt, wenn da nichts aus Köln gekommen wäre.“ Punkt.

Den holte der HSV zwar gegen Darmstadt, aber das machte Hecking nicht wirklich glücklich. Es veranlasste ihn aber immerhin dazu, die Moral der Mannschaft noch einmal zu loben. Besonders Manuel Wintzheimer durfte sich über ein kleines Sonderlob freuen: „Wir wollten mit Manu Wintzheimer noch mal Wucht vorn reinbringen“, so der HSV-Trainer zur Einwechselung des jungen Angreifers, der letztlich den Elfmeter herausholte, oder wie Hecking es nannte: „Er hat dann auch den entscheidenden Moment gezogen.“

Wintzheimer mit Sonderlob von Hecking

Auch insgesamt darf sich Manuel Wintzheimer inklusive seiner gestrigen Einwechslung über sechseinhalb sehr gute Wochen freuen. Im Trainingslager mutierte der Mittelstürmer mit seinem unbändigen Willen und dem direkten Weg zum Tor zum Aushilfs-Linksaußen. Immer wieder ging er mit Tempo bis zur Grundlinie, um den Ball schussgewaltig und scharf in die Mitte zu bringen. Und was bei dem technisch limitierten Angerufen oft etwas unkonventionell aussieht, hat durchaus praktische Vorteile. Denn selbst wenn die Flanke mal abrutschte, war sie so scharf, dass Wintzheimer damit nicht selten den gegnerischen Keeper vor größere Probleme stellte. Dennoch weiß auch Wintzheimer nicht erst seit der Verpflichtung des jungen Arsenal-Talentes Xavier Amaechi („Ssaviee Amitschi“ ausgesprochen, wie uns Amaechi selbst heute verriet), dass es für ihn vorn noch schwerer als zuletzt wird, sich seinen Platz zu ergattern.

Zumal auch für das Sturmzentrum weiter nach einem Spieler gesucht wird. Dennoch, bevor der nächste Neue verpflichtet wird, wird der HSV weiter versuchen, seine nicht mehr eingeplanten Spieler abzugeben. Vasilije Janjicic ist auf eigene Faust unterwegs, soll sich aber zu einem Preis anbieten, der relativ unrealistisch für seine fußballerische Vita sei. Die anderen Verkaufskandidaten - Julian Pollersbeck oder auch Tatsuya Ito - haben weiterhin nichts Konkretes vorliegen. Lediglich bei Gotoku Sakai, der gegen Darmstadt nicht im Kader stand, soll sich das Ganze etwas anders gestalten. Hier soll es durchaus Interessenten geben. Aber auch hier scheinen die Vorstellungen des Spielers noch nicht mit den ihm vorliegenden Angeboten zu korrelieren. Ein Problem für Sportvorstand Jonas Boldt? Vielmehr sei es ein Problem für die Spieler, so Boldt. Immerhin würden die ihren Wert auf lange Sicht selbst gefährden, wenn sie sich mit der Situation anfreunden, nicht zu spielen.

Amaechi gegen Nürnberg vor Debüt - Ewerton fällt aus

Einige, die vielleicht schon in Nürnberg spielen sollen, standen heute wieder auf dem Platz. Gideon Jung zum Beispiel: „Bei Gideon sieht es gut aus. Er hat gestern auch schon unter höherer Belastung bestanden. Da kann man davon ausgehen, dass er die Woche voll mittreineren kann“, so Hecking, der heute noch auf Timo Letschert verzichten musste. Der Niederländer trainierte separat. „Timo Letschert hatte leichte Knieprobleme. Er trainiert morgen noch mal individuell und soll dann am Mittwoch wieder einsteigen“, so der HSV-Coach, der erklärte, dass es bei dem anderen  Innenverteidiger-Zugang noch dauern wird: „Ewerton hat an der Leiste immer wieder Probleme an derselben Stelle. Das wird ihn aber auch noch eine ganze Weile begleiten. Es ist immer nur ein kurzer Moment, und der Schmerz hört schnell wieder auf. Daher gehe ich davon aus, dass wir sich hier langsam die Belastung steigern können. Gegen Nürnberg sehe ich ihn noch nicht.“

Dafür könnte es bei Amaechi schnell gehen. Sagt Hecking. Auch, weil sich der 18-Jährige schon intensiv mit der ihm bevorstehenden Aufgabe und der Mannschaft beschäftigt hat. „Beim Geheimtraining hat er von oben von der Tribüne aus zugesehen und kannte die Spieler schon“, lobt Hecking seinen Youngster, „er hat sich offenbar schon mit dem Kader beschäftigt. Jetzt soll er schnell Kontakt zur Mannschaft bekommen eine Wohnung finden, viele Gespräche führen. Auch mit uns Trainern. Wir werden ihm zu erzählen, wie wir spielen wollen.“ Ob er dann gegen Nürnberg schon dabei sein kann? Hecking: „Wir werden uns das die Woche über anschauen. Vielleicht ist er gegen Nürnberg dann schon dabei, wenn wir davon überzeugt sind, dass wir seine Spielweise da gebrauchen können. Wäre er gestern schon voll integriert gewesen, wäre es vielleicht mit seiner Eins-gegen-Eins-Qualität eine gute Alternative gewesen."

Xavier Amaechi - ein Jugendlicher auf dem Sprung

Vom ersten Auftritt her kann man sich auf Ameachi freuen. Sowohl auf dem Platz, wo er mit seinem Tempo und seinem Torabschluss zu gefallen wusste, als auch im Anschluss daran bei der Vorstellungsrunde, gefiel mir der Youngster gut. Man merkt ihm seine Jugendlichkeit zwar noch an, was bei 18 Lenzen auch n normal ist. Aber man merkt ihm auch an, dass er sich auf Eventualitäten vorbereitet hat. Aktuell gastiert er im Hotel Grand Elysee, noch zusammen mit seinen Eltern, bei denen er bislang in einem Vorort Londons noch gelebt hat. Aber das soll sich schnell ändern.

Es sei eine gute Lebenslehre für ihn, sagt der Linksfuß, und erklärt: „Ich komme aus der Blase London, lerne jetzt viele neue Leute kennen, dazu eine neue Stadt. Für mich als Person werde ich sehr viel dazulernen. Allein zu wohnen wird eine neue Erfahrung sein. Wenn ich meine Wohnung gefunden habe, werde ich alles allein organisieren müssen. Das wird eine neue Erfahrung.“ Eine, die Amaechi gern schon früher begonnen  hätte. „Mein Flug am Donnerstag war gestrichen worden, ansonsten hätte ich schon früher muttrainiert.“ So aber reiste er zusammen mit seinem Vater mehr als 12 Stunden per Auto und Fähre über Frankreich nach Hamburg an.

Amaechi lehnt die Rolle des "Supertalentes" ab

Sportlich zuhause fühlt sich Amaechi auf dem Außenbahnen. Auf beiden Seiten, wie er betont - wenn auch links etwas mehr. „Weil ich Linksfuß bin. Aber ich kann beides spielen.“ Und dafür bietet er sich auch an. Er will sich selbst nicht unter Druck setzen, lässt auch das ganze Gequatsche von Supertalent an sich abblitzen. Zurecht! Und egal wie die Frage danach gestellt wurde, Amaechi ignorierte sie und sagte: „Ich werde einfach hart arbeiten müssen und meine Chance suchen. Ich glaube an mich und mein Team und weiß, dass wir hart arbeiten müssen - aber dann wird es funktionieren.“

Wenn es nach ihm geht, darf das gern schon mit seiner HSV-Premiere am kommenden Montag in Nürnberg beginnen. Und auch Hecking schließt dieses schnelle Debüt nicht aus. Im Gegenteil, der HSV-Trainer lobt seinen Neuen immer wieder, ohne dabei zu viel Erwartungshaltung zu schüren. Frei nach dem Motto: Alles kann - nichts muss. Wobei, dass ihm die Art des Wechsels imponiert hat, macht Hecking immer wieder deutlich: „Der Wechsel hat sich lang hingezogen. Aber wir hatten schon früh Signale von ihm, dass er kommen will.“

Amaechis Wechsel zum HSV war schon länger beschlossen

Schon Anfang des Jahres hatte sich Amaechi selbst festgelegt, sagte dieser heute. Zudem hatte er sich das letzte Saisonspiel gegen Duisburg angesehen und war ebenso begeistert von der Atmosphäre im Volksparkstadion wie Hecking von Amaechis Abgeklärtheit:  „Der Junge war immer klar. Auch, als es hakte. Vor zwei Tagen hat Arsenal ihn noch mal zu einer Vertragsunterschrift überreden wollen - und er ist standhaft geblieben“, so Hecking, der aber auch immer wieder deutlich macht, dass Amaechis Zeit bei der U23 von Arsenal London nicht vergleichbar ist mit Nachwuchsfußball in der Jugend. „Die U23-Mannschaften in England sind schon Herren-Mannschaften. Das hat schon Niveau. Das ist anders als Jugend- und A-Jugend-Fußball. Das ist, was Männerfußball betrifft, eine gute Vorschulung.“ Von daher habe er keine Bedenken, seinen neuen Offensivspieler ins kalte Wasser zu schmeißen.

Zumal der HSV gegen Darmstadt zwar neue Spieler alte Probleme offenbarte. Es wurden Chancen herausgespielt - aber wie schon in der langen Vorbereitung nicht genutzt. Ob das auch ein mentales Problem sein könne, wollte ein Kollege heute wissen. Und Hecking musste sich zusammenreißen, nicht noch mal laut zu werden. „Es ist das erste Spiel. Ich weiß nicht, was ihr jetzt hören wollt. Wenn wir nach zehn Spielen nur ein Tor geschossen haben, könnt ihr mich gern noch mal ansprechen. was soll daran mentales Thema sein. Wir werden daran arbeiten - wie gestern - spielerisch Torchancen zu kreieren. Und wir werden sie nutzen.“ 

Was soll er auch sonst sagen…?

In diesem Sinne, bis morgen. Da ist trainingsfrei. Ich melde mich aber dennoch morgen früh um 7.30 Uhr wieder mit dem MorningCall bei Euch. Bis dahin Euch allen erst einmal einen schönen Rest-Montag! Scholle 

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