Tobias Escher

29. September 2020

0:2, 3:2, 3:4: Ganz schön was los bei Hamburgs Gastspiel in Paderborn! Trainer Daniel Thioune stellt auch im zweiten Saisonspiel unter Beweis, dass er den HSV taktisch umkrempeln will. Noch hakt es aber an allen Ecken und Enden, was gegen Paderborn zu einem ganz schön chaotischen Spiel führte.

Thioune musste im Vergleich zum 2:1-Erfolg gegen Fortuna Düsseldorf zwei Änderungen vornehmen: Für die ausgefallenen Sonny Kittel und Josha Vagnoman rückten Khaled Narey und Jan Gyamerah in die Startformation. Damit ging ein kleiner, aber feiner taktischer Wechsel einher: Da Narey und Gyamerah die rechte Seite besetzten, rückte Manuel Wintzheimer hinüber auf die linke Seite. Der HSV hielt am 4-4-1-1-Grundsystem fest.

Trotz der taktischen Kontinuität auf Seiten des HSV sollte es ein ganz anderes Spiel werden als gegen Düsseldorf. Während sich die Düsseldorfer weit zurückzogen, ging Paderborn früh drauf und spielte rasant nach vorne. Trainer Steffen Baumgart bleibt seinem Offensiv-Fußball auch in der Zweiten Liga treu. Taktisch pendelten die Paderborner dabei zwischen einem 4-3-3- und 4-2-4-System – je nachdem, wie der HSV das Spiel aufbaute.

Die Neuerungen unter Thioune

Spielaufbau lautet das Stichwort. Unter Thioune gestaltet sich dieser gänzlich anders als unter Vorgänger Dieter Hecking. Während unter Hecking der Ball häufig lange in der Viererkette hin- und hergeschoben wurde, will der neue Trainer ein deutlich vertikaleres Spiel sehen.

Auffällig ist, dass die Hamburger den einfachen Pass auf die Außenverteidiger fast gänzlich vermeiden. Diese sollen erst im späteren Angriffsverlauf den Ball erhalten. Stattdessen geht der erste Pass fast immer zur Doppelsechs: Sie bieten sich an und versuchen in Positionen zu gelangen, in denen sie mit dem Ball am Fuß aufdrehen und das Spiel in die gegnerische Hälfte tragen können.

Der HSV will mit diesem Zentrums-lastigen Aufbau den Gegner bewusst in die Spielfeldmitte zu locken, um anschließend das Spiel breit zu machen. Die Außenverteidiger haben in der Folge mehr Platz, um das Spiel in die gegnerische Hälfte zu tragen. Gegen Paderborn sollten diese Durchbrüche vor allem über die rechte Seite erfolgen: Gyamerah und Narey postierten sich hier etwas tiefer als Wintzheimer und Tim Leibold auf der gegenüberliegenden Seite.

Die zweite große Änderung im HSV-Spiel betrifft das Verhalten bei gegnerischem Ballbesitz. Thioune möchte, dass seine Spieler im Pressing nah am Mann agieren. Paderborns Verteidiger durften das Spiel zwar ruhig aufbauen; sobald der Pass aber ins Mittelfeld kam, rückte der HSV aggressiv auf den Ballführenden. Hamburgs Viererketten praktizierten speziell im Mittelfeld eine enge Manndeckung.

Die beiden Tore in der ersten Halbzeit waren direkte Produkte der Strategie des Trainers: Vor dem 1:0 (14.) eroberte der HSV im Mittelfeld den Ball, über die rechte Seite starteten sie einen Konter. Der vom anderen Flügel eingerückte Wintzheimer vollendete im Strafraum. Vor dem 2:0 (24.) lockte der HSV den Gegner an, um mit einem langen Ball das Spiel zu öffnen. Etwas glücklich kam Terodde am Ende zum Abschluss. Thiounes Strategie schien zu wirken.

Taktische Aufstellung Paderborn - HSV
Taktische Aufstellung Paderborn - HSV

 

Der Gjasula-Elefant

Das führt uns unweigerlich zur Frage: Wieso kassierte der HSV trotz 2:0-Führung gleich drei Gegentore? So interessant die Ansätze von Thioune sind: Ausgereift sind sie noch nicht. Das Pressing etwa funktioniert auf einer kämpferischen wie individuellen Ebene. Der HSV erhält Zugriff auf den Mann. Ihnen gelingt es jedoch noch nicht, den Spielaufbau des Gegners zu lenken. Paderborn konnte gerade nach dem 0:2 sich den HSV zurechtlegen, während dieser vornehmlich hinterherlief.

Aber auch der Spielaufbau der Hamburger funktionierte nicht so, wie Thioune sich das vorstellt. Eigentlich war das Spiel durch das Zentrum gegen Paderborn keine schlechte Idee: Die Paderborner pressen am Liebsten in der vordersten Linie. Sobald der Gegner vertikal spielt, schneiden sie die Rückpasswege ab und ziehen sich zusammen. Das ist der Moment, indem man das Spiel breit machen und Paderborn verwunden kann.

Spätestens an dieser Stelle muss ich den großen Elefanten ansprechen, der für alle sichtbar im Raum steht: Klaus Gjasula. Schon bei der Pokal-Niederlage in Dresden patzte er, als der Gegner ihn unter Druck setzte. Gegen Paderborn kam es noch schlimmer: An allen drei Gegentreffern in der ersten Halbzeit war Gjasula mal mehr, mal weniger beteiligt. Gjasula fehlt (noch?) die Fähigkeit, unter Druck ruhig zu bleiben und die beste Passoption zu finden.

Das Problem: Bereits am zweiten Spieltag hat ein Gegner erkannt, dass genau dies die Schwachstelle der Hamburger ist. Gjasulas Ex-Coach Baumgart wies seine Spieler an, den Passweg zu Onana zu schließen. Gjasula bekam in der Folge mehr Bälle – und Paderborn mehr Möglichkeiten, Bälle zu erobern und zu kontern.

Reaktion nach der Pause

Zu Gjasulas Ehrenrettung sei gesagt, dass die Strategie der Hamburger bis zur Halbzeit äußerst riskant war. Man wollte einen Gegner bezwingen, indem man vor dessen Stärken nicht den Schwanz einzieht – sondern indem man versucht, genau diese Stärken zu bespielen. Angesichts der Tatsache, dass die Paderborner unter Baumgart seit Jahren diesen Spielstil pflegen und der HSV erst seit zwei Pflichtspielen, war dies ein riskantes Unterfangen.

Großes Lob gebührt dem Trainerteam, dass man diese Schwächen in der Pause erkannt und ausgemerzt hat. So postierte sich Gyamerah nach der Pause deutlich tiefer. Im Spielaufbau agierte der HSV nun mit einer Dreierkette. Sie konnten nun nicht nur den Ball besser laufen lassen, sie standen auch noch besser abgesichert, sobald Paderborn zum Konter ansetzte.

Dass der HSV das Spiel noch drehen konnte, war dennoch keineswegs selbstverständlich. Paderborn blieb auch nach der Pause griffig. In der 56. Minute gelang es dem HSV dann, das Pressing der Paderborner wie geplant über das Zentrum zu knacken. Ausgerechnet Gjasula zog einen Gegenspieler auf sich und öffnete das Spiel mit einem feinen Pass zum (mal wieder enorm laufstarken) Jeremy Dudziak. Mit der Einwechslung von Aaron Hunt (65., für Gjasula) war der HSV spielerisch stärker auf der Doppelsechs aufgestellt, stand dafür defensiv aber nicht mehr so stabil. Am Ende entschieden ein (aus Paderborner Sicht unnötiger) Elfmeter sowie die größere Fitness des HSV die Partie. Im zweiten Saisonspiel stellte der HSV damit gleich einmal seine Comeback-Qualitäten unter Beweis.

Nach dem Saisonauftakt gegen zwei Absteiger folgt nun ein auf dem Papier leichteres Programm: Aue, Fürth und Würzburg warten. Für Thioune bedeutet das eine Umstellung: Die Gegner dürften gegen den Favoriten aus Hamburg defensiver auftreten. Es wird spannend zu sehen sein, was sich Thioune für diese Spiele einfallen lässt.

 

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