Marcus Scholz

2. November 2017

Es war schon augenscheinlich und sehr gut hörbar, dass Heribert Bruchhagen den Druck, der auf dem Ergebnis von Sonnabend gegen den VfB Stuttgart liegt, nicht leugnen will. Immer wieder wurde er auf verschiedenste Weisen gefragt, inwieweit der Trainer das Vertrauen genießt. Und er machte deutlich, was eigentlich alle wussten. „Wir spielen gegen den Aufsteiger Stuttgart. Unser Anspruch und Notwendigkeit ist, in diesem Spiel zu Punkten zu kommen“, so Bruchhagen, der auch Gisdol in die Pflicht nimmt. Nachdem dieser zuletzt immer wieder die Schwere der bisherigen Heimspiele gegen die Champions-League-Teilnehmer Leipzig, Dortmund und Bayern betont hatte, misst der Vorstandsboss ihn an seinen eigenen Worten: „Dann muss man bei gleicher Argumentation erwarten können, dass wir gegen Stuttgart das Spiel erfolgreich gestalten.“

Klare Worte, mit denen der Vorstandsboss, der parallel Kontinuität als einen der Grundzüge seines Führungsstils hervorhob, sehr clever deutlich machte, dass nur Erfolg hilft. Und das alles, ohne dabei zu lügen. Weil er sehr wohl einzuschätzen weiß, wie die Stimmung sein würde, wenn es am Wochenende schiefginge. Heute große Versprechungen und Treuebekenntnisse abzufeuern wäre gefährlich – weil dann nicht mehr haltbar. Denn verliert Gisdol am Sonnabend, dann steht seine Position als Cheftrainer des HSV zur Disposition. So viel scheint klar.

 

 

Nur, ob das gut ist, ist noch diskutabel. Denn nur mal angenommen, Gisdol wird zeitnah gehen müssen, was passiert dann? Der Name Thomas Doll schwirrt immer wieder über die Flure. Der würde aus Budapest sofort nach Hamburg kommen können. Für eine Ablösesumme zwar. Aber er würde es auch wollen, ist schon seit sehr langer zeit zu hören. Sogar schon vor Markus Gisdols Inthronisierung in Hamburg wurde dieses Gerücht verbreitet. Und tatsächlich spricht nicht viel gegen Doll. Er kennt Hamburg als Spieler und Trainer, gilt als absolute Sympathieträger, kann gut mit jungen Spielern umgehen und motivieren. Er bringt eine Menge Feuer mit, das ist klar. Und Erfolg hatte er mit dem HSV seinerzeit auch. Zumindest anderthalb Serien lang, ehe er 2006/2007 nach 111 Spielen und einem 1:1 gegen Cottbus zuhause als Tabellenletzter gehen musste. Zuvor hatte er den HSV als Tabellenletzten im Oktober 2004 übernommen und bis in die Europaleague-Quali geführt, ehe er sich 2005/2006 mit dem HSV sogar für die Champions-League qualifizierte. 1,65 Punkte im Schnitt holte Doll mit dem HSV, der personell sicher nicht mit dem heutigen vergleichbar ist. Von daher lassen all diese Zahlen auch keine Rückschlüsse auf etwaige Erfolgsaussichten zu.

Ich persönlich mag Thomas Dolls Art. Aber um Sympathie darf es hier nicht gehen. Schon gar nicht, wenn Bruchhagen nach dem Sonnabendspiel seine Entscheidung bezüglich der Trainerposition weiterdenkt. Vielmehr wird es eine politische Entscheidung sein. Bruchhagen wird sich vielmehr mit seinem Vorstandskollegen Frank Wettstein, Sportchef Jens Todt und einem Teil des Aufsichtsrates austauschen. Allerdings ist die Tendenz hier, dass keine großen, neuen Entscheidungen getroffen werden. Denn Fakt ist, dass bis auf Meier, Peters und zwangsläufig Gernandt (obgleich der schon länger und anhaltend diskutiert wird) der Rat umbesetzt werden soll. Und nicht nur mir stellt sich die Frage, ob die aktuellen Räte noch eine so wichtige und weitreichende Entscheidung wie die Neubesetzung des Trainerpostens mitentscheiden sollten - und überhaupt wollen. Meine Antwort: NEIN. Was daraus wird, wenn Amtsträger im nahezu sicheren Wissen ihres Abschiedes so weitreichende Entscheidungen treffen, kennen wir hier in Hamburg. Zudem liefern sie den Neuen gleich das Alibi, diese Personalie nicht verantworten zu müssen“. Und das schwächt erfahrungsgemäß eher, als dass es hilft. Insofern wäre Doll sicher eine schnelle, sympathische und fachlich vielleicht sogar gute Lösung – aber aus vielerlei Hinsicht eben so nicht die beste. Und nur die darf gefällt werden.

Wobei, bleiben wir mal positiv: Um den Räten diese „Zwickmühle“ zu ersparen, will Gisdol am Sonnabend gegen ersatzgeschwächte Stuttgart punkten. Dafür ließ er heute unter Ausschluss aller Öffentlichkeit im Stadion trainieren. Mit Jann Fiete Arp, der in den nächsten Wochen trotz des Abitur-Stresses häufiger mittrainieren wird. Und das ist gut für den HSV. So, wie es jede gesunde Konkurrenz ist. Das Beispiel Bobby Wood, der nahezu konkurrenzlos gesetzt war, zeigt das vielleicht am besten. Denn bei aller berechtigter Kritik an dem US-Amerikaner rücke ich nicht von dem Standpunkt ab, dass Bobby Wood ein riesiges Potenzial hat. Zumindest, wenn er fit ist und richtig eingesetzt wird. Soll heißen: Nicht als spielender Stürmer, denn dafür ist er mir am Ball im Dribbling zu schwach. Aber wenn man ihn übers Tempo kommen lässt bzw. wenn er diese Situationen auf dem Platz sucht, dann kann er irgendwann wieder extrem wertvoll sein.

 

 

Arp indes ist noch eine kleine Wundertüte. Er hat in der U19 sowie bei der U17-WM mächtig auf sich aufmerksam machen können. Im Training bei den Profis hielt er gut mit, ohne dabei besonders aufzufallen. Und in Berlin, nach seiner Einwechslung, traf er nicht nur zum Anschluss, sondern er spielte richtig frech mit und belebte das Offensivspiel nachhaltig. Er schirmte den Ball gut ab, er verteilte ihn und suchte einfach direkter den Abschluss als seine Konkurrenz zuvor. Kurzum: Er gefiel mir in dem Spiel noch besser, als ich es eh schon erwartet hätte. Und sollte er in den Trainingstagen heute und morgen zudem besser trainieren als Wood, Hahn oder auch Waldschmidt - dann muss er auch gegen Stuttgart beginnen. Falls nicht, Dass diese Überlegung bei Gisdol eine Rolle spielt, bestätigte der HSV-Trainer auf der Pressekonferenz heute. Er werde nach dem Leistungsprinzip aufstellen.

Apropos Pressekonferenz: Ich wurde gefragt, weshalb wir den Trainer nicht auf der Pressekonferenz nach dem Training fragen, das ich hier im Video immer wieder einstellen werde. Kurze einfache Antwort: Weil wir es schon getan haben. Die täglich begleitenden Medien wie die Tageszeitungen, der NDR und wir von der Rautenperle sprechen häufiger mit dem Trainer und anderen Verantwortlichen. Und dort antwortet der Trainer nicht anders als heute, wo er von „intensiven, guten Trainingsleistungen“ sprach. Dass ich damit nicht übereinstimme habe ich in den letzten Wochen deutlich beschrieben. Und dabei bleibe ich. Ebenso wie der Trainer bei seiner Meinung bezüglich des Trainings und der Belastungssteuerung seiner Spieler. Diese Ansicht muss man nicht teilen – aber eben respektieren. Dieselbe Frage trotz bereits (inoffiziell) erhaltender Antwort noch mal auf der PK zu stellen, wäre seltsam. Auch wenn ich es sehr schade finde, dass Gisdol – so zumindest mein subjektiver Eindruck -, wie viele andere Trainer vor ihm auch schon, größere Veränderungen wie den Einsatz eines Individualtrainers als Eingeständnis eigenen Scheiterns zu sehen scheint. Leider.

Zumal Gisdol gerade jetzt anfängt, den jungen Weg zu gehen. Etwas aus der Not heraus mit Sicherheit, aber der Weg an sich ist ja gut. Wenn man die jungen Spieler jetzt noch zusätzlich begleitet, würde man sicher noch mehr herauskitzeln können. Auch aus Verteidiger Patric Pfeiffer, der heute in Hamburg einen Profivertrag bis 2021 unterschrieben hat und bei Gisdol hoch im Kurs steht. Weitere junge Talente wie Tobias Knost und Tatsuya Ito, der auch im Training auffällig gut ist, sollen folgen. Und das ist gut. Dennoch, wie Heribert Bruchhagen es heute schon sehr deutlich machte, am Sonnabend zählen nur Punkte. Alles drumherum ist erst einmal Nebensache und alles andere als Punkte ist zu wenig. Egal wie. Und das weiß auch Gisdol, egal wie oft er den tollen Umgang mit seinen Vorgesetzten lobt.

 

In diesem Sinne, bis morgen!

Scholle

 

P.S.: Sejad Salihovic konnte heute wegen seiner Wadenprobleme nicht mittrainieren und droht auszufallen, während Rick van Drongelen wieder dabei ist.

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