Marcus Scholz

6. Juni 2019

Zwei Meter ist er. „Lang, nicht groß“, fügt Jonas Boldt hinzu. Der neue Sportvorstand des HSV weiß, was sich gehört. Und er weiß, wie man sich ausdrückt, weil er vor allem auch weiß, wie das Geschäft funktioniert. Boldt ist rhetorisch stark und vermeidet es, zu viel zu sagen. Er kennt das Business Profifußball auf Champions League-Niveau seit nunmehr 13 Jahren. So lange arbeitete er zusammen mit Ex-Weltmeister und Nationaltrainer Rudi Völler Rudi Völler beim Werksklub Bayer 04 Leverkusen. Auch deswegen hatte ihn Vorstandsboss Bernd Hoffmann schon seit letztem Jahr als Wunschlösung für den Posten des Sportchefs - inzwischen ist daraus ein Sportvorstand geworden - auf dem Zettel. Und seit wenigen Wochen ist er beim HSV. Und er macht keinen Hehl daraus, dass es eine komplett andere Welt ist, die er vorgefunden hat.

Hier sei alles deutlich größer, deutlich mehr. Vor allem die Aufmerksamkeit, das Umfeld, so Boldt, der auch weiß, dass er hier in der ersten Reihe steht, während er in Leverkusen hinter dem Gesicht Bayer Leverkusens, Rudi Völler, stand. Das würde sowas wie die heutige Presserunde eben erfordern. Interner betrachtet, hat Boldt viele Baustellen vorgefunden, wie er selbst betont. Er habe mit Sportdirektor Michael Mutzel bereits viele intensive Gespräche geführt und eine gemeinsame Arbeitsbasis mit dem Vertrauten von Boldt-Vorgänger Ralf Becker  gefunden. „Wir haben eine gemeinsame Denke gefunden, wie wir die Sache angehen wollen“, top Boldt, „wichtig ist, dass wir jetzt gemeinsam mit dem Trainer eine Mannschaft aufbauen, damit wir ab Ende August anfangen und unsere Ziele erreichen können.“

Ein ganz wesentlicher Faktor dabei sei, die Vergangenheit hinter sich zu lasse. Alles wird auf Null gestellt, so Boldt, der bemerkt hat, dass die Fans, dass das Umfeld des HSV nach Identifikation lechzt. Klar sei für ihn, dass es nur mit Talenten allein nicht geht. Man wolle beim HSV erst einmal zurück zu den Basics und weniger über die Entwicklung des Fußballs sprechen. Beim HSV gelte es jetzt für ihn und Trainer Dieter Hecking, das Vertrauen wieder zu gewinnen. Und das ginge am besten durch ehrliche Arbeit. „Den Fehler, auf Namen zu achten, sollten wir nicht machen. Die Leute da draußen identifizieren sich mit der Leistung der Spieler, nicht mit den Namen. Der Name schießt keine Tore. Vielleicht gelingt es ja aber in Verbindung mit dem HSV, den Namen etwas größer werden zu lassen. Wir wollen Spieler holen, die bereit sind, sich dieser Aufgabe zu widmen.“

Wie zum Beispiel den Keeper Daniel Heuer Fernandes. „Heuer Fernandes zu holen, war eine kluge Entscheidung. Das heißt nicht, dass er automatisch spielt. Aber wir haben jetzt einen Konkurrenzkampf, den beide Torhüter annehmen müssen. Wie sich Daniel in Darmstadt präsentiert hat, wie ich ihn kennengelernt habe, glaube ich, dass das auch einen Effekt in der Kabine geben kann“, sagt Boldt und deutet so auch an, dass es für Julian Pollersbeck in Hamburg noch eine Zukunft geben kann. Oder besser: geben könnte. „Jeder Spieler, der aktuell beim HSV unter Vertrag steht, ist herzlich Willkommen, mitzuhelfen. Aber man muss sich der Aufgabe unterordnen. Im Tor gibt es wenig Rotation. Da muss man sich die Frage stellen: Nehme ich den Kampf an oder nehme ich ihn nicht an. Aber es wird keiner vom Hof gejagt, wenn er sich bereit erklärt, dabei zu sein und alles zu geben.“

 

Mehr noch: Es werden auch Spieler neue Chancen bekommen, die zuletzt schon abgeschrieben schienen, sagt Boldt. Zum Beispiel Bobby Wood. Oder auch Kyriakos Papadopoulos, der unter Hannes Wolf mehr verletzt als gesund war - aber in dessen Planungen keine große Rolle mehr eingenommen hatte. „Die sportliche Qualität haben beide, wenn sie fit sind. Bobby hat die letzten Monate natürlich nicht so performt. Aber ich erinnere mich an Erstligazeiten, wenn wir mit Leverkusen gegen den HSV gespielt haben. Da hat Bobby uns immer vor Probleme gestellt. Nicht nur Dieter Hecking mit Gladbach, sondern auch Leverkusen haben sich Gedanken über eine Verpflichtung des Spielers gemacht. In ihm schlummert etwas. Aber: Er muss auch bereit sein, dafür wieder zu arbeiten. Was das dann bedeutet, werden wir sehen. Wenn Spieler wie Papadopoulos und Wood sportlich so funktionieren, wie sie es mal getan haben, sind es Verstärkungen. Aber sie müssen bereit dazu sein.“ bei dem Griechen sieht Boldt sogar das Potenzial zum Führungsspieler: „Papadopoulos könnte ein Fixpunkt sein, deshalb haben wir ihn auch damals nach Leverkusen geholt. Wir hoffen natürlich, dass er fit bleibt. Dabei versuchen wir ihm zu helfen. Aber auch er kann es nicht alleine richten.“

Deswegen werden weitere Spieler geholt werden. Und wer am Ende nicht für die Profimannschaft infrage kommt, der trainiert bei der zweiten Mannschaft, wie Boldt die U21 nannte.  „Wir wollen mit einem Kader von 20 Feldspielern und drei Torhütern in die Saison gehen“, so Boldt, „und wir haben ja auch eine zweite Mannschaft, dafür sind fast alle spielberechtigt. Der Trainer stellt nach Leistung auf, nicht nach Alter. Realistisch gesehen, weiß der ein oder andere Spieler aber auch, dass es für ihn schwieriger wird.“ Womit wir auch wieder bei Julian Pollersbeck sind. Zudem hatte es zuletzt Gerüchte gegeben, dass Rick van Drongelen gehen könnte. Boldt selbst ist in diesem fall noch entspannt. Er habe zwar auch so einiges gehört - allein ein echtes Angebot gibt es (noch) „Rick hat einen Vertrag. Wir werden mit ihm im Laufe der Vorbereitung sprechen, um seine persönliche Meinung zu hören. Rick hat schon gezeigt, was in ihm schlummert. So einen Typ Spieler kann man gebrauchen. Mal sehen, wie er das sieht.“

Zumal es unumstritten so ist, dass der HSV Geld generieren muss, bevor er Geld ausgibt. Douglas Santos galt als einer der großen Hoffnungsträger in Sachen höhere Ablösesumme - aber bislang gibt es kein Angebot. Boldt selbst erinnert sich noch an seine Zeit in Leverkusen, in der er selbst Santos auf die Wunschliste setzte: „Zu meiner Zeit in Leverkusen haben wir uns sehr intensiv mit ihm befasst. Er wäre bei Wendells Abgang mein Topkandidat gewesen. Ich wäre froh, so einen Spieler im Kader zu haben – und wir haben ihn.“ Ob Boldt glaubt, dass Santos trotz seiner klaren Ansage, nicht noch ein jähr Zweite Liga spielen zu wollen bleiben könne? „Irgendwo wird es natürlich für jeden Spieler eine Schmerzgrenze geben. Aber die bestimmen wir. Es ist unsere Aufgabe, ihn von der Aufgabe hier zu begeistern. Wenn er unbedingt gehen möchte, müssen auch Angebote da sein. Aber vielleicht findet er ja auch den einen oder anderen Verein, der besser zu ihm passt, wenn er hier sportlich erfolgreicher performt als in den letzten Monaten.“

Alles kann - nichts muss. das ist bBoldts Motto. Und der neue Sportvorstand wertet damit auch die Marktwerte seiner Spieler - ob den von Pollersbeck, van Drongelen oder eben auch Santos, deutlich auf. Kurzum: Boldt repariert, bietet an, verkauft - und kauft ein. Er stellt auch klar, dass mehr Geld immer hilft. Aber der HSV sei eben auch ohne weitere Verkäufe in der Lage, Spieler zu verpflichten. Boldt: „ „Der HSV ist kein Verein, der jedes Angebot ablehnen kann. Das aber ein Spieler auf den Markt getrieben wird, der die sportliche Klasse hat, uns zu helfen, schließe ich aus. Wenn es ein Angebot gibt, das lukrativ ist und durch das wir uns im Gegenzug sportlich besser aufstellen können, hören wir es uns an. Aber wenn wir jetzt niemanden verkaufen, können wir in jedem Fall noch weiter Spieler verpflichten.“

Boldt bestätigte heute in der Runde seinen ersten Eindruck von der Pressekonferenz. Er wich kniffligen Fragen gekonnt aus, drosch hier und da immer wieder auch Phrasen - aber er war in allem auch sehr bestimmt. Boldt versuchte klarzumachen, dass man hier in Hamburg unter seiner Führung einen klaren Plan verfolge. Und dabei setze man vor allem auf Charakter, auf Teamgeist - und auf klare Regeln. „Ich denke, dass der Stamm der Spieler erstmal Deutsch sein sollte“, so Boldt, „und die Kabinensprache muss Deutsch sein. Der HSV ist in Hamburg, das ist eine deutsche Stadt, die Menschen sollen sich damit identifizieren. Da sollte man sich auch die Mühe geben, Deutsch zu reden.“

Und obgleich ich weiß, dass sich dieses Zitat ein wenig schwieriger liest, meinte es Boldt nicht gegen Ausländer und andere Sprachen. Vielmehr meinte er damit seine eingangs angesprochene und notwendigen Identifikation der Spieler mit der neuen Aufgabe beim HSV.  So, wie er. „Ich habe mich mit vielen Vereinen auseinandergesetzt, zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Wenn ich die Gespräche nebeneinander lege, hätte ich mich immer für den HSV entschieden. Weil ich immer ein gutes Bauchgefühl gespürt habe. Und das brauche ich. Der großen Herausforderung bin ich mir dabei bewusst“, sagt Boldt, der bislang noch keinen Kontakt zu Klaus Michael Kühne hatte. „Aber ich glaube, dass der Name Boldt bei Herrn Kühne schon mal gefallen ist. Allein aufgrund der Tatsache, dass mein Bruder als junger Kerl für ihn bei Kühne und Nagel gearbeitet hat. Da gab es eine Schnittstelle.“ Und diese werde es in Zukunft sicher noch mal geben.

 

Apropos Zukunft: Die sieht Boldt auch im eigenen Nachwuchs. „Das ist ein wichtiger Punkt, der aber Zeit braucht. Es geht um einen langfristigen Plan. Wir werden analysieren und besprechen was gut und was nicht so gut läuft. Es geht darum, Spieler mit Hamburger Hintergrund auch wieder hier zu integrieren. Das wird aber nicht klappen, weil man es nur sagt. Auf Sicht ist es natürlich das Ziel, fähige Leute zu haben, die die einzelnen Bereiche führen." Aber zum Thema Nachwuchs auch noch etwas in dem Video, das Boldt heute nach der Runde mit uns gab und das ich hier mit reingestellt habe.

Dass man wie in Leverkusen die U21 abschaffen könne, verneint Boldt: „In Leverkusen war es eine gute Entscheidung, die zweite Mannschaft abzuschaffen, weil wir durch sie viele Spieler geblendet haben. Sie dachten, sie werden Profi in Leverkusen. Spieler wie Meffert, da Costa, Kohr oder Kramer haben es geschafft, weil sie verliehen wurden und aus der Regionalliga raus waren. Das war für den Moment in Leverkusen die richtige Entscheidung. Fakt ist, dass der HSV definitiv mit einer zweiten Mannschaft in die neue Saison geht.“

Und das ist gut so. Ebenso, wie sich Boldt bislang präsentiert. Er bringt das mit, was sich viele von ihm erhofft hatten: Frische, Erfahrung auf dem Gebiet der Spielertransfers  und in der Kaderplanung. Aber vor allem eine Form von Klarheit, die der jetzt noch umsetzen muss. In der Theorie hat Boldt bislang einen hervorragenden Eindruck gemacht. Er hat auch schon erste Reparaturen vorgenommen, indem er die Position des HSV gestärkt hat. jetzt gilt es, das alles noch in die Tat umzusetzen. Und was ganz einfach klingt ist tatsächlich eine „ziemlich große Aufgabe“, wie Boldt selbst um die Schwere seines neuen Jobs weiß.

 

In diesem Sinne, bis morgen.

Scholle

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