Marcus Scholz

31. Januar 2019

Es ist ein entspannendes Gefühl, wenn die Konkurrenz nachlegen muss. Umso mehr, wenn sich die Konkurrenz wie am heutigen Abend gegenseitig die Punkte abnimmt. Köln muss heute Abend bei Union Berlin ran und könnte den Rückstand als Tabellenzweiter von heute vier auf dann nur noch einen Punkt verkürzen. Klingt erstmal nicht so doll - aber auf der anderen Seite würde der HSV in dem Fall weiter neun Punkte Vorsprung auf die Berliner haben, die Rang vier belegen. Insofern wäre ein Unentschieden heute Abend sicher das Beste, was dem HSV passieren könnte, denn dann würde man auf beide Kontrahenten im Aufstiegskampf zwei Plätze gutmachen. Aber egal wie: Es wird mir eine Freude sein, das Spiel heute Abend vor dem TV zu verfolgen. Entspannt und mit Füße hoch, weil der HSV gestern seine Hausaufgaben gemacht hat.

Und damit komme ich noch mal zurück zu dem Spiel, das im Ergebnis so knapp, aber im Spielverlauf so deutlich war. Wieder einmal. Ob die Effektivität über die gesamte bisherige Saison gesehen ein Problem sei? „Zufall ist das auf keinen Fall“, so Wolf, „dafür ist die Saison schon zu lang und das sieht man an unserem Torverhältnis. Aber wenn es der Weg ist, dass wir sehr, sehr viel investieren müssen und sehr, sehr viel gut machen müssen, um zu gewinnen, dann gehen wir den Weg halt. Ich finde das nicht so dramatisch. Es darf nur nicht passieren, dass du dich jetzt nur noch darauf konzentrierst und ein Tor schießen willst. Denn dann wird automatische das Gegenpressing schlechter, dann werden die Abläufe ins letzte Drittel schlechter. Also alles das, was wir gestern gut gemacht haben.“

Es ist so ein wenig das „Rosa-Elefant“-Syndrom. Alle wissen, dass dem HSV die Effektivität abgeht - und je mehr man sich damit beschäftigt, desto mehr verkrampft man. Deshalb versucht man das Thema zu vermeiden - offenbar erfolglos. Denn je weniger man daran denken soll, desto mehr denkt man dran. Oder kann einer von Euch den Gedanken an einen rosa Elefanten in dem Moment vermeiden, wo man ihm sagt, er soll nicht an ihn denken? Eher nicht. Wolf hofft dennoch, dass es sich seine Mannschaft etwas leichter macht. „In Bielefeld wäre es gut, etwas effektiver zu werden. Aber wir dürfen nicht nur über Effektivität sprechen, sondern auch über das, was gut war. Die Kompaktheit, wie wir gestanden haben und die Angriffe ausgespielt haben, das war gut. Und daran wollen wir anknüpfen.“

 

Wobei, es gibt auch beim HSV solche Typen, die sich von nichts und niemandem beeindrucken lassen. Bakery Jatta zum Beispiel. Der Gambier taut immer mehr auf, spielt unfassbar funktional. Er holt aus seinen überschaubaren technischen Möglichkeiten wirklich alles heraus. Und noch etwas mehr - was ich als Kompliment meine! Gegen Sandhausen gewann er das Duell gegen Rückkehrer Dennis Diekmeier nach Punkten - aus meiner Sicht sogar ganz eindeutig. „Bakery spielt gut, sehr intensiv. Das Tempo springt einem ja ins Gesicht“, freut sich auch Wolf über den Außenstürmer, der nach seiner Vertragsverlängerung bis 2024 weitere Entwicklungsschritte zu nehmen scheint.

Jatta ist dabei so ein wenig der Typ Thomas Müller: Nicht immer ist das, was er macht, schön anzusehen. Aber es ist immer sehr funktional - und inzwischen auch schon mal spektakulär. Wie bei seinem Sprint in der ersten Halbzeit aus der eigenen Hälfte bis in den gegnerischen Sechzehner an allen Gegenspielern vorbei. „Der Lauf nach der Ecke für Sandhausen - das sind Momente, dafür gehen die Leute ins Stadion“, erinnert sich Wolf gern zurück und lobt zugleich auch das spielerische Element bei Jatta: „Es ist auch der direkte Pass zum 1:0. Auch sonst hat er viele gute Entscheidungen mit Ball am Fuß. Bemerkenswert gut.“ Auch deshalb sei es jetzt wichtig, gut zu regenerieren. Zumal er einen Schlag auf den Fuß abbekommen hatte.  „Der Fuß ist ein wenig geprellt, aber es ist wohl nichts Schlimmes.“

Insgesamt war heute insbesondere die Belastungssteuerung ein Thema für Hannes Wolf, dessen Mannschaft in 18 Tagen mit Sandhausen, Bielefeld, Nürnberg im Pokal, Dresden zuhause sowie auswärts Heidenheim fünf Spiele absolvieren muss. Wie er die Frische vor Bielefeld herstellen wolle? Wolf: „Heute heißt es regenerieren, Pflege, Dehnen, Gymnastik und mental zur Ruhe kommen. Morgen wird nicht viel trainiert. Wir kommen aber aus einer Phase, wo wir gut was weggearbeitet haben. Wir haben eine gute Vorbereitung gemacht. Viele Spieler haben viel gemacht. Sie sind es gewöhnt, hart zu belasten und dann schnell zu regenerieren, um wieder fit zu werden. Darauf bauen wir jetzt, weil Bielefeld uns sehr fordern wird mit ihrer körperlichen Art. Die haben in Dresden auch mal eben vier Tore erzielt.  Dafür brauchen wir eine gute Verfassung. Wir werden in Bielefeld am Samstag wieder sehr viel laufen können.“

Das stimmt. Nur Heidenheim läuft mehr. Und zwar im Schnitt 500 Meter pro Spiel, um genau zu sein. Nach dem FCH ist der HSV das fleißigste Team - und das trotz häufiger spielerischer Überlegenheit. Apropos: Für mich ist es noch immer schwer zu glauben, dass der HSV und Sandhausen tatsächlich in derselben Liga spielen.  Zumindest nach gestern Abend. Noch unglaublicher ist für mich, dass der HSV dieses Spiel nicht mit drei oder mehr Treffern Unterschied gewonnen hat. Zumal die Möglichkeiten dafür in der ersten Halbzeit da waren. Hier spielte der HSV so überlegen wie bislang noch in keinem Zweitligaspiel. Finde ich. „Wir haben eigentlich besser gespielt, als es das Ergebnis aussagt. Zumeist in den allermeisten Phasen. Wir hätten auch mehr Tor machen müssen. Aber dass wir nach dem 1:1 zurückkommen und gewinnen, das ist das Wichtigste.“

Das - und natürlich die Punkte. Vor allem aber demonstrierte der HSV gestern neben seiner Abschlussschwäche seine spielerische Stärke. Auch ohne Aaron Hunt, was auch am Sonnabend in Bielefeld übrigens wieder so sein könnte. Nicht, weil Tatsuya Ito gestern so überzeugte, sondern weil sich Hunt gestern bei seinem 20 Minuten dauernden Kurzeinsatz wieder Probleme am Oberschenkelmuskel einhandelte. Eine genaue Diagnose steht zwar noch aus, aber Hunt Einsatz ist zumindest erneut fraglich, wie Trainer Hannes Wolf heute - ansonsten sehr gut gelaunt - bestätigte.

Denn auch Wolf hatte gesehen, dass der HSV den Ausfall seines Kapitäns ebenso gut wegstecken konnte, wie die Nordkurve die Auflösung der Ultra-Gruppierung Poptown. Und das, obwohl Ito nicht der geniale Passgeber ist, sondern eher der Typ Spieler, der durch seine Beweglichkeit zwischen den Reihen anspielbar ist und den Ball gut festmacht, bis er ihn per Kurzpass weiterspielen kann. Lange Pässe, Flanken und Torabschlüsse sind (noch?) nicht Itos Welt. Das waren sie auch noch nie. Aber dafür hat er mit Lewis Holtby und Orel Mangala zwei zentrale Spieler hinterlegen und auch mal vor sich, die eben genau das können.

Wie man auf die Idee kommt, Mangala gestern nicht gut gesehen zu haben, bleibt mir ein absolut unlösbares Rätsel. Der Belgier gewann gestern gerade am eigenen Sechzehner einige extrem wichtige Zweikämpfe und war neben Santos und Holtby die treibende Kraft hinten raus. Ich behaupte sogar, dass es gestern Santos und Mangala im Verbund mit Jatta und Lasogga im Angriff waren, die das Spiel so dominant haben erscheinen lassen. Dass beide Innenverteidiger super Quoten hatten - okay. Das ist erfreulich, gerade für Gideon Jung. Aber die beiden wurden auch nie ernsthaft geprüft, weil der HSV bis zum Sechzehner schon alles abgefedert hatte. Auch deshalb schob sich Jung manchmal zu weit ins Mittelfeld vor - weil ihm hinten langweilig wurde…

Hier noch mal das Blitz-Fazit:

 

Mehr zu tun haben wollen und werden hoffentlich Matti Steinmann und Christoph Moritz bei ihren neuen Klubs.  Beide haben den HSV heute verlassen, jeweils auf Leihbasis. „Chris ist mit dem Wunsch auf uns zugekommen, sich in dieser Saison nochmal verändern zu wollen, um mehr Spielzeit zu bekommen. Diesem sind wir in seinem Interesse mit dem Leihgeschäft nachgekommen“, sagte HSV-Sportvorstand Ralf Becker, der den Vertrag mit Darmstadt 98 bis Saisonende schloss.

„Die bisherige Saison lief für mich persönlich nicht befriedigend“, so Moritz, „ich hoffe daher natürlich, dass ich in der restlichen Spielzeit auf mehr Einsatzzeiten kommen werde.“ Ebenso Matti Steinmann, der bis zum 30. Juni nach Dänemark, zum dortigen Tabellen-12 Vendsyssel FF, geht. „Für einen jungen Spieler wie Matti, der sich in der vergangenen Spielzeit zurück in die Profimannschaft gekämpft hat, ist es von großer Bedeutung für die weitere Entwicklung auf hohem Niveau viele Spiele zu machen. Dementsprechend haben wir ihm den Schritt nach Dänemark ermöglicht und wünschen ihm dort viel Erfolg“, so Becker.

Geholt wird indes kein Spieler mehr - dass hatte ich gestern schon geschrieben. Und so bleibt es auch. Der HSV setzt auf das Personal, das da ist. Notgedrungen - aber auch mit einer gewissen Überzeugung, wie Becker immer wieder betont hat.

In diesem Sinne, bis morgen. Da wird Tobi Escher erläutern, wie das gestrige Spiel aus taktischer Sicht zu bewerten ist und was den HSV am Sonnabend in Bielefeld erwartet. Ich bereite mich jetzt auf Union gegen Köln vor. Ganz entspannt auf der Couch…

Bis morgen!

Scholle

FAQs

 
 

Über uns

Die Rautenperle - das ist ein Team aus jungen Medienschaffenden und Sportjournalisten mit großer Affinität zum HSV. Wir sind 24/7 bei den Rothosen am Ball und produzieren frischen Content für Rautenliebhaber.

Unser Ziel ist es, moderne, unabhängige Berichterstattung und attraktiven, journalistischen Content für junge und jung gebliebene HSV-Anhänger zu bieten. Wichtig ist uns dabei, eine neue Art des Sportjournalismus zu präsentieren: dynamisch, zeitgemäß, zielgruppengerecht. Weg von verstaubten Zeitungsspalten und immergleichen Phrasen.

Die Rautenperle ist aber nicht nur ein Ort, um sich zu informieren, sondern soll auch immer ein Ort des Austausches und des Miteinanders sein. Wir wollen eurer Leidenschaft einen Platz im Netz bieten: zum Diskutieren, zum Mitfiebern, zum Mitmachen.