Christian Hoch

21. Dezember 2019

Zum Jahresabschluss 2019 hat der HSV bei Darmstadt 98 2:2-Unentschieden gespielt. Dabei führten die Hamburger zweimal. Mangelhaftes Abwehrverhalten bei beiden Gegentreffern und eine strittige VAR-Entscheidung in der 78. Spielminute kosteten der Mannschaft von Trainer Dieter Hecking den Sieg, der insgesamt nicht unverdient gewesen wäre.

Dieter Hecking schrie, fluchte und diskutierte mit dem Schiedsrichtergespann: Wenige Augenblicke zuvor hatte Schiedsrichter Arne Aarnik nach Videobeweis den vermeintlichen 3:2-Siegtreffer des HSV durch Rick van Drongelen zurückgenommen. Diese Szene erhitzte auch in den Katakomben des Böllenfalltors noch die Gemüter. Sowohl Spieler, Verantwortliche als auch Journalisten - jeder, der dieses Spiel gesehen hatte, diskutierte mal wieder über den Videobeweis. Doch der Reihe nach.

Was war passiert? Rick van Drongelen hatte in der 78. Spielminute nach einer tollen Kopfball-Stafette wuchtig ins Darmstädter Tor getroffen - Riesenjubel bei Spielern und Fans des HSV. Wenig später hielt Schiedsrichter Aarnik seinen Finger ans Ohr - der gemeine HSV-Fan ahnte hier bereits Böses. Und tatsächlich wurde der Treffer zurückgenommen. Begründung: Bakery Jatta kam aus dem Abseits und griff beim Kopfball von van Drongelen aktiv ein, indem er den Darmstädter Verteidiger im Zweikampf mit van Drongelen behinderte. Eine zumindest fragwürdige Entscheidung.

Hecking kann VAR-Eingriff nicht verstehen - van Drongelen sauer

Trainer Dieter Hecking nach dem Schlusspfiff: „Für mich war es ein klares Tor - Punkt. Bakery greift überhaupt nicht ein, deswegen ist die Entscheidung für mich nicht nachzuvollziehen. Er kann sich ja nicht in Luft auflösen. Ich würde mich auch hinstellen und es zugeben, wenn es eine richtige Entscheidung gewesen wäre. Aber für mich wurde in dieser Szene falsch entschieden.“ Auch Sportvorstand Jonas Boldt meinte: „Ich sehe es klar anders als das Schiedsrichtergespann. Für mich war es keine klare Fehlentscheidung, das Tor zu geben. Deswegen hätte der Videobeweis nicht eingreifen müssen.“

 

Der Leidtragende war durch diese Entscheidung der HSV, ganz besonders Rick van Drongelen. Der Vize-Kapitän sah bei beiden Gegentreffern unglücklich aus und besorgte dann eigentlich doch den Sieg - ein perfektes Drehbuch. Eigentlich. Der Holländer, der sich nach dem Abpfiff dreimal die Szene angesehen hatte, wütete: „Das Tor wurde uns geklaut. Es ist keine klare Fehlentscheidung, der Videobeweis muss überhaupt nicht eingreifen. Entscheidungen wie diese machen den Fußball kaputt. Wenn du diese Szene abpfeifst, dann kannst du bald für jede Scheiße den Videobeweis einsetzen und jedes Tor zurückpfeifen.“ Dabei ging alles so harmonisch los.

Kittel und Fein rücken in die Startelf

Sonne, Fahrrad, Fußball: Das war das Motto für viele Fans des SV Darmstadt 98 an diesem Samstagmittag. Einige radelten durch die Innenstadt zum Böllenfalltor und freuten sich auf die Begegnung gegen den Aufstiegsfavoriten HSV. Neben ihn fuhren entweder vollgestopfte Bahnen oder liefen die restlichen Fans, die noch ein bis zwei Weg-Dosen Bier vernichten mussten, ehe sie das Stadion betreten konnten. HSV-Trainer Dieter Hecking reagierte auf das vergangene 1:1 und den personellen Ausfall von Kapitän Aaron Hunt (Bänderriss) mit zwei Änderungen in der Startelf: Adrian Fein rückte in die Anfangsformation, dafür nahm Jeremy Dudziak auf der Bank Platz. Sonny Kittel übernahm für Hunt in der zentralen Mittelfeldposition.

Der HSV dominierte in der ersten Viertelstunde das Spiel fast nach Belieben: ballsicher, druckvoll, guter Spielaufbau. Vor allem Innenverteidiger Ewerton bestach das eine oder andere Mal durch kluge Seitenverlagerungen und öffnende Pässe auf die Flügel. Folgerichtig ging der HSV in der 18. Minute mit dem bis dato schönsten Spielzug der Partie in Führung: Gideon Jung gewann im Mittelfeld ein Kopfballduell, dadurch landete der Ball beim - auch insgesamt sehr auffälligen - Bakery Jatta. Der Gambier schüttelte seine Gegenspieler mit einem cleveren Sprint ab und bediente Khaled Narey auf der rechten Außenbahn. Narey, der vor allem bei Flanken eine hohe Streuung diese Saison hat, servierte in dieser Szene punktgenau für Lukas Hinterseer, der mit dem Kopf zur Stelle war - sein zweiter Treffer in Folge und sein sechstes Saisontor insgesamt.

Ewerton klagte über Schwindel  

Die erste 1:0-Führung für den HSV seit Ende Oktober und dem 6:2 gegen den VfB Stuttgart brachte der Mannschaft von Trainer Dieter Hecking aber nicht die erwartete Stabilität, sondern bewirkte das Gegenteil. Der HSV zog sich zu weit zurück, wurde passiv und ließ bis dato ziemlich eingeschüchterte Darmstädter ins Spiel kommen. Zu allem Überfluss musste dann in der 28. Spielminute noch der sehr präsente Ewerton verletzungsbedingt vom Platz. Einige Minuten zuvor musste der Brasilianer bereits im Gesicht behandelt werden. Zwar versuchte er es noch einmal, aber nach knapp einer halben Stunde ging es nicht mehr weiter. Hecking: „Ewerton hat über Schwindel geklagt und hat eine Verletzung unter dem Auge - deswegen mussten wir ihn rausnehmen.“

Rick van Drongelen kam in die Partie. Und das sorgte für einen Bruch im HSV-Spiel, welcher drei Minuten nach der Einwechslung des Holländers im Darmstädter Ausgleich durch Serdar Dursun mündete. Ausgerechnet van Drongelen verlor davor den entscheidenden Zweikampf gegen den Lillien-Stürmer. Zuvor hatte aber bereits Martin Harnik auf dem Flügel zu halbherzig verteidigt und die Flanke in den Strafraum nicht entscheidend genug verteidigt. Hecking: „Das war insgesamt ein schlechtes Abwehrverhalten von uns. Martin spekuliert auf eine Bewegung des Darmstädters nach vorne. Ich bin nicht dafür da, einzelne Spieler zu kritisieren. Auch das zweite Gegentor war zu vermeiden.“ Dazu später mehr.

Nach Leibold-Knaller staubt Jatta ab

Als sich beide Mannschaften schon mit dem Remis zur Pause abgefunden hatten, holte Sonny Kittel rund 17 Meter vor dem gegnerischen Tor einen Freistoß heraus - seine beste Szene im gesamten Spiel, das von ihm sonst ziemlich schwach war. Tim Leibold zimmerte den Ball an den Pfosten, doch Bakery Jatta hatte als einziger Spieler gedankenschnell reagiert und stand goldrichtig - 2:1 für den HSV. Zusatzfakt: Leibold hat damit inoffiziell bereits 12 Tore des HSV vorbereitet. Doch auch diese erneute Führung hielt nach der Pause nicht.

In der 58. Minute verhinderten Narey und Jatta den Darmstädter Torschuss nicht, welchen Daniel Heuer-Fernandes spät sah und dadurch nicht konsequent genug zur Seite abwehren konnte - Dursun stand richtig und staubte ab, weil auch Rick van Drongelen erneut zu spät kam. Zweite Torchance Darmstadt, zweites Tor, bitter für den HSV.

Van Drongelen trifft wuchtig - VAR greift ein

Fortan zeigte sich dasselbe Spiel: Darmstadt beschränkte sich auf die Defensive und konterte, der HSV rannte an und versuchte spielerische Lösungen zu finden. In der 76. Minute hätte dabei erneut Hinterseer um ein Haar das 3:2 erzielt, doch der Österreicher rutschte am langen Pfosten am Ball vorbei. Riesenjubel dann bei den rund 1.300 mitgereisten HSV-Fans nur zwei Minuten später: Nach einer Ecke hatte der HSV durch eine Kopfball-Stafette das vermeintliche 3:2 erzielt. Dudziak köpfte auf Letschert - und Letschert leitete weiter auf van Drongelen. Ausgerechnet der Vize-Kapitän, der bei beiden Gegentoren nicht gut ausgesehen hatte, nickte wuchtig ein. Doch die Freude währte nicht lange: Nach Videobeweis nahm Schiedsrichter Arne Aarnik den Treffer zurück.

Hecking sieht HSV auf dem richtigen Weg

So blieb es insgesamt beim erneuten Remis - das Zweite für den HSV in Serie. Damit hat der HSV in den vergangenen sieben Partien nur ein einziges Spiel gewonnen (2:1 gegen Dynamo Dresden). Durch die Patzer der Konkurrenz überwintert die Hecking-Elf dennoch auf Aufstiegsplatz zwei. Der Trainer sieht seine Mannschaft auf dem richtigen Weg: „Wir könnten jetzt Unzfriedenheit rausposaunen. Jeder, der uns kritisieren möchte, findet in den vergangenen sieben Spielen sicherlich Gründe dafür. Trotzdem sehe ich das große Ganze. Im Sommer haben wir einen großen Umbruch vorgenommen. Es war nicht zu erwarten, dass wir so stark in die Saison kommen. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass wir dieses Niveau auch bis zum Jahresende halten. Wir wissen aber intern, wie schwierig das ist und wie schwierig auch insgesamt diese Saison für uns werden wird. Wir sind jetzt Tabellenzweiter und unsere Aufgabe ist es, das ins Ziel zu bringen. Es wird aber bis zum 34. Spieltag so sein, dass sich keine Mannschaft oben absetzen wird. Also: Warum sollten wir unruhig werden? Wir haben alles selbst in der eigenen Hand.“

Am Sonntag trifft sich die Mannschaft samt Verantwortliche noch einmal in Hamburg. Trainer und Sportvorstand werden dort noch ein paar Worte an die Mannschaft richten und sie dann in die Winterpause schicken. Doch für die Macher geht da die Arbeit noch weiter - intensiv wird noch nach Verstärkungen für den Kader gesucht, abgegeben soll aktuell kein Spieler werden. Ausnahme: Kyriakos Papadopoulos - der befindet sich selbst auf Vereinssuche.

Für zwei neue Spieler ist noch Geld da - das wurde vor rund einer Woche öffentlich, weil Aufsichtsratschef Max-Arnold Köttgen es so bestätigte. Dabei wurde öffentlich jedoch auch über Spielerpositionen (Sturm, Rechtsverteidiger) gesprochen. Das hatte HSV-Trainer Hecking geärgert, wie er nach dem Darmstadt-Spiel erläuterte: „Ich habe mich natürlich gefreut, dass wir das Signal vom Aufsichtsrat bekommen haben, dass noch Geld für Spieler da ist. Um das noch einmal klarzustellen: Das war natürlich auch nicht der Grund für mein Ärgernis. Ich habe mich darüber geärgert, dass von der Aufsichtsrat-Seite über Positionen gesprochen worden ist, obwohl wir uns im sportlich verantwortlichen Bereich noch gar nicht darüber einig sind. Darüber habe ich mich geärgert, dass aber auch mit Max-Arnold Köttgen gesprochen.“

In diesem Sinne von meiner Seite aus: Ich wünsche allen HSV-Fans und Rautenperle-Lesern ein besinnliches Weihnachtsfest und ganz viel Gesundheit für das Jahr 2020. Vielen Dank für die Zeit und euer Feedback für meine Artikel. Wir lesen uns im kommenden Jahr.

Glück auf

Christian

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