Marcus Scholz

25. November 2019

Er hat ja nicht Unrecht. Wirklich nicht. Wenn Trainer Dieter Hecking das Schwarzweiß-Denken in Hamburg thematisiert, ist das mit Sicherheit sinnhaft. Mit der übertriebenen Häufigkeit dieser Kritik will Hecking die Erwartungshaltung in Hamburg realistischer gestalten. Und ich für meinen Teil würde behaupten: Mission erfüllt. Der HSV ist für mich inzwischen ein Zweitligist, der das realistische Ziel Wiederaufstieg verfolgt. Und in den Bewertungen der Spiele kann ich für meine Hamburger Kollegen und mich behaupten, dass wir das auch auf genau dieser Basis bewerten. Soll heißen: Auch ein knapper Sieg gegen Dynamo Dresden kann gut sein. Denn auch wenn ein Tabellen-17. der Zweiten Liga dem HSV im eigenen Stadion alles abverlangt, heißt das längst nicht mehr, dass der HSV unter seinen Möglichkeiten geblieben ist. Das Kurioseste an dem Ganzen: Diese Erwartungshaltung kommt tatsächlich eher von denen, die Heckings Kritik an der Berichterstattung bejubeln und davon sprechen, dass der HSV endlich einen Trainer hat, „der es der Presse mal so richtig zeigt“.

Nein, ich finde diese dauerhafte Debatte über die angeblich zu hohen Ansprüche zunehmend anstrengend. Denn Fakt ist, dass die breite Masse die neue Situation beim HSV längst angenommen hat. Die knapp 52.000 Zuschauer am Sonnabend gegen Dresden  - ziehen wir mal die knapp 6000 Dresdner ab - feierten den Sieg ausgiebig. Zum einen natürlich ob des späten Zustandekommens. Zum anderen aber, weil der HSV sich diesen Sieg verdient hatte. Sie erkannten an, dass die Mannschaft bis zum Schluss alles gegeben hatte und waren dementsprechend auch mit einem knappen Sieg zufrieden. Nach nunmehr 49 Zweitligaspielen der HSV-Geschichte sollte auch der Letzte wissen, dass es für diesen HSV in dieser Zweiten Liga keinen Gegner gibt, gegen den man nicht gewinnen kann - aber man kann eben auch gegen alle Punkte lassen. Siehe Wiesbaden, Kiel und Co.

Die HSV-Fans haben ihre Ansprüche realistisch angepasst

Wie gut die HSV-Anhänger den HSV auch als Zweitligist angenommen haben, zeigt das Zuschauerranking. Denn hier ist der HSV  definitiv noch erstligatauglich. Zu den bislang sieben HSV-Heimspielen kamen in dieser Saison im Schnitt 48.247 Zuschauer in den Volkspark. Beim Zuschauer-Ranking stellen die Hamburger zahlreichen Erstligisten in den Schatten. Mit Fortuna Düsseldorf (44.226) Hertha BSC (43.338), Werder Bremen (41.206), RB Leipzig (40.655), Augsburg (28.931), Bayer Leverkusen (27.993), Hoffenheim (26.999), Mainz (26.331), Freiburg (23.967), Wolfsburg (23.954), Union Berlin (22.012) und Paderborn (14.413) haben zwölf Bundesliga-Teams einen schlechteren Zuschauerschnitt als der HSV. In der Zweiten Liga liegt in dieser Kategorie aktuell nur der VfB Stuttgart (52.240) vor den Hamburgern. Ergo: Bundesweit ist man in Sachen Zuschauergunst Achter.  Und diese Erwartungshaltung ist nicht übertrieben, sie ist auch nicht schwarzweiß. Genau so muss es sein. Darauf konnte und kann sich der HSV in der aktuellen Umbruchphase verlassen, das ist die einzige Konstante.

Und genau so beschreiben es im Übrigen auch meine oft kritisierten Kollegen von der „Presse“. Die Fans sind Erste Liga - der Rest will da erst wieder hin. Die BILD nennt den HSV „Wackel-Erster“, das Abendblatt lobt die Moral des HSV gegen Dresden und der „kicker“ spricht von einem „Arbeitssieg“ und vielen bevorstehenden „Arbeitsspielen“. Niemand spricht hier noch davon, dass man die Gegner komplett dominieren muss. Wohlgemerkt: Man kann sie im Optimalfall dominieren - wenn man richtig gut spielt. Aber man muss es längst nicht mehr. Identisch verhält es sich im Übrigen mit der Notengebung. Aber das nur für die, die immer wieder mit dem Satz kommen: Aber für die Erste Liga ist das noch deutlich zu wenig.

Fakt ist aber auch: Für die Erste Liga ist das alles noch deutlich zu wenig. Wie das aussehen würde, zeigt gerade Köln sehr eindrucksvoll. Soll heißen: Sollte der HSV aufsteigen, wird er sich grundlegend verstärken müssen. Auf finanziell schmalem Fuß, so viel ist klar. Aber um eine sportliche Steigerung kommt dieser Kader nicht umher - sofern am Ende der Aufstieg realisiert werden kann. Aber bis dahin denkt der HSV wie ein Zweitligist mit Ambitionen. Und ich messe alle Spieler ausschließlich am Zweitliganiveau und dem klar formulierten Anspruch, am Saisonende einen Aufstiegsplatz zu belegen. Und auf diesem Weg befindet sich der HSV nachweislich.

 

Auch, weil Hecking mit seinem Mahnen bei der Mannschaft sicher keinen halt gemacht haben wird. Auch hier hat er nimmermüde davor gewarnt, dass ein paar Prozentpunkte weniger jedes Spiel verlieren lassen. Und die Mannschaft verinnerlicht das, wie das Dresden-Spiel gezeigt hat. Warum ich von einem Mut machenden Sieg geschrieben habe, wurde ich gefragt. Meine Antwort: Weil der HSV gegen Dresden uns und sich selbst bewiesen hat, dass er auch die Kampfspiele gewinnen kann. Denn davon kommen bis zum Jahreswechsel noch ein paar. Angefangen am Freitag mit dem schwierigen Spiel bei Aufsteiger VfL Osnabrück.

Der HSV lernt, sich auch in schwierigen Spielen durchzusetzen

Warum ich das alles schreibe? Ganz einfach:  Weil es in Osnabrück gegen einen Gegner geht, den man nicht schlagen muss. Nach fünf Spielen ohne Auswärtssieg könnte gegen die Mannschaft von der Bremer Brücke, die letzte Saison noch nun der Dritten Liga spielte, das tatsächlich das sechste Spiel in Folge werden, das man auswärts nicht gewinnt. Der VfL ist seit sechs Spielen in Folge ungeschlagen und holte zuletzt zehn der 18 Punkte. „Wir machen das, was in unseren Möglichkeiten steht“, sagt Benjamin Schmedes, der von 2014 bis 2017 beim HSV als Scout aktiv war und inzwischen die sportlichen Geschicke als Sportdirektor des VfL leitet. Für ihn wird es ein besonderes Spiel - das steht fest. Und er benannte auch ganz klar, worauf es ankommen wird: „Wir werden an unsere Grenzen gehen müssen, wie zuletzt so oft, um etwas zu holen. Aber gerade zuhause vor eigenem Publikum werden sich alle zerreißen, da bin ich mir sicher.“

Soll heißen: Wieder wird es für Aaron Hunt, Adrian Fein und Co. darauf ankommen, nicht nur kämpferisch gegenzuhalten, sondern parallel dazu das eigene spielerische Element hochzuhalten. So, wie man es in den letzten 20 Minuten gegen Dresden richtig gut gemacht hat - behaupte ich. Trainer Hecking sprach von einer „immensen Wucht“, die man hier aufgebaut habe. Ich nenne es einfach den unbedingten Willen, das Spiel noch zu gewinnen. Und das muss nicht immer schön aussehen. Das sieht sogar eher selten schön aus. Und darauf kommt es beim HSV auch schon seit einigen Jahren überhaupt nicht mehr an. Vielmehr geht es darum, die eigenen Ziele umzusetzen. Dafür zählen vor allem Punkte. Wie man die nach Hamburg holt - das ist zweitrangig bzw. der nächste Schritt. Denn Heckings Aufgabe besteht darin aufzusteigen, zudem eine Mannschaft zu entwickeln sowie sich fußballerisch so zu steigern - und zwar genau in dieser Reihenfolge. Und bislang gelingt das ganz gut.

 

Vor allem kann man festhalten, dass dieser HSV immer flexibler wird. Und auch darauf kommt es an. Das zunächst gegen Dresden auf 4-4-2 umgestellte und im Spielverlauf wieder zurück auf Voreinstellungen (4-3-3) gedrehte Spielsystem ist nicht mehr eindimensional. Und das auch WEIL Jatta fehlte. Erklärung: Sobald ein Bakery Jatta auf dem Platz steht, geht oft zu viel über ihn. Warum? Weil es einfach ist. Wenn ich als Spieler unter Druck bin , brauche ich den Ball doch nur lang auf den Gambier spielen. In 90 Prozent der Fälle - völlig unabhängig davon, wie mies der Pass war - bekommt Jatta den Ball irgendwie. Jatta ist demnach immer eine Lösung - aber übertreibt man das, macht es den HSV wieder ausrechenbar. Erst Herausforderungen wie die nach dem 0:1 gegen Dresden zeigen, wie weit die Mannschaft wirklich ist und ob ihr Lösungen einfallen.

Insofern: Mission erfüllt. Sie hat Lösungen gefunden und neben den drei Punkten einen weiteren kleinen Schritt in ihrer Entwicklung nach vorn gemacht. Und jetzt: Bitte unvermindert genau so weiter. Sie haben hier schon längst das Kommando übernommen, Herr Hecking! Daran zweifelt niemand. Sie geben vor - und bislang folgen ihnen doch auch alle. Vorstand, Mannschaft, selbst die zahlreichen Fans und die Medien. Ich bin mir sicher, das geht inzwischen auch ohne dieses ständige Rummäkeln an dem sagenumwobenen und ach so schwierigen Umfeld. Denn auch das hat sich längst verändert.

In diesem Sinne, bis morgen. Da wird übrigens um 10 und um 15.30 Uhr trainiert. Ich melde mich aber selbstverständlich vorher wieder um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch!

Bis dahin, Scholle  

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