Marcus Scholz

27. Juli 2020

Wenn wir bei uns im Niendorfer TSV über die neue Saison sprechen, nehmen wir bei der großen Analyse immer alle mit ins Boot. Da sitzen dann vom U19-Trainer über den U23-Trainer bis hin zu Liga Trainer und -Manager alle an einem Tisch und tauschen sich aus. Zunächst wird die vorausgegangene Saison analysiert. Daraufhin wird der Status Quo erhoben und geschaut, welche Spieler aus dem aktuellen Kader bzw. aus den aktuellen Kadern uns qualitativ helfen und dementsprechend bleiben sollen. Im Anschluss daran werden Bedürfnisse erfasst und positionsbezogen über Namen gesprochen. Denn während wir in der Oberliga einen besonders guten Überblick haben, haben die U19-Trainer alle A-Jugendlichen und die U23-Trainer und -Manager die Landesligakicker im Blick. Da werden Talente empfohlen, die der ranghöchsten Mannschaft bei uns, der Liga, helfen. Und es werden durchaus auch höherklassige Spieler für die klassentiefere Mannschaft empfohlen – als Leader der jungen Talente. Eitelkeiten gibt es da nicht. Im Gegenteil. Wir verstehen uns als ein Verein mit einem gemeinsamen Ziel: Erfolg.

 

Ok, zugegeben: Wir sind im Vergleich zum HSV natürlich nur ein kleiner Amateurverein, bei dem „Manager“ noch ehrenamtlich arbeiten und Trainer gerade mal ihren Aufwand entschädigt bekommen. Bei Transfers dreht es sich nie um Millionensummen sondern um ein paar hundert Euro – und auch das nur, wenn es die richtig teuren Spieler sind. Auch spielen wir nicht um internationale Wettbewerbe und TV-Millionen, sondern um unbezahlte Meisterschaften und Prestige. Das entspannt die ganze Lage sichtlich gegenüber dem Profifußball. Wir sind in allem einfach ein paar Stufen kleiner unterwegs. Und dennoch gleicht sich in den Abläufen vieles. Daher kann ich die Häme gegenüber dem HSV auch ehrlich gesagt nicht nachvollziehen, die aktuell hier im Blog vorherrscht

Was die Großen von den Kleinen lernen können

Ich hatte gestern unmittelbar nach Veröffentlichung des Blogs Telefonate zu führen. Ich wurde angerufen, genauer gesagt. Auch von einem HSV-Mitarbeiter, der mir gegenüber seine Verwunderung über das Geschriebene äußerte. Es sei so nicht den Tatsachen entsprechend. Was genau er meinte, wollte ich wissen. Und obgleich mein Gesprächspartner antwortete, obwohl er offenbar mehr daran interessiert war zu erfahren, woher meine Vertraulichen Infos stammten.

Dennoch erläuterte er mir, dass bei der Kaderplanung und insbesondere den Transfers von Amadou Onana und Klaus Gjasula die Profi-Abteilung ausschlaggebend gewesen sei. Es sei tatsächlich nicht so gewesen, dass die beiden Zugänge zuerst über die Nachwuchsabteilung gespielt worden seien, sondern beide seien bei der Scoutingabteilung der Profis längst bekannt gewesen.

Meine Frage an Euch: Ist es wichtig, wer am Ende zuerst einen Namen genannt bekommen hat bzw. wer zuerst einen neuen HSV-Spieler vorschlägt. Oder ist nicht ausschließlich entscheidend, dass dieser Spieler funktioniert?

Ich kann behaupten, dass mir als kleiner Ligamanager (früher hieß sowas Obmann) scheißegal ist, ob ein richtig guter Spieler letztlich von mir entdeckt wurde oder ob dieser von einem anderen Teammitglieder oder aus der großen gemeinsamen Runde kommt. „Bei uns läuft immer alles in Teamarbeit“, sagte mit gestern auch NLZ-Chef Sebastian Harms, der weder sich noch irgendwem sonst die Lorbeeren für Gjasula und Onana anheften wollte. Und ich glaube, alle wären gut beraten, würden sie sich dieser Haltung anschließen. Denn eines ist auch klar: Wird ein Neueinkauf zum Flop, dreht sich diese Teamhaltung beim HSV traditionell schnell. Dann will gar keiner mehr die Triebfeder des Transfers gewesen sein.

Hoffen auf Thiounes neue Art der Führung

Und wenn wir schon bei Zugängen sind, bleiben wir auch kurz da, denn die U21 des HSV hat noch einmal zugeschlagen. Mit Robin Meißner kommt ein Angreifer aus der U23 des FC St. Pauli zum Nachwuchs des HSV, der sich zudem über die Verpflichtung von Torhüter Leo Oppermann (Union Berlin) freut. Der 18-Jährige hatte beim Bundesligisten vergangene Saison sogar einen Profivertrag erhalten, spielte dort allerdings ausschließlich in der U19-Bundesligamannschaft. Unklar ist nur, wer die beiden Spieler zuerst beim HSV vorgeschlagen hatte...

Aber im Ernst: Mit dem neuen Trainer Daniel Thioune hat der HSV die große Chance, den Neuanfang auch als einen solchen zu gestalten. Das wird sich in letzter Konsequenz auf dem Platz wiederspiegeln, wo der HSV hoffentlich bis zum 34. Spieltag eine Geschlossenheit demonstriert, wie er sie in der abgelaufenen Saison in der Hinrunde gezeigt hatte. „Empathie ist ein ganz wesentlicher Erfolgsschlüssel“, hatte Thioune uns im Kennenlerngespräch gesagt. Und ich habe tatsächlich (mal wieder) die Hoffnung, dass der neue Trainer hier auch eine neue Art des Miteinanders schafft. Ohne falsche Eitelkeiten.

„Der beste Chef ist nicht der, der selbst am besten arbeitet“, hatte mein Opa früher mal zu mir gesagt, „der beste Chef ist immer der, der am besten delegieren kann.“ Soll heißen: Du allen kannst noch so gut sein – allein bist Du im Team nichts. Und genau so hatte sich auch Thioune vorgestellt und mir damit suggeriert, dass solche Eitelkeiten wie im Falle Gjasula und Onana hier möglichst bald der Vergangenheit angehören sollen. Schön wär‘s.

Schön wäre es für den neuen HSV-Trainer auch, wenn er möglichst bald seinen finalen Kader beisammenhat – aber das wird aller Voraussicht nach noch eine ganze Weile dauern. Sportvorstand Jonas Boldt hatte unlängst angekündigt, dass man seine Transfers auf die gesamte Transferphase ausgerichtet hätte. Und die läuft bekanntermaßen noch bis in den Oktober, wo die Saison schon gespielt wird. Angesichts der bedeutsamen Positionen in der Innenverteidigung (es werden noch zwei Innenverteidiger gesucht) und im Sturmzentrum wird sich Thioune, der heute seinen Dienst beim HSV im Volkspark auch offiziell angetreten hatte, noch gedulden müssen.

Thioune lässt keinen Platz für falsche Eitelkeiten

Wichtiger als das aber wird sein, dass Thioune mit seiner Art zu führen frischen Wind in den Volkspark bringt. Selbst der bei den Spielern ob seiner Geradlinigkeit zuletzt sehr geschätzte Dieter Hecking hatte am Ende Probleme, weil der erfahrene Trainer einfach Dinge in dem Gedanken „das war schon immer so“ vorausgesetzt hat – und damit die neue, zweifelsfrei sensiblere Generation Fußballer verlor. Etwas, was Arminia Bielefeld und Heidenheim dem HSV deutlich voraushatten. „Er passt zu unserer etwas veränderten Ausrichtung“, sagte auch Sportvorstand Jonas Boldt.

Hört man sich mal ein bisschen um, hört man viel Gutes über Thioune. In Osnabrück galt Thioune als starker Motivator, nach Rückschlagen kam sein Team immer wieder zurück. Vom sportlichen Leiter habe ich mir im Laufe der Hinrunde sagen lassen, dass der Trainer sich als Teil der Mannschaft verstünde und das bei den Spielern extrem gut ankäme.  Kurz gesagt: In Osnabrück entwickelte Thioune den Glauben an die eigenen Fähigkeiten, die erst im Team zum Tragen kommen. Er stellte immer das große Ganze über den Einzelnen – auch über sich selbst. Und ich bin mir sicher, dass nur das am Ende auch wirklich funktionieren kann. 

Vor allem wäre dieser Weg endlich frei von falschen, lähmenden Eitelkeiten, die dem HSV in den letzten Jahren viele Fehlentscheidungen einbrachten. Und die kann sich der HSV wirklich überhaupt nicht mehr leisten. Nirgendwo.

Schon deshalb sollte es am Ende beim HSV so scheißegal egal sein wie bei uns kleinen Niendorfern (und ganz sicher noch sehr vielen anderen Klubs) in der Oberliga, wer welchen Spieler zum HSV gelotst hat. Es darf nicht wichtig sein, wer auf dem langen Weg einer Saison am Ende was genau entschieden hat. Es geht nicht darum, einzelne Entscheidungen zu feiern, sondern ausschließlich darum, am Ende den erhofften Erfolg zu haben. Denn dann dürfen sich alle feiern.

In diesem Sinne, zum Abschluss noch die Meldung der BILD, dass Bakery Jattas Anwalt an eine Einstellung des Verfahrend glaubt. Auch das wäre schön. Vor allem für Jatta selbst.

Bis morgen!

Scholle

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