Marcus Scholz

22. Juni 2018

Zuerst dachte ich nur: Oh mein Gott. Nicht er auch noch. Immer dieselben Floskeln der Sportlich Verantwortlichen zu Amtsantritt. Aber im Laufe des Textes wurde mir klar, dass die Formulierungen in diesem Zusammenhang durchaus Sinn machten. Aber lest selbst, was Ralf Becker, seines Zeichens Vorstand Sport beim HSV, den Kollegen von „Sportbuzzer“ sagte: „Wir müssen innovative Ideen entwickeln, um gute Spieler zu bekommen. Wir müssen früher als andere dran sein, mutiger sein“, so Becker mit dem Teil, der mich zusammenzucken ließ. Aber dann erklärte er es: „Leihen könnten auch ein Thema werden, weil große Vereine häufig 24 oder 25 Topspieler im Kader haben, die dort nicht alle zum Zuge kommen. Am Ende geht es darum, aus den Möglichkeiten das Beste zu machen und vernünftig zu wirtschaften. Und da kann auch mal eine Leihe eine gute Option sein.“

Stimmt.

Und gerade bei Becker ist diese Aussage keine Floskel, keine leere Worthülse, wie es bei vielen seiner Vorgänger der Fall war. Denn bei Becker hat dieses Vorgehen tatsächlich System. Becker ist eine Art Low-Budget-Sportchef. Hintergrund: Als Geschäftsführer Sport war Becker auch bei Holstein Kiel verantwortlich für die Transfers. ***korrigiert*** Und zwar erstmals in der Saison 2016/2017, wo er ohne Geldeinsatz den Kader zusammenstellte: Sieben ablösefreie Spieler sowie drei Leihspieler kamen und schafften tatsächlich den Aufstieg in die Zweite Liga. Dort angekommen gab Becker wiederum, genau, Ihr ahnt es: keinen Cent aus. Becker holte drei ablösefreie sowie vier Leihspieler nach Kiel und verpasste den Aufstieg in die Erste Liga erst in der Relegation gegen Wolfsburg. Soll heißen: 17 Spieler in zwei Jahren verpflichtet – ohne einen Cent auszugeben. Dazu kommen noch jeweils ein Spieler pro Jahr, wo nicht klar ist, ob und was er gekostet haben soll. Anzunehmen ist aber, dass es wenn überhaupt nur sehr kleine Beträge sein dürften.

Insofern ist Beckers Bilanz nach drei Jahren schon beeindruckend: Aufstieg von der Dritten bis in die Spitzengruppe der Zweiten Liga mit (nahezu) null Geldeinsatz bei null Einnahmen. Und zum Abschied gab es noch mal 4,3 Millionen Euro aus bisherigen Verkäufen im Sommer 2018 für Kiel. Stellt sich die Frage, wie sich Becker beim HSV macht. Klare Antwort: Er bleibt sehr sparsam. Bislang bleibt Becker seinem Stil treu und holte erst drei Neue, während bereits 8,5 Millionen  Euro eingenommen wurden.

Dass es eher nicht dabei bleibt, ist ziemlich wahrscheinlich. Allerdings steht bereits heute ein Kader zur Verfügung, der den Anspruch haben muss, oben mitzuspielen. Das sagt zumindest Trainer Christian Titz, wissend, dass neben einigen Abgängen (Wood, Halilovic, Walace, Ekdal, Kostic) auch noch ein paar Neue dazukommen sollen. Aber angesichts des Arbeitsschemas von Becker gehe ich stark davon aus, dass es einen deutlichen Transferüberschuss geben wird. Eine Rarität beim HSV. Oder besser gesagt: Das erste Mal überhaupt seit der Ausgliederung 2014. Seitdem gaben Beckers Vorgänger 121,6 Millionen Euro aus und nahmen 48,05 Millionen Euro ein. Das ist ein Minus von 73,55 Millionen Euro, also 18,4 Millionen im Schnitt pro Saison als AG – um nach vier Jahren trotz 121,6 Millionen Euro Ausgaben das erste Mal in der Vereinsgeschichte zweitklassig zu sein.

Aber okay, jetzt kommt Becker. Mit dem klaren Auftrag, den Spieleretat auf rund 33 Millionen Euro zu senken. Und so schwer das ob einiger geerbter Vertragsverhältnisse auch zu sein scheint, Becker hat allemal einen guten Start hingelegt. Auch, weil man sich intern eine klare Marschroute auferlegt hat: Mit Christian Titz auf eigene Talente setzen, Führungsspieler halten, sowie teure Spieler abgeben und günstig ersetzen. Auch wenn das bedeutet, unzufriedene Spieler von großen Klubs auszuleihen. Im Grunde genommen macht Becker nur genau das, was der HSV seit Jahren hätte machen müssen und ja angeblich auch immer wieder mal vorhatte. Womit ich wieder zu dem Punkt komme, ehrliche Hoffnung zu haben, dass es unter der Regie von Becker zusammen mit Chefscout Johannes Spors und Trainer Christian Titz den ewig proklamierten Neuanfang gibt. Und bei den Fans kommt das alles offenbar gut an: Inzwischen sind schon knapp 25.000 Dauerkarten verkauft.

***Zwischenruf: Brasiliens Sieg ist nicht unverdient. Und Neymar ist zweifellos ein unfassbar guter - aber eben auch ein arroganter und unterirdisch unsympathischer Kicker. Mehr Show als echt - schlimmer geht’s kaum. Finde ich. ***

In Glücksburg soll von Sonntag an bis kommenden Freitag taktisch gearbeitet werden. Auf dem Platz – und in Gruppenarbeiten. „Es ist schon erstaunlich, wie viele gute Ideen die Jungs haben, wenn sie sich intensiv mit unserem Spiel beschäftigen“, sagt Titz, der die Gruppenarbeit auch auf das Thema Zweite Liga lenken will. „Wir müssen uns mit der neuen Situation beschäftigen, um sie annehmen zu können. Und das werden wir in den nächsten Tagen intensivieren.“

Anfangen will Titz damit morgen ab 11 Uhr (HSVtv überträgt auf tv.HSV.de sogar live!) auf dem Platz. Er werde dort Laufwege einstudieren, sagte er uns gestern und deutete an, dass es eine längere Einheit werden könne. Am Sonntag um zehn folgt dann die zweite öffentliche Einheit, ehe es gegen Mittag nach Glücksburg geht, wo auf dem Kasernengelände Montag zwei nicht öffentliche Einheiten stattfinden sollen. Ich werde Euch von vor Ort berichten.

In diesem Sinne, bis morgen. Ich verabschiede mich jetzt in den WM-Restabend!

Scholle

 

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