Marcus Scholz

6. August 2018

Tropische Temperaturen sind ja inzwischen schon Usus in hamburg. Und trotzdem war das heutige Training anders. Die Niederlage gegen Kiel passte irgendwie nicht zur Sonne und der guten Laune der Zuschauer. „Lieber jetzt einmal deftig und daraus lernen, als am Anfang sechs Punkte, Tabellenführung und dann absteigen“, sagte mir ein Blogleser, der aus Stuttgart angereist war und den ich hiermit grüßen möchte. Ebenso wie das nette Ehepaar aus Thüringen natürlich, das hier in Hamburg trotz der Niederlage einen schönen Urlaub hatte und noch bis morgen hat. Aber unsere Blogleserinnen und –Leser waren nicht die einzigen, die sich von dieser einen Niederlage nicht sofort aus der Bahn werfen ließen. „Wir wissen, was wir zu tun haben“, so Sportvorstand Ralf Becker, der betonte, die Aufregung zu verstehen. Man habe es ja selbst anders geplant.

Becker machte heute genau das, was er tun kann: Er demonstrierte Eintracht, ohne eben das zu sehr zu betonen. Denn das ist schlichtweg nicht nötig. Nur, weil Außenstehende (teilweise sogar aus Eigeninteresse) versuchen, den HSV nach den ersten zugegeben größtenteils sehr schwachen 90 Minuten komplett in Frage zu stellen, müssen die hiesigen Verantwortlichen nicht reagieren. Im Gegenteil, je weniger es sie tangiert, was von außen kommt, desto besser ist es in diesem Fall. Der ebenso von den finanziellen Umständen erzwungene wie mutige Weg der letzten Wochen und Monate muss fortgesetzt werden.

Ehrlich gesagt liegt vielleicht gerade in dieser übertriebenen Untergangsstimmung eine auf lange Sicht wichtige Probe für den neuen Zusammenhalt, das neue Vertrauen. Denn in den letzten Jahren, das kann ich mit Sicherheit sagen, war viel zu oft Populismus der entscheidende Faktor für gravierende Entscheidungen. Vor allem im personellen Bereich. Was ich meine? In den letzten Jahren zählte viel zu oft, was man der Öffentlichkeit besser verkaufen konnte. Und wenn ich heute lese, was für Untergangsszenarien von Leuten wie Ivica Olic oder auch Peter Neururer verbreitet werden kann ich nur froh sein bzw. hoffe ich inständig, dass diese beim HSV kein Gehör finden.

Zumindest aber machte Becker heute diesen Anschein. Er kritisierte deutlich, aber er ordnete die Sachlage nach seinem ersten Wochenende als Sportvorstand in der Saison auch unaufgeregt ein. Ob er überrascht war von der Massivität der Kritik? „Das war mir ja nicht neu. Wenn Du beim HSV arbeitest, hast Du in allen Bereichen ein größeres Aufkommen. Das wissen wir alle. Im Positiven ist alles schöner, besser, größer und schneller. Und im Negativen ist es halt genauso, nur umgekehrt. Das war dann schon klar, da will ich mich nicht beschweren“, so Becker, der hinzufügte: „Noch mal, wir standen alle vor fünf, sechs, sieben Tage zusammen und hatten alle ein gutes Gefühl, jetzt sind wir knallhart auf dem Boden angekommen. Das hatten wir ja auch schon gesagt. Der Sache  muss man sich auch stellen, das haben wir uns nicht so vorgestellt, und das ist auch nicht gut so. Jetzt gilt es, eine gute Trainingswoche hinzulegen, die Dinge zu analysieren und am Sonntag eine gute Reaktion zu zeigen. Das ist Leistungssport, Leistungsfußball. Und wir haben das am Freitag nicht gut gemacht und haben richtig einen übergebraten bekommen.“

Allerdings hat die Niederlage den Bedarf an Verstärkung für die Innenverteidigung noch mal demonstriert. „Dass wir noch was machen wollen, war vor dem Spiel klar. Jetzt haben wir noch mal den Eindruck des Spiels, den wir mitnehmen. Wir sind am Arbeiten. Wir wollen eine gute Lösung präsentieren, gern auch zügig. Das wird jetzt das Thema für den August sein, jeden Tag zu schauen, was da passieren kann.“ Wie lange man dafür angesichts der engen Personallage gerade in der Innenverteidigung Zeit habe? „Es ist klar, dass jetzt jeder danach ruft. Das verstehe ich ja auch. Aber was wir nicht machen wollen, ist jetzt aus Aktionismus etwas machen, um erst mal alle zu befriedigen du dann ist es damit getan. Auf jeden Fall ist das nicht mein Ansatz.“

Becker machte tatsächlich genau das, was ich mir gestern via Blog erhofft hatte: Er beschönigte nichts, aber er lässt sich jetzt auch nicht treiben und trifft populistische Entscheidungen, die erst mal für Ruhe sorgen, dem HSV aber auf lange Sicht auf die Füße fallen. Die Suche nach einem neuen Innenverteidiger sei zudem etwas komplexer, als man denken würde, so Becker: „Nach der Verletzung haben wir Optionen besprochen auch die, die für uns sportlich interessant sind. Dann hast du noch den wirtschaftlichen Aspekt und die vertragliche Situation und Konkurrenten. Du guckst einfach, dass du die bestmögliche Entscheidung triffst. Viele Dinge lassen sich aus verschiedenen Gründen nicht umsetzen, deshalb muss man geduldig bleiben und weitersuchen, bis der Spieler gefunden ist, von dem man überzeugt ist.“

Daran arbeiten Titz, Becker und die Scoutingabteilung um Johannes Spors tagtäglich. „Man meint ja oft, das müsse doch schnell möglich sein. Aber so einfach ist es nicht, für den HSV einen zu finden, der die Qualität hat für alles, was auf ihn zukommt und der in unser Programm passt und sofort hilft.“ Immerhin soll der neue Mann für den HSV eine Sofortverstärkung sein, mit der man auch längerfristig zusammenarbeiten will. Becker: „Das ist eine Herausforderung von der ich überzeugt bin, dass wir sie meistern werden. Aber ob das jetzt morgen passiert oder in acht Tagen kann ich nicht versprechen.“

Dem öffentlichen Aufschrei misst Becker zumindest keine übergeordnete Rolle zu: „Wir hatten viele gute Tests, eine gute Vorbereitung, alle ein gutes Gefühl. Wir wussten aber auch, dass Ligaspiel noch mal etwas anderes als Vorbereitung. Es gab jetzt noch mal Erkenntnisse, die wichtig waren – und die fließen in diese Entscheidung mit ein. Ich weiß auch, dass jetzt jeder gern schnell irgendwo etwas haben will, das kann man auch nachvollziehen. Aber wir haben gewisse Situationen, sportlich auch Rahmenbedingungen – da müssen wir eine gute Entscheidung treffen. Die kann gern morgen passieren, wenn’s alles gut ist. Aber wenn es bis Mitte, Ende August dauert, dann ist es halt einfach so. Wir haben jetzt zwei Spiele, dann ein Pokalspiel. Wir haben gesagt, dass wir uns da nicht unter Druck setzen lassen wollen, auch wenn durch das Ergebnis automatisch Druck da ist.“

Punkt. Genau so ist es. Arbeiten lassen, Ruhe bewahren und es am Sonntag besser machen ist das Motto.

Und dafür testete Trainer Christian Titz heute in dem knapp zwei Stunden langen Training mit Albin Ekdal im vermeintlichen A-Team. Neben Samperio Jairo (muskuläre Probleme) flogen David Bates, Vasilije Janjicic und Tatsuya Ito aus dem A-Team. Jonas David rückte in die Innenverteidigung neben Rick van Drongelen, Ekdal und Christoph Moritz ins Mittelfeldzentrum und Pierre-Michel Lasogga in den Sturm. Allerdings bin ich mir sicher, dass sich daran im Laufe der Woche noch etliche Male etwas ändern wird. Titz forciert den Konkurrenzkampf – und er kann eventuell wieder auf Kapitän Aaron Hunt zählen. „Bei Aaron müssen wir noch abwarten, Wir werden nichts riskieren. Aber es könnte funktionieren“, so Becker, „es ist schon besser geworden und wir sind optimistisch.“

Auch, was Douglas Santos’ Verbleib beim HSV betrifft. Ob es dort Bewegung gibt? Becker: „Also da ist gar nichts, das haben wir klar gesagt. Wenn es einen Verein gibt, der internationale Topklasse hat und bereit ist, eine entsprechende Ablöse zu zahlen, dann müssen wir uns hinsetzen. Und das würden wir auch machen. Aber das ist bis jetzt nicht der Fall. Ich gehe davon aus, dass alles so bleibt, wie es ist.“ Ob bislang nur der FC Schalke nachgefragt habe? Becker verneint: „Auch nicht so, wie wir uns das vorstellen. Das war eigentlich nie ein Thema. Wir haben da eine Diskussion gehabt, die es eigentlich nie gab. Es war unglücklich für den Jungen in einigen Teilen, weil Diskussionen aufkamen, die für ihn  nicht einfach sind. Aber das haben wir klar besprochen und uns klar positioniert, und jetzt ist Thema hoffentlich für alle auch klar.“

Klingt gut.

In diesem Sinne, morgen wird um 10 Uhr trainiert, während am Mittwoch um 11 Uhr und am Donnerstag gar nicht trainiert wird. Neun Tage zwischen den beiden Spielen führen dazu, dass Titz seine Spieler noch einmal durchschnaufen lässt.

Bis morgen!  

Scholle

 

P.S.: Dass sich dieser HSV nicht zu schade ist bzw. hoffentlich war, Mondpreise zu zahlen, ist bekannt. Aber ein Stadtderby gegen den FC St. Pauli auf Zweitliganiveau mit Preisen aus der Erstligasaison zu versehen, das ist schon bitter. Aber 85 Euro für einen Sitzplatz?

Wow... Das ist fast so bitter wie die Tatsache, dass diese Tickets wahrscheinlich trotzdem alle verkauft werden.

 

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