Marcus Scholz

8. August 2019

Die ganze Stadt, die A7 und alles rund um den Volkspark war dicht. Stau hier, Stau da - Verkehrschaos. Dennoch hatten es rund 250 Fans pünktlich zum Trainingsstart an das Volksparkstadion geschafft und applaudierten ihrem angeschlagenen Helden, als dieser die Treppen zum Training hinabstieg. Jatta vorneweg, die Mannschaft hinter ihm her - es sollte zweifelsfrei symbolisch wirken. Vor dem Training hatte sich die Mannschaft gemeinsam überlegt, wie sie ihrem Kollegen zur Seite stehen kann - und dieser Treppenabgang war das (erste) Ergebnis. Als dann ausgerechnet ein Bild-Reporter Jatta über die Köpfe etlicher Fans hinweg die Frage zurief, wie es ihm denn gehen würde, antwortete dann auch nicht Jatta, sondern dessen Kumpel Kyriakos Papadopoulos übernahm. Und das unmissverständlich: „Nerv’ nicht!“, so der Grieche laut und deutlich, woraufhin der Bild-Reporter auch auf eine weitere Nachfrage verzichtete.

„Baka, mach einfach so weiter“ und „Baka, Du bist einer von uns“ riefen die wartenden Fans dem Angreifer zu, der sich nach einem SportBild-Bericht derzeit dem Verdacht ausgesetzt sieht, unter falscher Identität beim HSV zu spielen. Ein Vorwurf, der noch unbewiesen ist - der aber im Raum steht und dafür sorgt, dass auch heute am Trainingsplatz trefflich diskutiert wurde.  Nahezu jeder HSV-Interessierte scheint sich derzeit über die verschiedensten Wege mitteilen zu wollen. Gut für Jatta: Deutlich in Überzahl waren und sind dabei diejenigen, die Jatta als Unschuldigen nennen. Also so, wie man ihn aktuell sehen muss, denn bewiesen ist trotz zahlreicher Indizien noch nichts. Und es erscheint inzwischen auch mehr als fraglich, ob das möglich ist. 

 

Ruhiger wird es um Jatta in den nächsten Tagen und voraussichtlich auch Wochen dennoch nicht werden. Und damit meine ich nicht allein den Umstand, dass sich ein SportBild/Bild-Team morgen sogar auf den Weg nach Gambia macht, um vor Ort weiter nach Beweisen für ihre aufgestellte These zu suchen. Nein, das müssen die Kollegen, die Jatta öffentlich gebrandmarkt haben, jetzt auch machen, wenn sie sauber aus der ganzen Geschichte rauskommen wollen. Denn eines ist mal sicher: Egal, wie diese Geschichte am Ende ausgeht, Jatta wird einen Makel davontragen, den er kaum loswerden kann. Insofern stehen meine Kollegen hier sogar unter Druck, die Geschichte mit Beweisen zu rechtfertigen. Alles andere als eine wasserdichte Beweisführung wäre gleichzusetzen mit Rufmord, mindestens aber übler Nachrede, die rechtlich nicht weniger relevant und zu verurteilen ist wie die dem Spieler unterstellte Urkundenfälschung.

Heute nun berichtet die "taz":

Sulayman Kuyateh, gambischer Fußballtrainer, früherer Coach des dortigen Erstligaklubs Brikama United hat nun folgende Aussagen getätigt: „Ich kannte ihn als Jatta, nicht als Daffeh.“ Von einer falschen Identität könne keine Rede sein. Weiter sagt er: „Ich glaube, das ist alles nur ein Gerücht. Ich würde ihn vor jedem Gericht verteidigen, denn er ist zu ernsthaft, um so etwas zu machen.“

Das bestätigt auch ein von der taz befragter gambischer Sportjournalist: „Die Sache ist hier nicht in den Nachrichten, weil man es nur als unwichtiges Gerücht wahrnimmt.“ Sulayman Kuyateh, Jattas Ex-Trainer bei Brikama United, sagt: „Die beiden Trainer, mit denen die Bild-Zeitung gesprochen hat, wollen nur Geschichten über den jungen Spieler verkaufen. Sie wissen kaum etwas über ihn und seine Karriere.“

Viele Gerüchte, Vorwürfe und unbewiesene Anschuldigungen. Immer wieder stehen Aussagen gegen Aussagen. Erfreulich aus meiner Sicht: Von HSV-Seite ist in den letzten Wochen vieles richtig gemacht worden. Und das erwähne ich, weil es in den letzten Jahren unter anderen Führungen längst nicht immer so war. Zu oft verpasste man den Moment, seinen Spielern und Funktionären in schwierigen Momenten zur Seite zu stehen. Diesmal nicht. Und: Sich bislang aus den Recherchen der SportBild-Kollegen rauszuziehen, war das Beste, was sie machen konnten. Ebenso die Stellungnahmen, in denen sich der Verein komplett hinter seinen Spieler stellt. Heute forderte man via Pressemitteilung die zuständigen Verbände auf, sich ebenfalls zu positionieren:

 

HSV FORDERT POSITIONIERUNG VON DFB UND DFL

CLUBFÜHRUNG STELLT SICH HINTER BAKERY JATTA, DESSEN IDENTITÄT ÖFFENTLICH ANGEZWEIFELT WIRD.

 

Der HSV steht zu und hinter Bakery Jatta. Nachdem mehrere Medien die Identität des Offensivspielers angezweifelt hatten und der 1. FC Nürnberg daraufhin Einspruch gegen die Spielwertung des Hamburger 4:0-Sieges am vergangenen Montag beim DFB einlegte, äußert sich nun HSV-Sportvorstand Jonas Boldt zu dem Thema.

Jonas Boldt: „Wir sind sehr verwundert, dass der 1. FC Nürnberg Einspruch gegen die Wertung unseres 4:0-Sieges eingelegt hat und werden dazu selbstverständlich wie gefordert Stellung gegenüber dem DFB und der DFL beziehen. Wir erwarten im Gegenzug von Liga und Verband eine eindeutige und schnellstmögliche Positionierung, was die Spielberechtigung von Bakery Jatta betrifft, damit ein rechtssicherer Ablauf des Pokal- und Punktspielwettbewerbs gewahrt bleibt. Schließlich hat unser Spieler seit drei Jahren einen gültigen Pass und eine Spielerlaubnis. Für uns ist es nicht akzeptabel, dass diese Spielberechtigung aufgrund von Vermutungen angefochten wird.

Wir stehen voll hinter Bakery und werden ihn auch weiterhin voll umfänglich im Trainings- und Spielbetrieb einplanen, zumal er ein wertvoller Spieler und voll integrierter, geschätzter Teamkollege ist.

Ich persönlich finde es unglaublich und erschütternd, dass sich unser Spieler wegen dieser öffentlichen Diskussion teilweise einem gesellschaftlichen Spießrutenlauf ausgesetzt sieht. Baka hat uns gegenüber die Korrektheit seiner Passangaben noch einmal bestätigt.“

 

Das Thema Jatta bietet von der Sache her extrem natürlich viel Nährboden für politische Wertediskussionen. Auch ich hatte deshalb hier die Rolle der Medien und des DFB angeschnitten.  Letztgenannter muss den Moment mit einer Entscheidung regeln, das ist klar. Und wir Journalisten tun gut daran, uns weiterhin an Fakten zu orientieren und darauf zu achten, keinen Menschen vorzuverurteilen.

Im Training ließ sich Jatta heute nichts anmerken

Positiv überrascht bin ich, wie sich der HSV, die Supporters und der absolute Großteil der Fans in den verschiednen Foren zu diesem Thema äußern. Braunes Gedankengut, das sich trefflich auch aus dieser Thematik ableiten ließe, wird im Keim erstickt. Und auch wenn - nein gerade weil es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch  unsere rechtsorientierten Politiker dieses Thema für ihre Propaganda nutzen wollen, freut es mich zu sehen, zu hören und zu lesen, wie sachlich die HSV-Anhänger sich positionieren. Immer dem Grundsatz folgend: Im Zweifel für den Angeklagten. Denn Fakt ist auch heute noch: Jatta wurde öffentlich angeklagt - aber er ist bis zum Beweis des Gegenteils noch genauso unschuldig wie vorgestern, vor einer Woche, einem Monat und all den Jahren seit seiner Geburt. Auch wenn das viele schon anders sehen mögen.

 

Im Training heute versuchte sich Jatta nichts anmerken zu lassen. Und das machte er gut. Auch nach dem Training stellte er sich bereitwillig den Fans und machte ein Selfie nach dem anderen. Auch, wenn es heute sicher mehr als sonst waren, bemühte sich der Gambier darum, alle Wünsche zu erfüllen. Wie immer übrigens. Denn Jatta ist ein sympathischer Mensch. Einer, der bis heute den Fans respektvoll begegnet und der sich mannschaftsintern ob seiner Art und seiner Umgangsformen großer Beliebtheit erfreut. Warum ich das so oft erwähne? Weil ich auf einen positiven Effekt für und von der Mannschaft hoffe. Denn sie kann in den nächsten Tagen und Wochen nach außen auch dem Letzten verdeutlichen, dass ihre Gemeinschaft (endlich) richtig stark ist. Es kann - so perfide das auch in diesem Zusammenhang klingen mag - tatsächlich den Zusammenhalt in der Mannschaft noch einmal verbessern.

Hunt fällt gegen Chemnitz aus, Bates wechselt zu Sheffield

Wenn es so kommt, wie es viele es erwarten, stehen Jatta und dem HSV schon am Sonntag bei den als politisch stark rechts orientierten Ultras vom nächsten Pokalgegner Chemnitzer FC eine erste Härteprobe bevor. Bei diesem Spiel wird Aaron Hunt, der heute mit Leistenproblemen pausierte, übrigens fehlen. Zumindest Stand heute. Auf seinen Kapitän angesprochen sagte Hecking nach dem Training, dass es schlecht für Sonntag aussehen würde und dass Hunt voraussichtlich geschont würde, um in der kommenden Woche gegen den VfL Bochum im Heimspiele wieder dabei sein zu können. Und während Ewerton heute im Training seine Ambitionen auf seine HSV-Premiere am Sonntag untermauerte, war David Bates in England, um dort mit Sheffield Wednesday zu verhandeln. Und das machte er so gut, dass der HSV noch am Abend die Leihe für ein Jahr ohne Kaufoption als beschlossen vermeldete:

 

Viel Glück, David!

 

Und damit komme ich auch schon zum Ende des heutigen Blogs. Allerdings nicht ohne noch einmal auf ein beachtenswertes Statement von Darmstadt 98 hinzuweisen. Aber lest selbst:

 

Der SV 98 wird keinen Einspruch gegen die Wertung der Partie beim Hamburger SV einlegen. Auf die Einlegung von Rechtsmitteln beim DFB wurde verzichtet. Ein möglicher Einspruch hätte sich auf verschiedene Medien-Berichte gegründet, wonach HSV-Akteur Bakery Jatta falsche Angaben bezüglich seiner Identität gemacht haben soll und demzufolge, wie seit mehreren Jahren, auch beim Spiel des HSV gegen die Lilien ohne Spielberechtigung zum Einsatz gekommen wäre.

Dazu äußert sich das Präsidium des SV 98 wie folgt: "Wir haben bewusst auf einen Einspruch verzichtet, weil in unseren Augen offensichtlich kein bewusst unsportliches Verhalten seitens des Hamburger Sportvereins vorliegt. Der HSV hat für uns glaubhaft öffentlich versichert, gültige Dokumente des Spielers zu besitzen, die eine offizielle Spielberechtigung rechtfertigen. Unserer Meinung nach ist es daher in diesem Fall falsch, mit juristischen Mitteln sportlich erzielte Ergebnisse anzufechten und sich am grünen Tisch Punkte erstreiten zu wollen. Als Fußballklub sind wir der Meinung, dass es nicht nur unsere Aufgabe ist, sportliche Ergebnisse zu erzielen, sondern auch für sportliche und gesellschaftliche Werte einzutreten. Unsere Entscheidung basiert entsprechend unseren in der Vereinssatzung verankerten Werten daher auf dem Gedanken sportlicher Integrität und Fairness gegenüber einem sportlichen Konkurrenten. Darmstadt 98 versteht sich als Wertegemeinschaft und ist als Fußballverein mehr als die Summe von sportlichen Ergebnissen.“

 

Ein starkes Statement, das dem 1. FC Nürnberg nach dem bitteren Heim-0:4 am Montag gegen den HSV die nächste schmerzhafte Pleite beifügt. Hintergrund: Die Franken hatten nach Bekanntwerden der SportBild-Geschichte offiziell Einspruch gegen die Wertung der Niederlage gegen den HSV eingelegt. Ein Einspruch, der ebenso erfolglos bleiben dürfte, wie er dem FCN viele Sympathien gekostet hat.

In diesem Sinne, bis morgen. Da wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainiert. Ich werde mich natürlich trotzdem morgen früh pünktlich um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch melden. Bis dahin Euch allen einen schönen Abend.

 

Scholle

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