Guido Müller

25. August 2020

Guido Müller ist seit frühster Jugend HSVer, kickt gerne im Stadtpark gegen den Ball und schreibt regelmäßig für 90min über den HSV. Heute schwingt er für die Rautenperle die schwarz-weiß-blaue Feder.

Gestern setzte sich der HSV-Tross um Trainer, Mannschaft und Betreuer in Bewegung Richtung Österreich. Für die kommenden knapp sechs Tage im Kufsteiner Land gilt es nun, die offensichtlich noch sehr notwendige Feinjustierung (manche sprechen schon mit einem Wortspiel von “Fein-Thiouning”) hinzukriegen. 

Gesucht wird: der Spagat zwischen interner Demut und neuer Bescheidenheit und dem alljährlichen Auftrag, bis zum Saisonauftakt (am 11. September im DFB-Pokal gegen Dynamo Dresden) eine konkurrenzfähige Mannschaft aufzubauen. Nur darf sie nicht allzu teuer sein. 

HSV bleibt auch in 2020/21 einer der Favoriten auf den Aufstieg

Und was “konkurrenzfähig” bedeutet, weiß auch jeder: denn trotz der selbstauferlegten neuen Bescheidenheit wird der Hamburger SV natürlich nicht irgendeine Platzierung zwischen Rang 6 und 10 ausgeben können. Denn noch immer ist der Klub für die allermeisten anderen Mannschaften “der” Gegner. Das war während der kompletten vergangenen Saison aus den Aussagen der Rivalen des HSV herauszufiltern. Gegen die Rothosen, so die fast einhelligen Kommentare, geben alle noch ein paar Prozentpunkte mehr als gegen “normale” Gegner. 

Und auch rein wirtschaftlich kann sich der Verein nicht hinter seinen Zahlen verstecken. Mit einem Etat von etwa 23 Millionen Euro geht der HSV sozusagen als Liga-Krösus in die neue Spielzeit. (Zum Vergleich: Arminia Bielefeld ist letzte Saison mit einem Budget von etwas mehr als der Hälfte aufgestiegen!) 

Doch die Rolle des über allen thronenden Klassen-Primus will man, zumindest intern, nicht mehr herauskehren. Man ist mittlerweile- das ist leider auch Fakt- ein in der Zweiten Liga angekommener Klub - (noch) ohne gültige Rückfahrkarte in die Bundesliga. 

Alle Sprüche und Beschwörungsformeln von wegen “Ausrutscher” und “zu korrigierender Unfall” - spätestens nach dem erneuten “Systemversagen” im Schlussdrittel der abgelaufenen Saison (die wie ein Abziehbild der vorherigen daherkam) nur noch Makulatur. Jeder steht da, wo er hingehört. Und wenn man meint, irgendwo nicht hinzugehören - muss man Taten (= Schritte) folgen lassen. Nicht nur Worte. 

Die internen Strukturen scheinen sich endlich zu stabilisieren

Insgesamt scheint mir das aktuelle Gerüst der Mannschaft um die Mannschaft dafür geeignet zu sein. Die Verpflichtung von Klub-Legende Horst Hrubesch als Direktor Nachwuchs war das bisher letzte erfolgversprechende Glied in der Handlungskette von Jonas Boldt. Erst gewann der letztes Jahr installierte Sportvorstand den internen Machtkampf gegen Bernd Hoffmann, dann gelang ihm mit der Hrubesch-Verpflichtung etwas, woran in den letzten Jahrzehnten so einige seiner Vorgänger scheiterten. Wenn sie es denn überhaupt ernsthaft versucht haben…

Denn Aussagen des früheren Kopfballungeheuers zufolge, war es in der Vergangenheit leider häufig so, dass der Klub gar nicht den Kontakt zum einstigen Torjäger gesucht habe. Was Hrubesch natürlich verbitterte - denn dass der Mann “Jugend kann” (wie es mal einer unserer Community-Mitglieder bezeichnet hat) hat er mit der deutschen U19, mit der U21, mit der Olympia-Mannschaft und mit den DFB-Damen mehr als unter Beweis gestellt. 

Die Strukturen stimmen also, soweit man das von außen beurteilen kann. 

Jetzt muss die Mannschaft liefern 

Jetzt ist die sportliche Führung, allen voran natürlich Daniel Thioune, gefordert. Und davon, dass selbige noch einiges an Arbeit vor sich hat, zeugten die Eindrücke der ersten drei Testspiele. Gut, das mühsame 1:0 gegen Hansa, nach gerade mal vier Tagen Training, kann noch nicht als Maßstab herangezogen werden. Die Niederlagen gegen die dänischen Klubs aus Midtjylland und Randers hingegen sehr wohl. Vor allem gegen Letztere, die auch in Dänemark kein wirkliches Top-Team darstellen, muss eindeutig mehr kommen als nur ein Kopfballtor von Manuel Wintzheimer und ein bisschen alibi-mäßige optische Überlegenheit.

Und das wollte Daniel Thioune dann im Anschluss an den Test auch gar nicht verhehlen,bediente sich dabei einer für seine Verhältnisse schon recht deutlichen und kritischen Wortwahl. 

Nun ist es in der heutigen Zeit nunmal so, dass Mannschaften sich während der Vorbereitung finden müssen. Erschwerend kommt dabei hinzu: durch die zeitliche Überschneidung der Transferperiode mit den nationalen Spielkalendern kommt es regelmäßig zu Situationen, dass Spieler, die noch den Beginn einer Vorbereitungsphase in Klub A verbracht haben, am ersten Spieltag der Saison dann plötzlich bei Klub B auf dem Platz stehen. 

Das wird in diesem Jahr nicht anders sein. Bis zum 5. Oktober ist das Transferfenster in Europa geöffnet. Da läuft die hiesige Liga aber bereits seit zwei Spieltagen. Selbst Extremfälle sind deshalb denkbar: dass nämlich ein Spieler diese beiden Spiele noch für diesen Verein absolviert, um dann zu jenem zu wechseln. 

Geduld darf nicht nur gefordert, sondern muss auch gelebt werden

Und der HSV hat seit Ende der Saison 2019/20 immer wieder betont, mit viel Geduld an die Personalplanung zu gehen. Man kann sagen: um so geringer die finanziellen Möglichkeiten, um so größer muss diese Geduld sein. Das Kalkül dahinter ist klar: möglichst am Deadline-Tag versuchen, von der Resterampe was abzustauben. 

Das läuft dann ähnlich wie im normalen Marktgeschehen. Wer sich dies einmal vor Augen führen will, dem empfehle ich einen Gang zum Hamburger Fischmarkt am Sonntag gegen neun Uhr morgens. Da ist der Markt nämlich kurz vorm Schließen - und die Händler um so bereiter, ihre nicht verkaufte Ware notfalls auch zum Schleuderpreis an den Mann zu bringen. Ein Korb voller Obst und Gemüse kann dann schon mal nur noch fünf Euro kosten. Wortspiele mit “Pflaumen” und “Fußballspielern” verkneife ich mir an dieser Stelle einfach mal.

Nicht immer müssen solche Last-Minute-Transfers schlecht sein. Leider ging es aber beim HSV in den letzten Jahren meist in diese Richtung. Rafael van der Vaart (2012) oder Lewis Holtby (2014), um nur die prominentesten Namen zu nennen, seien in diesem Bezug erwähnt.

Geduld also - sowohl nach außen, als auch nach innen. Denn dass das Spielermaterial des HSV-Kaders kein Top-End-Level hat, die Spieler also nicht (mit einigen Ausnahmen) am Endpunkt ihrer Entwicklung angekommen sind, ist auch klar. Hier gilt es für den Trainer, die Entwicklung der Spieler zu beschleunigen und diese berühmten Prozentpunkte mehr rauszukitzeln. Eine erste seriöse Einschätzung, ob ihm dies gelingen kann, kann eigentlich erst nach den ersten vier oder fünf Pflichtspielen erfolgen. Bis dahin (Stichwort: 5. Oktober) ist vieles Kaffeesatzleserei. Doch Geduld, das ist auch klar, war beim HSV noch die große Stärke. Zum Wohle des Klubs muss sie es aber schleunigst werden.

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