Marcus Scholz

18. August 2018

Der DFB-Pokal hat schon immer für Überraschungen gesorgt. Auch heute, wo Ulm beispielsweise Titelverteidiger Eintracht Frankfurt rausgehauen hat. Und der HSV wollte genau das beim Oberligisten TuS Erndtebrück vermeiden – also zumindest im Ergebnis. In Sachen Aufstellung überraschte Titz allerdings dann doch. Mit Ambrosius in der Innenverteidigung. Und mit Tom Mickel im Tor anstelle der nominellen Nummer eins, Julian Pollersbeck. „Tom hat gegen Bayern gut gespielt, gut trainiert, und bekommt so weitere Spielpraxis“, hatte Trainer Christian Titz vor dem Spiel erklärt. Um dann hinzuzufügen: „Außerdem war Julian die letzten tage ein wenig angeschlagen.“ Wobei man auch festhalten muss, dass es auch eine Entscheidung für den besseren Fußballer war. Und dass die fußballerischen Fähigkeiten im Titz-System auch bei Torhütern entscheidende Kriterien sind, ist bekannt.

Ebenfalls bekannt ist, dass der HSV von der ersten Sekunde an Pressing spielen lässt. So auch heute in Erndtebrück. Und das mit Erfolg. Nachdem Ambrosius aus 14 Metern aus dem Gewühl mit links im Fallen rechts vorbeischoss (5.) war es Interimskapitän Lewis Holtby, er die Führung besorgte. Khaled Narey soll gefoult worden sein. Eine strittige Szene, was Holtby schnurz war. Der Mittelfeldspieler verwandelte zum frühen 1:0 (7.).

Und das war noch nicht alles. Gerade einmal 60 Sekunden später war es Fiete Arp, der das Aufbauspiel des Oberligisten früh störte und den Ball zu Narey stocherte. Der beste HSV-Torschütze rutschte zwar aus, kam aber schnell genug wieder hoch, um den Ball wiederum quer auf Arp querzulegen. Und der junge Angreifer, der zuletzt in der U21 traf und gegen Bayern am Mittwoch überzeugte, ließ noch einen Gegenspieler aussteigen, ehe er lässig zum 2:0 einschob (10.). Das Spiel schien früh einen eindeutigen Verlauf zu nehmen und es wurde ein wenig ruhiger – allerdings immer kontrolliert.

Der HSV verpasste es dabei, seine Chancen konsequent auszuspielen und kam nach einigen Halbchancen in der 39. Minute zur nächsten Hundertprozentigen. Tatsuya Ito war über rechts durch, flankte auf den mittig mitgelaufenen Narey, der den Ball mit links direkt aus der Luft nehmen wollte – aber nicht richtig traf. Und so kam, was nicht kommen durfte: Erndtebrück traf. Ein langer Flankenball landete bei Yamazaki, der aus 12 Metern links an Mickel vorbei einschob.

Ärgerlich im doppelten Sinne. Einmal vom Spielverlauf her. Zum anderen, weil der TuS-Akteur Reichert den Ball nach einem Foul im Mittelfeld an Mangala weiterspielte und Rösch den Ball in klarer Abseitsstellung durch die Beine laufen ließ. Schiri Michael Kempter verpasste es hier gleich zweimal, den Angriff abzupfeifen. Zudem pennten Ambrosius (setzte darauf, dass Abseits gepfiffen wird und griff nicht mehr ein) und – mal wieder – Gotoku Sakai, der nicht einmal in der Nähe seines Gegenspielers Yamazaki war. Egal wie, so stand es zur Halbzeit 2:1. Nur noch. Denn angesichts des Spielverlaufes hätte man deutlicher führen können, nein: deutlicher führen müssen.

Und Trainer Christian Titz reagierte. Er nahm den seit Monaten schwächelnden Sakai vom Platz und  brachte Tobias Knost (den ich ehrlich gesagt für keinen Deut besser halte). Allerdings musste der HSV in der 48. Minute den nächsten Tiefschlag hinnehmen. Diesmal jedoch absolut regelkonform. Und wieder sah die Abwehr um Ambrosius und van Drongelen nicht gut aus. Rick van Drongelen konnte den wuchtigen TuS-Angreifer Rösch nicht daran hindern, den Ball mit dem Rücken zum Tor auf Niklas Hunold abzulegen – und der TuS-Kapitän traf zum 2:2 (48.). Was war denn hier plötzlich los?

Ohne jede Not geriet das Spiel in Gefahr. Der HSV machte zwar sofort wieder Druck und kam durch Arp (56.) und Mangala (58.) zu gefährlichen Torschüssen – aber er traf nicht. Noch nicht. Bis Christian Titz ein goldenes Händchen hatte: Pierre Michel Lasogga kam in der 62. Minute (für Arp) und traf – doppelt! Zuerst nach schöner Ambrosius-Flanke nicht minder sehenswert per Kopfball (64.) und in der 66. Minute nach Querpass Mangala per Abstauber. Das 4:2 für den HSV. Und Erndtebrück im Lasogga-Schock.

Zumindest bis Tom Mickel pennte. Kurz vor der Mittellinie verlor er den Ball, weil er Rösch nicht kommen sah. Er foulte den auffälligsten Erndtebrücker und bekam glücklicherweise nur Gelb. Allerdings war es die Einleitung für den nächsten Gegentreffer. Denn der lang in den Sechzehner getretene  Freistoß wurde per Kopf in die Mitte abgelegt, wo der gerade erst eingewechselte Hilchenbach völlig frei einköpfen konnte. Das 3:4 in der 71. Minute - und es wurde noch mal spannend.

Weil der HSV in der Defensive wackelte. Gegen den hochgewachsenen Angreifer Rösch hatten Ambrosius wie van Drongelen mehr Probleme als gedacht. Und das riskante Offensivspiel offenbarte erste Unsicherheiten. Denn nach Mickels Fauxpas hätten die Erndtebrücker einen weiteren Fehlpass fast zum Ausgleich genutzt, als Mickel weit vor dem Tor stand und TuS-Akteur Yazar zu harmlos schoss. Glück für den HSV, der heute offensiv gefährlich war – und defensiv Lücken zeigte, die bis zum nächsten Heimspiel gegen Arminia Bielefeld dringend abgestellt werden müssen, wenn man nicht die zweite Heimpleite der Saison einfahren will.

In der Schlussminute sorgte dann Mangala mit einem platzierten Linksschuss ins rechte, untere Eck für die Entscheidung vor 13.588 Zuschauern. Das 5:3 in der 90. Minute und das Fazit, dass dieser HSV noch sehr viel Arbeit vor sich hat, wenn die zweifellos mutige, aber eben immer auch riskante, offensive Spielart irgendwann dominant gespielt werden soll. So können wir uns zwar immer wieder auf Torspektakel freuen. Allerdings nie mit der sicheren Annahme verbunden, dass das Spiel auch gewonnen wird. Nein, Christian Titz hat weiterhin die schwierige Aufgabe vor sich, die Balance aus spektakulär anmutendem Offensivfußball und defensiver Stabilität herzustellen.

Ergo: Einmal tief durchatmen. Man ist eine Runde weiter, darum ging es. Und Zeit, um daran zu arbeiten, die richtige Balance zu finden, hat der HSV jetzt erst einmal. Erst in neun Tagen geht es zuhause gegen Arminia Bielefeld im ersten Montagsspiel der Vereinsgeschichte weiter. Morgen übrigens mit dem obligatorischen Auslaufen und dem Trainerkommentar am Tag danach. Und, nicht zu vergessen: Leider hat die U21 heute Abend parallel bei der U23 von Holstein Kiel mit 2:3 verloren. Marco Drawz hatte in der vierten Minute die Führung besorgt, Manuel Wintzheimer in der 85. Minute auf 2:3 verkürzt

In diesem Sinne, bis morgen!

Scholle
 
Das Spiel im Stenogramm:
TuS Erndtebrück: Schünemann - Mißbach, Hunold, Yamazaki, Schmitt, Terzic - Reichert, Rösch, Tomita (74. Yazar), Saka (70. Hilchenbach) - Böhmer
Hamburger SV:  Mickel - Sakai (46. Knost), Ambrosius, van Drongelen, Santos - Janjicic - Narey (75. Jairo), Mangala, Holtby, Ito - Arp (62. Lasogga)
Tore: 0:1 Holtby (7.), 0:2 Arp (10.), 1:2 Yamazaki (42.), 2:2 Hunold (48.), 2:3 Lasogga (64.), 2:4 Lasogga (66.), 3:4 Hilchenbach (71.), 3:5 Mangala (90.)
Zuschauer: 13.588
Schiedsrichter: Robert Kempter (Stockach)
Gelbe Karten: Hunold (35.) / Mickel (70.)

 

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