Marcus Scholz

30. Oktober 2017

Okay, es klingt immer etwas einfach, wenn man in schlechten Phasen mehr und härteres Training fordert. Und deshalb könnte ich auch den Unmut der Verantwortlichen verstehen – wenn es nicht ein Manko wäre, das schon von Beginn an angeprangert wurde. Hier und anderswo. Auch der Ruf nach den jungen Spielern, die noch unverbraucht sind, wird oft laut, wenn die anderen, die arrivierteren nicht funktionieren. Alle, die nicht ihre Unfähigkeit Woche für Woche bewiesen haben, sind potenziell erst einmal besser. Somit auch die jungen Talente des Klubs. Weil man Hoffnungsträger sucht. Jeder Fan braucht sie und fordert sie ein – manchmal auch wider die Vernunft, was Trainer Markus Gisdol gestern auch noch mal nachvollziehbar erläutert hat. Mit vielen Konjunktiven erläuterte er, weshalb er jetzt doch den an sich eher unvernünftigeren, weil nicht ausreichend vorbereiteten Weg gehen muss. Und man merkte ihm an, dass ihm das alles so nicht lieb ist. Dennoch, Mitleid mit Gisdol ist an dieser Stelle unangebracht.

Die Opferrolle steht diesem HSV generell schlichtweg nicht zu. Im Gegenteil: Seit Jahren wird hier Missmanagement auf allen Ebenen betrieben. Auch bzw. vor allem im sportlichen Bereich. Und für den ist neben dem Sportchef und dem Vorstandsboss eben der Trainer hauptverantwortlich. Dabei will ich die Diskussion an dieser Stelle nicht noch mal mehr bis zurück in den Sommer schweifen lassen, wo der Kader nachweislich unzureichend ausgestattet wurde. Vielmehr möchte ich den Blick nach vorn richten – mit dem heutigen Tag beginnend. Und da dieser tatsächlich ein freier Tag war, beginnt die Fehlerkette unmittelbar von vorn. Denn wie gestern schon geschrieben: Physiologisch mag es noch so empfehlenswert sein – psychologisch halte ich es für einen riesengroßen Fehler, den Spielern nicht in jeder denkbaren Situation unter die Nase zu reiben, dass sie fleißiger sein muss als andere. Auch heute.

 

 

Denn Fakt ist, dass diese Mannschaft einen Mangel an spielerischer Qualität hat, der den Klassenerhalt massiv gefährdet. Von daher darf das Argument „das machen alle so“ einfach keines sein. Nicht für diesen HSV. Dieser HSV muss anders sein. „Besser, schneller, findiger“ nannten das die Sportchefs immer bei ihrem jeweiligen Amtsantritt und verloren die eigene Maxime noch bevor die letzten Silben ausgesprochen waren aus den Augen. Auch, weil es einem hier immer wieder leicht gemacht wurde. Fan-Anleihe, Kühne-Millionen, Relegationsspiele – irgendwie ging es am Ende immer wieder gut. Und wenn die jeweils Verantwortlichen dann so viel Bockmist gemacht hatten, dass es mit ihnen nicht mehr ging, dann gingen sie eben – zumeist auch noch reich abgefunden.

Und diese Geschichte wiederholt sich in Hamburg nicht nur auf Trainerebene sondern tatsächlich in allen Bereichen bis hin zum Aufsichtsrat. Statt mehr zu machen, um mehr zu bekommen, wähnt sich dieser Verein noch immer als Ligaschwergewicht, das es sich aussuchen kann. Eine Arroganz, die untragbar ist. Der Begriff „Dino“ und die Ewige Bundesliga-Uhr täuschen hier über die Tatsache hinweg, dass man in Hamburg mehr als einmal klinisch tot war und mühsam wiederbelebt wurde. Und anstatt jeden Tag dankbar dafür zu sein, immer noch erstklassig zu sein, verfallen auch die aktuell handelnden Personen wieder ins alte Schema. Sie wähnen sich als Opfer – alle. Schuld sind immer andere. Verantwortung für notwendige Veränderungen übernimmt letztlich aber keiner. Es wird hier in der Wohlfühloase auch nicht verlangt. Und deshalb gab und gibt es in Hamburg schlichtweg nicht diesen wiederholt propagierten Neuanfang, den Umbruch, oder wie auch immer sich die Verantwortlichen zu Amtsantritt Freunde unter den Fans zu machen versuchen.

Die Fehlerkette beginnt von vorn - und keiner merkt's

Aktuell dreht sich das Hamsterrad HSV wie gewohnt weiter und es droht so zu laufen wie immer: Der Trainer wird bei anhaltendem Misserfolg gehen müssen, spätestens im Winter dürfte dann der Sportchef folgen. Bis dahin gibt es einen neuen Aufsichtsrat, der den Vorstandsboss dazu veranlassen wird, zu handeln - sollte dieser nicht selbst schon zur Disposition stehen. Aber geschaffen haben wird man bis zur Winterpause kaum mehr als sonst. Soll heißen: Der HSV steckt im Abstiegskampf, ist finanziell nicht handlungsfähig und im Klub herrscht Unruhe, weil alle Amtsinhaber versuchen zu retten, was nicht mehr zu retten ist: nämlich ihren Posten. Um den Verein, oder besser gesagt die HSV AG, geht es hier schon lange niemandem mehr.

Insofern kommt auf Jens Meier und seine Kontrolleure etwas zu, was bisher noch niemand zu lösen wusste: Er muss einen Vorstandsboss finden (oder behalten?), der sich mit jeder Faser gegen den Abstieg stemmt und starke Entscheidungen trifft. Auch mal gegen den Wunsch der Kontrolleure, der Fans und seiner Mitarbeiter. Vor allem aber muss der Vorstandsboss einen ebenfalls starken Sportchef einbauen, der mit der HSV-Situation – also zur Not auch ohne große Kühne-Millionen – umzugehen weiß und einen Plan hat. Nur zu sagen, dass man alles so geplant habe, reicht nicht. Vor allem nicht, wenn es so bitter in die Hose geht wie jetzt.

Wichtig hierbei ist, dass der Sportchef nicht vom Trainer instruiert wird, sondern dass er dem Trainer vorsteht. Mal schützend, mal fordernd - aber immer als Team, das den selben Plan verfolgt. Auch, um der Mannschaft zu zeigen, wie es funktionieren kann. Vor allem aber müssen beide, Trainer wie Sportchef ( und eigentlich auch Klubboss sowie Aufsichtsräte) endlich das machen, was dieser HSV machen MUSS:

 

SIE MÜSSEN FLEISSIGER, FINDIGER UND SCHNELLER SEIN ALS DIE KONKURRENZ.

 

Und dazu zählt auch, um wieder den Bogen zum heutigen Tag zu bekommen, dass man mehr trainiert als andere, wenn es schlechter läuft als bei anderen. Das muss nicht immer Ausdauerläufe bis zum Kotzen beinhalten. Vielmehr geht es hierbei darum, gezielt Schwächen abzustellen. So zum Beispiel heute Standards. Denn die haben gegen Berlin so schlecht funktioniert, dass selbst der ansonsten so ruhige und positiv sprechende Gisdol nicht an sich halten konnte und schimpfte. Gisdol sprach dabei eine ganze Menge Dinge direkt an, kritisierte klar und „drohte“ seinen unwilligen bzw. undisziplinierten Profis mit Konsequenzen im Umgang. Nett war einmal, so sollte es rüberkommen. Weshalb es trotzdem den freien Tag gab – keine Ahnung. Aber er ist ganz sicher das falsche Zeichen.

Selbst wenn Gisdol jetzt durchgreift und personell Veränderungen vorgenommen werden, wovon auszugehen ist, wirken sie mehr wie die letzte Patrone, die Gisdol abfeuern kann denn wie ein guter Plan. Ito und ganz sicher Arp sind erste Kandidaten für einen Umbruch in der Startelf, der auch vor Wochen etwas sanfter schon hätte vorgenommen werden können. Genau genommen hätte dieser schon zu Saisonbeginn passieren können. Anstatt wider besseres Wissen immer wieder auf verbrauchte Kräfte wie Holtby, Lasogga und Schipplock zu setzen, hätte man die Itos und Arps dieses Klubs schon damals einbauen können. Und das dann sogar ganz genau so behutsam, wie sich der Trainer das heute gewünscht hätte. Insofern: Auch hier ist man selbst Schuld - und sicher nicht Opfer fremder Umstände.

Im Gegensatz zu vielen anderen werde ich mich aber nicht der Forderung anschließen, dass Arp und Ito beginnen MÜSSEN. Denn das ist Quatsch. Sie haben sich empfohlen und dürfen berechtigt Ansprüche stellen, die andere verspielt haben. Dennoch müssen sie sich diese Trainingswoche erneut beweisen. Deshalb würde ich als Trainer gerade diese Trainingswoche nutzen, um in intensiven Einheiten zu erkennen, wer helfen will und wer helfen kann. Mit aller Vehemenz: Wer hier durchfällt, der ist raus und wird durch hungrige Spieler ersetzt. Und dafür wäre mir jede Trainingsminute wichtig, die ich in dieser Woche ansetzen könnte – womit ich schon wieder ein Argument gefunden habe, weshalb heute hätte trainiert werden müssen.

Schade drum. Hier hat Gisdol seine erste Chance verpasst. Dennoch ist ein Wechsel auf seiner Position nicht di Lösung. Längst nicht. Dieser Verein braucht mehr als nur wieder einen neuen Trainer. Vor allem braucht er eine Vision, der sich alle unterordnen. Nur verwalten, wie es diese Führung aktuell versucht, führt ins Nichts.

In diesem Sinne, hoffen wir mal, dass der HSV sich in den kommenden Wochen sportlich mal fängt, ohne sich davon gleich wieder blenden zu lassen. Denn die Veränderungen müssen her, egal, wie viele Punkte der HSV jetzt holt.

 

Bis morgen. Da wird um 10 und um 16 Uhr trainiert.

Scholle

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